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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Bahnen als die Natur unter uns es vermocht, zum Heil immer
gesünderer, kräftigerer, glücklicherer Generationen!

Ich glaube an diese Bahn, weil ich keinen Schnitt sehe
zwischen schaffender Natur und bewußtem Menschen. Der
Mensch ist mir nur eine Stufe der Natur in ihrem eigenen
Heraufgang. Wenn die Natur die Liebe bisher gebaut hat
mit allen ihren Wundern, warum soll dieser Höhenmensch, der
sich zur Wissenschaft aufgerungen, nicht weiter daran bauen?
Ist diese Wissenschaft doch erst der Beginn unseres wirklichen
tieferen Bewußtseins, des wirklichen Bewußtwerdens der Natur.
Was ist die ganze Geschichte der Liebe, wie wir sie hier ver¬
folgt haben, anders, als ein Bewußtwerden unserer selbst, der
tiefen Fäden, auf denen wir heraufkommen als Planet und
Tier und Urmensch, -- als Natur. Es ist das große Natur¬
wesen, das in uns (und gewiß gleichzeitig in ungezählten anderen
Sternenwesen) sich zurückbesinnt auf sein Werk bisher. Wozu
aber dieses Zurückbesinnen? Was kann diese plötzliche unge¬
heure Rückschau der Natur durch das Werkzeug des Menschen¬
hirns anders bedeuten, als das Sichbesinnen, das Sichsammeln
zu einem unerhörten noch höheren Entwickelungsruck selbst?
Immer, wenn ich diesen Menschen als Naturstufe mir ver¬
gegenwärtige, kann ich mich der Ansicht nicht entschlagen, es
sei all das, was wir Wissenschaft nennen, all dieses rastlose
Sicheinbohren in das Historische, diese Titanenarbeit, das
Vergangene noch einmal wieder aufleben zu lassen, nur eine
solche Vorbereitungsarbeit, ein solcher Sammelmoment der
Natur vor einer gewaltigsten Schlacht. Sie denkt noch ein¬
mal bis in die Nebelflecken, um mit dem nächsten Stoß eine
ganz neue Schicht durchzustoßen. An welcher Stelle aber
soll sie weitergehen, als eben in den Wesen, die sie bis
hierher gebracht hat? Schon wir heute sehen, wie sich lang¬
sam das Erkennen zum Beherrschen formt, wie die erkannten
Vergangenheitswerte sogleich Zukunftswerte werden, wie wir
das Werden zwingen, weil wir am Gewordenen gelernt haben.

Bahnen als die Natur unter uns es vermocht, zum Heil immer
geſünderer, kräftigerer, glücklicherer Generationen!

