Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.schlägt sie todt. Gut, ich weiß das; aber was wird ſchlägt ſie todt. Gut, ich weiß das; aber was wird <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0231" n="219"/> ſchlägt ſie todt. Gut, ich weiß das; aber was wird<lb/> aus ihnen nach dem Tode? Wehe, die Erziehung!<lb/> Sobald ein Menſch geboren wird — gleich umſtellen<lb/> und umlauern ihn die Mutter, die Amme, der Va¬<lb/> ter, die Wärterin; ſpäter kömmt der Lehrer, ſpäter<lb/> der Polizeimann dazu. Die Mutter bringt ein<lb/> Stückchen Zucker, die Amme ein Mährchen, die Wär¬<lb/> terin eine Ruthe, der Vater den Vorwurf, der Leh¬<lb/> rer den Stock, der Staat ſeine Ketten, ſein Henker¬<lb/> beil. Und zeigt ſich eine Kraft, rührt ſich, ſtammelt<lb/> nur eine Kraft — gleich wird ſie fortgeſchmeichelt,<lb/> fortgepredigt oder fortgezüchtigt. So werden wir<lb/> wohlerzogene Menſchen, ſo bekommen wir ſchöne Ta¬<lb/> lente. Wiſſen Sie was ein großes Talent heißt?<lb/> Ein Talent iſt eine große fette Gansleber. Es iſt<lb/> eine Krankheit; der Leber wird das ganze arme Thier<lb/> aufgeopfert. Wir werden in einen engen Stall ge¬<lb/> ſperrt, dürfen uns nicht bewegen, daß wir fett wer¬<lb/> den; werden geſtopft mit moraliſchem Welſchkorn<lb/> und gelehrten Nudeln, und dann ſchnaufen wir und<lb/> erſticken faſt vor Moral, Gelehrſamkeit und Polizei¬<lb/> furcht, und dann kömmt eine alte Köchin von Re¬<lb/> gierung, betaſtet uns, lobt uns, ſchlachtet uns, rupft<lb/> uns und benutzt unſere ſchönen Talente. Was nur<lb/> an uns ſtirbt möchte ich wiſſen; ich möchte wiſſen,<lb/> was nur der Tod an uns zu holen findet! Aber der<lb/> Tod iſt ein armer Hund; nichts als Knochen ſein<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [219/0231]
ſchlägt ſie todt. Gut, ich weiß das; aber was wird
aus ihnen nach dem Tode? Wehe, die Erziehung!
Sobald ein Menſch geboren wird — gleich umſtellen
und umlauern ihn die Mutter, die Amme, der Va¬
ter, die Wärterin; ſpäter kömmt der Lehrer, ſpäter
der Polizeimann dazu. Die Mutter bringt ein
Stückchen Zucker, die Amme ein Mährchen, die Wär¬
terin eine Ruthe, der Vater den Vorwurf, der Leh¬
rer den Stock, der Staat ſeine Ketten, ſein Henker¬
beil. Und zeigt ſich eine Kraft, rührt ſich, ſtammelt
nur eine Kraft — gleich wird ſie fortgeſchmeichelt,
fortgepredigt oder fortgezüchtigt. So werden wir
wohlerzogene Menſchen, ſo bekommen wir ſchöne Ta¬
lente. Wiſſen Sie was ein großes Talent heißt?
Ein Talent iſt eine große fette Gansleber. Es iſt
eine Krankheit; der Leber wird das ganze arme Thier
aufgeopfert. Wir werden in einen engen Stall ge¬
ſperrt, dürfen uns nicht bewegen, daß wir fett wer¬
den; werden geſtopft mit moraliſchem Welſchkorn
und gelehrten Nudeln, und dann ſchnaufen wir und
erſticken faſt vor Moral, Gelehrſamkeit und Polizei¬
furcht, und dann kömmt eine alte Köchin von Re¬
gierung, betaſtet uns, lobt uns, ſchlachtet uns, rupft
uns und benutzt unſere ſchönen Talente. Was nur
an uns ſtirbt möchte ich wiſſen; ich möchte wiſſen,
was nur der Tod an uns zu holen findet! Aber der
Tod iſt ein armer Hund; nichts als Knochen ſein
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