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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Höhe, wo die logische Sanktionierung einsetzen konnte. Und
doch ist instinktiv immer wieder durchschlagend begriffen worden,
daß die Rechnung einen absoluten Fehler, eine nicht aus¬
zumerzende Absurdität enthalte.

Die Prostituierte, als soziale Institution geschaffen, negiert
mit ihrem Ausschalten des Begriffes "Kind" dieses Soziale, sie
ist eine immerwährende Gefahr gerade für den Sozialbegriff
Mensch, der eine Folge der Geschlechter, eine "unsterbliche
Menschheit" über das Individuum hinaus braucht. Das Soziale
hebt sich hier selbst auf wie die Wurst auf dem Bilderbogen,
die in der Luft sich selbst verschlingt. Die Prostituierte als
soziale Institution löst ferner die individuelle Liebeswahl wirk¬
lich auf und schneidet damit eine Wurzel ab der beständigen
Weiterentwickelung in der Gesamtheit. Für sie bleibt keinerlei
Ausweg mehr für individuelle Bevorzugung, wenn sie nicht
gerade das wirtschaftliche Verhältnis zerstören will, in dem sie
zu der Gesamtheit steht. Jeder, der sie benutzen will, ist ver¬
pflichtet, sein Teil abzutragen an ihren Unterhaltungskosten, er
muß gewissermaßen die Steuer erlegen, für die das Dasein
einer solchen sterilen Lustameise in der Gesellschaft ermöglicht
wird. Aber mit Erlegung dieser Steuer tritt der Betreffende
auch in das volle Besitzrecht zum Liebesakt ein und die Prosti¬
tuierte hat logisch keine Macht, sich diesem Besitzrecht individuell
zu entziehen. Was selbst beim gröbsten Ehekauf nur scheinbar
oder erst in schon degenerierender Abirrung möglich war, das
tritt hier als absoluter logischer Zwang auf: die Vernichtung des
ganzen individuellen Wahlprinzips, also der ganzen riesigen
Linie, die vom Paradiesvogel zu uns heraufkommt.

An diesem doppelten Mißsinn ist das Prinzip der Prosti¬
tuierten immer wieder gescheitert und wird immer wieder
scheitern als echter Menschheitsfaktor.

In seiner Unlogik liegt der wahre Grund, warum die
Prostituierte in wachsendem Maße einer so vernichtenden mora¬
lischen
Verachtung verfallen ist.

Höhe, wo die logiſche Sanktionierung einſetzen konnte. Und
doch iſt inſtinktiv immer wieder durchſchlagend begriffen worden,
daß die Rechnung einen abſoluten Fehler, eine nicht aus¬
zumerzende Abſurdität enthalte.

Die Proſtituierte, als ſoziale Inſtitution geſchaffen, negiert
mit ihrem Ausſchalten des Begriffes „Kind“ dieſes Soziale, ſie
iſt eine immerwährende Gefahr gerade für den Sozialbegriff
Menſch, der eine Folge der Geſchlechter, eine „unſterbliche
Menſchheit“ über das Individuum hinaus braucht. Das Soziale
hebt ſich hier ſelbſt auf wie die Wurſt auf dem Bilderbogen,
die in der Luft ſich ſelbſt verſchlingt. Die Proſtituierte als
ſoziale Inſtitution löſt ferner die individuelle Liebeswahl wirk¬
lich auf und ſchneidet damit eine Wurzel ab der beſtändigen
Weiterentwickelung in der Geſamtheit. Für ſie bleibt keinerlei
Ausweg mehr für individuelle Bevorzugung, wenn ſie nicht
gerade das wirtſchaftliche Verhältnis zerſtören will, in dem ſie
zu der Geſamtheit ſteht. Jeder, der ſie benutzen will, iſt ver¬
pflichtet, ſein Teil abzutragen an ihren Unterhaltungskoſten, er
muß gewiſſermaßen die Steuer erlegen, für die das Daſein
einer ſolchen ſterilen Luſtameiſe in der Geſellſchaft ermöglicht
wird. Aber mit Erlegung dieſer Steuer tritt der Betreffende
auch in das volle Beſitzrecht zum Liebesakt ein und die Proſti¬
tuierte hat logiſch keine Macht, ſich dieſem Beſitzrecht individuell
zu entziehen. Was ſelbſt beim gröbſten Ehekauf nur ſcheinbar
oder erſt in ſchon degenerierender Abirrung möglich war, das
tritt hier als abſoluter logiſcher Zwang auf: die Vernichtung des
ganzen individuellen Wahlprinzips, alſo der ganzen rieſigen
Linie, die vom Paradiesvogel zu uns heraufkommt.

An dieſem doppelten Mißſinn iſt das Prinzip der Proſti¬
tuierten immer wieder geſcheitert und wird immer wieder
ſcheitern als echter Menſchheitsfaktor.

In ſeiner Unlogik liegt der wahre Grund, warum die
Proſtituierte in wachſendem Maße einer ſo vernichtenden mora¬
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Verachtung verfallen iſt.

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[261/0275] Höhe, wo die logiſche Sanktionierung einſetzen konnte. Und doch iſt inſtinktiv immer wieder durchſchlagend begriffen worden, daß die Rechnung einen abſoluten Fehler, eine nicht aus¬ zumerzende Abſurdität enthalte. Die Proſtituierte, als ſoziale Inſtitution geſchaffen, negiert mit ihrem Ausſchalten des Begriffes „Kind“ dieſes Soziale, ſie iſt eine immerwährende Gefahr gerade für den Sozialbegriff Menſch, der eine Folge der Geſchlechter, eine „unſterbliche Menſchheit“ über das Individuum hinaus braucht. Das Soziale hebt ſich hier ſelbſt auf wie die Wurſt auf dem Bilderbogen, die in der Luft ſich ſelbſt verſchlingt. Die Proſtituierte als ſoziale Inſtitution löſt ferner die individuelle Liebeswahl wirk¬ lich auf und ſchneidet damit eine Wurzel ab der beſtändigen Weiterentwickelung in der Geſamtheit. Für ſie bleibt keinerlei Ausweg mehr für individuelle Bevorzugung, wenn ſie nicht gerade das wirtſchaftliche Verhältnis zerſtören will, in dem ſie zu der Geſamtheit ſteht. Jeder, der ſie benutzen will, iſt ver¬ pflichtet, ſein Teil abzutragen an ihren Unterhaltungskoſten, er muß gewiſſermaßen die Steuer erlegen, für die das Daſein einer ſolchen ſterilen Luſtameiſe in der Geſellſchaft ermöglicht wird. Aber mit Erlegung dieſer Steuer tritt der Betreffende auch in das volle Beſitzrecht zum Liebesakt ein und die Proſti¬ tuierte hat logiſch keine Macht, ſich dieſem Beſitzrecht individuell zu entziehen. Was ſelbſt beim gröbſten Ehekauf nur ſcheinbar oder erſt in ſchon degenerierender Abirrung möglich war, das tritt hier als abſoluter logiſcher Zwang auf: die Vernichtung des ganzen individuellen Wahlprinzips, alſo der ganzen rieſigen Linie, die vom Paradiesvogel zu uns heraufkommt. An dieſem doppelten Mißſinn iſt das Prinzip der Proſti¬ tuierten immer wieder geſcheitert und wird immer wieder ſcheitern als echter Menſchheitsfaktor. In ſeiner Unlogik liegt der wahre Grund, warum die Proſtituierte in wachſendem Maße einer ſo vernichtenden mora¬ liſchen Verachtung verfallen iſt.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/275>, abgerufen am 21.11.2024.