die sich reiten ließ wie eines der Wildpferde in der Blumensteppe der Nacheiszeit da draußen. Eine Natur, unterthan als Technik. Es war die Linie, wo der erste Glaube an die eigene echte Phaethon¬ schaft erwachsen durfte und erwuchs. Die berechenbare Natur!
Aber daneben stand ein anderer Teil. Auch Natur, aber starr, riesig, unberechenbar. Die Sonne. Der Winter. Der Tod. Und Ähnliches. Das kam, kam einfach; keine Technik griff daran. Kein Seil zog die Sonne heran, kein Balken bannte den Winter zurück, kein Werkzeugbesitz wahrte vor Alter, vor Tod. So schien es wenigstens. Wie sollte Phaethon damit fahren? Dumpf ahnte er auch hier ein Gesetz. Aber wo dieses Gesetz erfassen, daß es die Dinge auch hier zum gefügigen Werkzeug machte? Du weißt, was da versucht worden ist. Was der Wilde versucht. Spuk, Dämonen, Wunder sucht er hinter diesen Dingen. Er betet, er beschwört, er sucht mit Gewalt ein seelisches Verhältnis. Er opfert, kasteit sich, blutet, flucht, winselt, -- alles in der Hoffnung, es möchte auch dieser un¬ berechenbare, unfaßbare Teil seiner Natur sich doch zum Feuer¬ stein, zum Schiff noch umwandeln lassen. Phaethon, der wild losfährt, ohne Übersicht, ohne Halt, blind experimentierend. Und Phaethon, der immer wieder in die Flammen stürzt. An dieser Stelle ist der Mensch eine Gefahr für sich selbst, für die Entwickelung gewesen. In der Sehnsucht, den Himmel zu be¬ zwingen, lief er beständig Gefahr, ihn anzuzünden und elendig¬ lich mit ihm zu verbrennen.
Und nun dieser Mensch vor seinen eigenen Liebesthatsachen. Zum erstemmal mit denkenden Augen vor Erektion, Men¬ struation, Zeugung, Schwangerschaft, Niederkunft! Wohin ge¬ hörte das? In die Technik, den Naturteil, den man eroberte mit Feuersteinfunken, hölzernen Kähnen, Angeln und Pfeilen? Oder in jenen anderen, mysteriösen, wo Sonne und Mond auf¬ stiegen, sich plötzlich verdunkelten und so weiter? Den Teil der Natur, den man durch Beten, Beschreien, Tamtamschlagen zu beeinflussen suchte?
die ſich reiten ließ wie eines der Wildpferde in der Blumenſteppe der Nacheiszeit da draußen. Eine Natur, unterthan als Technik. Es war die Linie, wo der erſte Glaube an die eigene echte Phaethon¬ ſchaft erwachſen durfte und erwuchs. Die berechenbare Natur!
Aber daneben ſtand ein anderer Teil. Auch Natur, aber ſtarr, rieſig, unberechenbar. Die Sonne. Der Winter. Der Tod. Und Ähnliches. Das kam, kam einfach; keine Technik griff daran. Kein Seil zog die Sonne heran, kein Balken bannte den Winter zurück, kein Werkzeugbeſitz wahrte vor Alter, vor Tod. So ſchien es wenigſtens. Wie ſollte Phaethon damit fahren? Dumpf ahnte er auch hier ein Geſetz. Aber wo dieſes Geſetz erfaſſen, daß es die Dinge auch hier zum gefügigen Werkzeug machte? Du weißt, was da verſucht worden iſt. Was der Wilde verſucht. Spuk, Dämonen, Wunder ſucht er hinter dieſen Dingen. Er betet, er beſchwört, er ſucht mit Gewalt ein ſeeliſches Verhältnis. Er opfert, kaſteit ſich, blutet, flucht, winſelt, — alles in der Hoffnung, es möchte auch dieſer un¬ berechenbare, unfaßbare Teil ſeiner Natur ſich doch zum Feuer¬ ſtein, zum Schiff noch umwandeln laſſen. Phaethon, der wild losfährt, ohne Überſicht, ohne Halt, blind experimentierend. Und Phaethon, der immer wieder in die Flammen ſtürzt. An dieſer Stelle iſt der Menſch eine Gefahr für ſich ſelbſt, für die Entwickelung geweſen. In der Sehnſucht, den Himmel zu be¬ zwingen, lief er beſtändig Gefahr, ihn anzuzünden und elendig¬ lich mit ihm zu verbrennen.
