überhaupt rechnen. So wenig aber die Erfindung ein so ganz Großes war, so wenig brauchte das Wiederentkleiden ein besonders großer Abfallsakt zu sein. Es wäre wohl nur einer gewesen unter vielen, die diese Naturvölker auf Wanderungen durchgemacht haben.
Die wesentliche Frage, auf die sich alles konzentriert, ist, ob man ein Herabwandern sämtlicher Menschenrassen dieser Erde von der Eiszeit-Gegend der Nordhalbkugel während oder gar nach dieser Eiszeit annehmen will. Es läuft das auf die große, eigentlich von nirgendwoher noch direkt diskutierbare Frage hinaus, ob man sich die Entstehung des Menschen irgendwo lokalisiert denken will. Grade dann sehe ich aber keine andere Denkbarkeit, wie ich dir früher schon sagte, als das Heimats¬ zentrum der höheren tertiären Säugerwelt: also die Nordhalb¬ kugel bis in die wirklichen Eiszeitorte hinauf. Mit dem süd¬ lichen Abströmen dieser Tierwelt sind, wie schon erwähnt, viel¬ leicht Teile der allerältesten Menschheit südwärts bereits mit¬ geströmt: haarige Affenmenschen das noch, von denen sich aber lebend nichts bis heute erhalten hat. Das, was eigentlich Mensch in unserem Kultursinne werden sollte, aber war eben dadurch gekennzeichnet, daß es zunächst im Norden blieb. Im Zwange der Kälteperiode errang es seine erste Kultur: Herd¬ flamme, Waffe, Kleidung. Das Affenfell ging dabei in jenem Sinne allmählich verloren. Aber nun war die Eiszeit zweifel¬ los sehr lang. Ihre Wirkungen auf den Menschen können ganz früh schon in ihrer Vorepoche, ihrer Inkubationszeit so zu sagen, angefangen haben. Als zum erstenmal die Gletscher dann wirklich als Binneneis grönlandhaft über Europa, Nord¬ asien und Nordamerika standen, mochte der Enthaarungsprozeß längst vollzogen sein. Da in der Raumnot ging dann wohl ein erstes neues Abströmen von Menschen -- diesmal von ersten echten Menschen, nach Süden los. Das mag sich in der Länge und den Wechseln der Eiszeit unzählige Male neu vollzogen haben. Immer flossen weichere, widerstandsunfähigere
überhaupt rechnen. So wenig aber die Erfindung ein ſo ganz Großes war, ſo wenig brauchte das Wiederentkleiden ein beſonders großer Abfallsakt zu ſein. Es wäre wohl nur einer geweſen unter vielen, die dieſe Naturvölker auf Wanderungen durchgemacht haben.
Die weſentliche Frage, auf die ſich alles konzentriert, iſt, ob man ein Herabwandern ſämtlicher Menſchenraſſen dieſer Erde von der Eiszeit-Gegend der Nordhalbkugel während oder gar nach dieſer Eiszeit annehmen will. Es läuft das auf die große, eigentlich von nirgendwoher noch direkt diskutierbare Frage hinaus, ob man ſich die Entſtehung des Menſchen irgendwo lokaliſiert denken will. Grade dann ſehe ich aber keine andere Denkbarkeit, wie ich dir früher ſchon ſagte, als das Heimats¬ zentrum der höheren tertiären Säugerwelt: alſo die Nordhalb¬ kugel bis in die wirklichen Eiszeitorte hinauf. Mit dem ſüd¬ lichen Abſtrömen dieſer Tierwelt ſind, wie ſchon erwähnt, viel¬ leicht Teile der allerälteſten Menſchheit ſüdwärts bereits mit¬ geſtrömt: haarige Affenmenſchen das noch, von denen ſich aber lebend nichts bis heute erhalten hat. Das, was eigentlich Menſch in unſerem Kulturſinne werden ſollte, aber war eben dadurch gekennzeichnet, daß es zunächſt im Norden blieb. Im Zwange der Kälteperiode errang es ſeine erſte Kultur: Herd¬ flamme, Waffe, Kleidung. Das Affenfell ging dabei in jenem Sinne allmählich verloren. Aber nun war die Eiszeit zweifel¬ los ſehr lang. Ihre Wirkungen auf den Menſchen können ganz früh ſchon in ihrer Vorepoche, ihrer Inkubationszeit ſo zu ſagen, angefangen haben. Als zum erſtenmal die Gletſcher dann wirklich als Binneneis grönlandhaft über Europa, Nord¬ aſien und Nordamerika ſtanden, mochte der Enthaarungsprozeß längſt vollzogen ſein. Da in der Raumnot ging dann wohl ein erſtes neues Abſtrömen von Menſchen — diesmal von erſten echten Menſchen, nach Süden los. Das mag ſich in der Länge und den Wechſeln der Eiszeit unzählige Male neu vollzogen haben. Immer floſſen weichere, widerſtandsunfähigere
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0093"n="79"/>
überhaupt rechnen. So wenig aber die Erfindung ein ſo<lb/>
ganz Großes war, ſo wenig brauchte das Wiederentkleiden ein<lb/>
