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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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sehe die Tausende von Menschen vorüber gehen,
und keiner weicht meinem Fenster aus, und keiner
fürchtet zerschmettert zu werden -- -- -- sollte nicht
jeder Mensch, wie ein Dachdecker, ein Warnungs¬
zeichen vor seine Wohnung hängen? Ist man denn
nur eine einzige Stunde seines Glückes sicher? Ist
einer sicher, daß er sich nicht in der nächsten Stunde
zum Fenster hinausstürzt, und dabei einen Vorüber¬
gehenden todt schlägt? Aber Morgen, Uebermorgen
entscheidet sich mein Schicksal und ich bin jetz ruhi¬
ger. Hören Sie meine jammervolle Geschichte. --
-- -- -- --

-- Ich habe Sonntag im Theater Francais
Hamlet gesehen -- einen Hamlet. So etwas kann
mich recht traurig machen. Was ist Schönheit, was
Hoheit, ja was jede Tugend? Sie sind nicht mehr
als was sie erscheinen, nichts Anders als wofür sie
jedes hält. Wenn aber dieser Jeder ein Volk ist,
ein ganzes Land, ein Jahrhundert? Dann ist der
Schein alles und die Wirklichkeit nichts für Alle.
Können nicht große Menschen, ja Völker und Jahr¬
hunderte gelebt haben, die wir gar nicht erkannt,
oder falsch, oder nicht genug? Vielleicht wird der
wahre Christ erst einem kommenden Geschlechte ge¬
bohren. Das ist die Traurigkeit. Was ist Shake¬
spare den Deutschen und was den Franzosen? Dü¬
cis hat diesen Hamlet vor siebenzig Jahren zurecht

ſehe die Tauſende von Menſchen vorüber gehen,
und keiner weicht meinem Fenſter aus, und keiner
fürchtet zerſchmettert zu werden — — — ſollte nicht
jeder Menſch, wie ein Dachdecker, ein Warnungs¬
zeichen vor ſeine Wohnung hängen? Iſt man denn
nur eine einzige Stunde ſeines Glückes ſicher? Iſt
einer ſicher, daß er ſich nicht in der nächſten Stunde
zum Fenſter hinausſtürzt, und dabei einen Vorüber¬
gehenden todt ſchlägt? Aber Morgen, Uebermorgen
entſcheidet ſich mein Schickſal und ich bin jetz ruhi¬
ger. Hören Sie meine jammervolle Geſchichte. —
— — — —

— Ich habe Sonntag im Theater Français
Hamlet geſehen — einen Hamlet. So etwas kann
mich recht traurig machen. Was iſt Schönheit, was
Hoheit, ja was jede Tugend? Sie ſind nicht mehr
als was ſie erſcheinen, nichts Anders als wofür ſie
jedes hält. Wenn aber dieſer Jeder ein Volk iſt,
ein ganzes Land, ein Jahrhundert? Dann iſt der
Schein alles und die Wirklichkeit nichts für Alle.
Können nicht große Menſchen, ja Völker und Jahr¬
hunderte gelebt haben, die wir gar nicht erkannt,
oder falſch, oder nicht genug? Vielleicht wird der
wahre Chriſt erſt einem kommenden Geſchlechte ge¬
bohren. Das iſt die Traurigkeit. Was iſt Shake¬
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cis hat dieſen Hamlet vor ſiebenzig Jahren zurecht

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[58/0070] ſehe die Tauſende von Menſchen vorüber gehen, und keiner weicht meinem Fenſter aus, und keiner fürchtet zerſchmettert zu werden — — — ſollte nicht jeder Menſch, wie ein Dachdecker, ein Warnungs¬ zeichen vor ſeine Wohnung hängen? Iſt man denn nur eine einzige Stunde ſeines Glückes ſicher? Iſt einer ſicher, daß er ſich nicht in der nächſten Stunde zum Fenſter hinausſtürzt, und dabei einen Vorüber¬ gehenden todt ſchlägt? Aber Morgen, Uebermorgen entſcheidet ſich mein Schickſal und ich bin jetz ruhi¬ ger. Hören Sie meine jammervolle Geſchichte. — — — — — — Ich habe Sonntag im Theater Français Hamlet geſehen — einen Hamlet. So etwas kann mich recht traurig machen. Was iſt Schönheit, was Hoheit, ja was jede Tugend? Sie ſind nicht mehr als was ſie erſcheinen, nichts Anders als wofür ſie jedes hält. Wenn aber dieſer Jeder ein Volk iſt, ein ganzes Land, ein Jahrhundert? Dann iſt der Schein alles und die Wirklichkeit nichts für Alle. Können nicht große Menſchen, ja Völker und Jahr¬ hunderte gelebt haben, die wir gar nicht erkannt, oder falſch, oder nicht genug? Vielleicht wird der wahre Chriſt erſt einem kommenden Geſchlechte ge¬ bohren. Das iſt die Traurigkeit. Was iſt Shake¬ ſpare den Deutſchen und was den Franzoſen? Dü¬ cis hat dieſen Hamlet vor ſiebenzig Jahren zurecht

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/70>, abgerufen am 28.11.2024.