Und nun dieſer Menſch vor ſeinen eigenen Liebesthatſachen. Zum erſtemmal mit denkenden Augen vor Erektion, Men¬ ſtruation, Zeugung, Schwangerſchaft, Niederkunft! Wohin ge¬ hörte das? In die Technik, den Naturteil, den man eroberte mit Feuerſteinfunken, hölzernen Kähnen, Angeln und Pfeilen? Oder in jenen anderen, myſteriöſen, wo Sonne und Mond auf¬ ſtiegen, ſich plötzlich verdunkelten und ſo weiter? Den Teil der Natur, den man durch Beten, Beſchreien, Tamtamſchlagen zu beeinfluſſen ſuchte?
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die ſich reiten ließ wie eines der Wildpferde in der Blumenſteppe
der Nacheiszeit da draußen. Eine Natur, unterthan als Technik.
Es war die Linie, wo der erſte Glaube an die eigene echte Phaethon¬
ſchaft erwachſen durfte und erwuchs. Die berechenbare Natur!
Aber daneben ſtand ein anderer Teil. Auch Natur, aber
ſtarr, rieſig, unberechenbar. Die Sonne. Der Winter. Der
Tod. Und Ähnliches. Das kam, kam einfach; keine Technik
griff daran. Kein Seil zog die Sonne heran, kein Balken
bannte den Winter zurück, kein Werkzeugbeſitz wahrte vor Alter,
vor Tod. So ſchien es wenigſtens. Wie ſollte Phaethon damit
fahren? Dumpf ahnte er auch hier ein Geſetz. Aber wo dieſes
Geſetz erfaſſen, daß es die Dinge auch hier zum gefügigen
Werkzeug machte? Du weißt, was da verſucht worden iſt. Was
der Wilde verſucht. Spuk, Dämonen, Wunder ſucht er hinter
dieſen Dingen. Er betet, er beſchwört, er ſucht mit Gewalt
ein ſeeliſches Verhältnis. Er opfert, kaſteit ſich, blutet, flucht,
winſelt, — alles in der Hoffnung, es möchte auch dieſer un¬
berechenbare, unfaßbare Teil ſeiner Natur ſich doch zum Feuer¬
ſtein, zum Schiff noch umwandeln laſſen. Phaethon, der wild
losfährt, ohne Überſicht, ohne Halt, blind experimentierend.
Und Phaethon, der immer wieder in die Flammen ſtürzt. An
dieſer Stelle iſt der Menſch eine Gefahr für ſich ſelbſt, für die
Entwickelung geweſen. In der Sehnſucht, den Himmel zu be¬
zwingen, lief er beſtändig Gefahr, ihn anzuzünden und elendig¬
lich mit ihm zu verbrennen.
Und nun dieſer Menſch vor ſeinen eigenen Liebesthatſachen.
Zum erſtemmal mit denkenden Augen vor Erektion, Men¬
ſtruation, Zeugung, Schwangerſchaft, Niederkunft! Wohin ge¬
hörte das? In die Technik, den Naturteil, den man eroberte
mit Feuerſteinfunken, hölzernen Kähnen, Angeln und Pfeilen?
Oder in jenen anderen, myſteriöſen, wo Sonne und Mond auf¬
ſtiegen, ſich plötzlich verdunkelten und ſo weiter? Den Teil der
Natur, den man durch Beten, Beſchreien, Tamtamſchlagen zu
beeinfluſſen ſuchte?
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/323>, abgerufen am 21.11.2024.
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