beſonders großer Abfallsakt zu ſein. Es wäre wohl nur einer<lb/>
geweſen unter vielen, die dieſe Naturvölker auf Wanderungen<lb/>
durchgemacht haben.</p><lb/><p>Die weſentliche Frage, auf die ſich alles konzentriert, iſt,<lb/>
ob man ein Herabwandern ſämtlicher Menſchenraſſen dieſer Erde<lb/>
von der Eiszeit-Gegend der Nordhalbkugel während oder gar<lb/>
nach dieſer Eiszeit annehmen will. Es läuft das auf die große,<lb/>
eigentlich von nirgendwoher noch direkt diskutierbare Frage<lb/>
hinaus, ob man ſich die Entſtehung des Menſchen irgendwo<lb/>
lokaliſiert denken will. Grade dann ſehe ich aber keine andere<lb/>
Denkbarkeit, wie ich dir früher ſchon ſagte, als das Heimats¬<lb/>
zentrum der höheren tertiären Säugerwelt: alſo die Nordhalb¬<lb/>
kugel bis in die wirklichen Eiszeitorte hinauf. Mit dem ſüd¬<lb/>
lichen Abſtrömen dieſer Tierwelt ſind, wie ſchon erwähnt, viel¬<lb/>
leicht Teile der allerälteſten Menſchheit ſüdwärts bereits mit¬<lb/>
geſtrömt: haarige Affenmenſchen das noch, von denen ſich aber<lb/>
lebend nichts bis heute erhalten hat. Das, was eigentlich<lb/>
Menſch in unſerem Kulturſinne werden ſollte, aber war eben<lb/>
dadurch gekennzeichnet, daß es zunächſt im Norden blieb. Im<lb/>
Zwange der Kälteperiode errang es ſeine erſte Kultur: Herd¬<lb/>
flamme, Waffe, Kleidung. Das Affenfell ging dabei in jenem<lb/>
Sinne allmählich verloren. Aber nun war die Eiszeit zweifel¬<lb/>
los ſehr lang. Ihre Wirkungen auf den Menſchen können<lb/>
ganz früh ſchon in ihrer Vorepoche, ihrer Inkubationszeit<lb/>ſo zu ſagen, angefangen haben. Als zum erſtenmal die Gletſcher<lb/>
dann wirklich als Binneneis grönlandhaft über Europa, Nord¬<lb/>
aſien und Nordamerika ſtanden, mochte der Enthaarungsprozeß<lb/>
längſt vollzogen ſein. Da in der Raumnot ging dann wohl<lb/>
ein erſtes neues Abſtrömen von Menſchen — diesmal von<lb/>
erſten echten Menſchen, nach Süden los. Das mag ſich in<lb/>
der Länge und den Wechſeln der Eiszeit unzählige Male neu<lb/>
vollzogen haben. Immer floſſen weichere, widerſtandsunfähigere<lb/></p></div></body></text></TEI>
[79/0093]
überhaupt rechnen. So wenig aber die Erfindung ein ſo
ganz Großes war, ſo wenig brauchte das Wiederentkleiden ein
beſonders großer Abfallsakt zu ſein. Es wäre wohl nur einer
geweſen unter vielen, die dieſe Naturvölker auf Wanderungen
durchgemacht haben.
Die weſentliche Frage, auf die ſich alles konzentriert, iſt,
ob man ein Herabwandern ſämtlicher Menſchenraſſen dieſer Erde
von der Eiszeit-Gegend der Nordhalbkugel während oder gar
nach dieſer Eiszeit annehmen will. Es läuft das auf die große,
eigentlich von nirgendwoher noch direkt diskutierbare Frage
hinaus, ob man ſich die Entſtehung des Menſchen irgendwo
lokaliſiert denken will. Grade dann ſehe ich aber keine andere
Denkbarkeit, wie ich dir früher ſchon ſagte, als das Heimats¬
zentrum der höheren tertiären Säugerwelt: alſo die Nordhalb¬
kugel bis in die wirklichen Eiszeitorte hinauf. Mit dem ſüd¬
lichen Abſtrömen dieſer Tierwelt ſind, wie ſchon erwähnt, viel¬
leicht Teile der allerälteſten Menſchheit ſüdwärts bereits mit¬
geſtrömt: haarige Affenmenſchen das noch, von denen ſich aber
lebend nichts bis heute erhalten hat. Das, was eigentlich
Menſch in unſerem Kulturſinne werden ſollte, aber war eben
dadurch gekennzeichnet, daß es zunächſt im Norden blieb. Im
Zwange der Kälteperiode errang es ſeine erſte Kultur: Herd¬
flamme, Waffe, Kleidung. Das Affenfell ging dabei in jenem
Sinne allmählich verloren. Aber nun war die Eiszeit zweifel¬
los ſehr lang. Ihre Wirkungen auf den Menſchen können
ganz früh ſchon in ihrer Vorepoche, ihrer Inkubationszeit
ſo zu ſagen, angefangen haben. Als zum erſtenmal die Gletſcher
dann wirklich als Binneneis grönlandhaft über Europa, Nord¬
aſien und Nordamerika ſtanden, mochte der Enthaarungsprozeß
längſt vollzogen ſein. Da in der Raumnot ging dann wohl
ein erſtes neues Abſtrömen von Menſchen — diesmal von
erſten echten Menſchen, nach Süden los. Das mag ſich in
der Länge und den Wechſeln der Eiszeit unzählige Male neu
vollzogen haben. Immer floſſen weichere, widerſtandsunfähigere
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/93>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.