Ich glaube an dieſe Bahn, weil ich keinen Schnitt ſehe
zwiſchen ſchaffender Natur und bewußtem Menſchen. Der
Menſch iſt mir nur eine Stufe der Natur in ihrem eigenen
Heraufgang. Wenn die Natur die Liebe bisher gebaut hat
mit allen ihren Wundern, warum ſoll dieſer Höhenmenſch, der
ſich zur Wiſſenſchaft aufgerungen, nicht weiter daran bauen?
Iſt dieſe Wiſſenſchaft doch erſt der Beginn unſeres wirklichen
tieferen Bewußtſeins, des wirklichen Bewußtwerdens der Natur.
Was iſt die ganze Geſchichte der Liebe, wie wir ſie hier ver¬
folgt haben, anders, als ein Bewußtwerden unſerer ſelbſt, der
tiefen Fäden, auf denen wir heraufkommen als Planet und
Tier und Urmenſch, — als Natur. Es iſt das große Natur¬
weſen, das in uns (und gewiß gleichzeitig in ungezählten anderen
Sternenweſen) ſich zurückbeſinnt auf ſein Werk bisher. Wozu
aber dieſes Zurückbeſinnen? Was kann dieſe plötzliche unge¬
heure Rückſchau der Natur durch das Werkzeug des Menſchen¬
hirns anders bedeuten, als das Sichbeſinnen, das Sichſammeln
zu einem unerhörten noch höheren Entwickelungsruck ſelbſt?
Immer, wenn ich dieſen Menſchen als Naturſtufe mir ver¬
gegenwärtige, kann ich mich der Anſicht nicht entſchlagen, es
ſei all das, was wir Wiſſenſchaft nennen, all dieſes raſtloſe
Sicheinbohren in das Hiſtoriſche, dieſe Titanenarbeit, das
Vergangene noch einmal wieder aufleben zu laſſen, nur eine
ſolche Vorbereitungsarbeit, ein ſolcher Sammelmoment der
Natur vor einer gewaltigſten Schlacht. Sie denkt noch ein¬
mal bis in die Nebelflecken, um mit dem nächſten Stoß eine
ganz neue Schicht durchzuſtoßen. An welcher Stelle aber
ſoll ſie weitergehen, als eben in den Weſen, die ſie bis
hierher gebracht hat? Schon wir heute ſehen, wie ſich lang¬
ſam das Erkennen zum Beherrſchen formt, wie die erkannten
Vergangenheitswerte ſogleich Zukunftswerte werden, wie wir
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[333/0347] Bahnen als die Natur unter uns es vermocht, zum Heil immer geſünderer, kräftigerer, glücklicherer Generationen! Ich glaube an dieſe Bahn, weil ich keinen Schnitt ſehe zwiſchen ſchaffender Natur und bewußtem Menſchen. Der Menſch iſt mir nur eine Stufe der Natur in ihrem eigenen Heraufgang. Wenn die Natur die Liebe bisher gebaut hat mit allen ihren Wundern, warum ſoll dieſer Höhenmenſch, der ſich zur Wiſſenſchaft aufgerungen, nicht weiter daran bauen? Iſt dieſe Wiſſenſchaft doch erſt der Beginn unſeres wirklichen tieferen Bewußtſeins, des wirklichen Bewußtwerdens der Natur. Was iſt die ganze Geſchichte der Liebe, wie wir ſie hier ver¬ folgt haben, anders, als ein Bewußtwerden unſerer ſelbſt, der tiefen Fäden, auf denen wir heraufkommen als Planet und Tier und Urmenſch, — als Natur. Es iſt das große Natur¬ weſen, das in uns (und gewiß gleichzeitig in ungezählten anderen Sternenweſen) ſich zurückbeſinnt auf ſein Werk bisher. Wozu aber dieſes Zurückbeſinnen? Was kann dieſe plötzliche unge¬ heure Rückſchau der Natur durch das Werkzeug des Menſchen¬ hirns anders bedeuten, als das Sichbeſinnen, das Sichſammeln zu einem unerhörten noch höheren Entwickelungsruck ſelbſt? Immer, wenn ich dieſen Menſchen als Naturſtufe mir ver¬ gegenwärtige, kann ich mich der Anſicht nicht entſchlagen, es ſei all das, was wir Wiſſenſchaft nennen, all dieſes raſtloſe Sicheinbohren in das Hiſtoriſche, dieſe Titanenarbeit, das Vergangene noch einmal wieder aufleben zu laſſen, nur eine ſolche Vorbereitungsarbeit, ein ſolcher Sammelmoment der Natur vor einer gewaltigſten Schlacht. Sie denkt noch ein¬ mal bis in die Nebelflecken, um mit dem nächſten Stoß eine ganz neue Schicht durchzuſtoßen. An welcher Stelle aber ſoll ſie weitergehen, als eben in den Weſen, die ſie bis hierher gebracht hat? Schon wir heute ſehen, wie ſich lang¬ ſam das Erkennen zum Beherrſchen formt, wie die erkannten Vergangenheitswerte ſogleich Zukunftswerte werden, wie wir das Werden zwingen, weil wir am Gewordenen gelernt haben.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/347>, abgerufen am 21.11.2024.