Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.so oft das Leben zu entweichen droht, spannt man Es ist wirklich eine Schande, wie sehr die deut¬ ſo oft das Leben zu entweichen droht, ſpannt man Es iſt wirklich eine Schande, wie ſehr die deut¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0112" n="100"/> ſo oft das Leben zu entweichen droht, ſpannt man<lb/> uns ab, und bringt uns nicht eher wieder auf die<lb/> Folter, bis wir neue Kräfte geſammelt. Aber in<lb/> Rußland iſt man ſo weichherzig nicht. Befahl doch<lb/> neulich ein kaiſerlicher Ukas: <hi rendition="#g">Alle Zöglinge aller<lb/> Schulen im Reiche</hi>, <hi rendition="#g">die</hi> <hi rendition="#fr #g">ſich</hi> <hi rendition="#g">ſchlecht aufführ¬<lb/> ten</hi>, <hi rendition="#g">ſollten unter die Soldaten geſteckt</hi>,<lb/><hi rendition="#g">oder</hi>, <hi rendition="#g">wenn wegen körperlicher Mängel<lb/> dienſtunfähig</hi>, <hi rendition="#g">nach Sibirien verpflanzt<lb/> werden</hi>! Was man in einem despotiſchen Lande<lb/> wie dort, unter ſchlechter Aufführung der Jugend<lb/> verſteht, kann man ſich leicht denken. Das heißt<lb/> nicht: Schulden machen, ſpielen, trinken, die Lehr¬<lb/> ſtunden verſäumen, Liebſchaften haben — ſondern<lb/> das heißt: <hi rendition="#g">freiſinnige Meinungen offenba¬<lb/> ren</hi>. Und darum Knaben nach Sibirien verbannen!<lb/> Und darum die heiligen Bande der Mutterliebe zer¬<lb/> reißen! Und darum das Fundament der Welt un¬<lb/> tergraben! Das würde bei uns wirken. Aber was<lb/> geſchieht in Deutſchland? Höchſtens wird ein frei¬<lb/> ſinniger Mann zur Abbitte vor einem goldenen Rah¬<lb/> men und zur Zuchthausſtrafe auf unbeſtimmte Zeit<lb/> verurtheilt. Die deutſchen Höfe ſollten ihre Junker<lb/> nach Petersburg ſchicken, daß ſie dort regieren lernten.</p><lb/> <p>Es iſt wirklich eine Schande, wie ſehr die deut¬<lb/> ſchen Junker noch zurück ſind. Die in Sachſen ha¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [100/0112]
ſo oft das Leben zu entweichen droht, ſpannt man
uns ab, und bringt uns nicht eher wieder auf die
Folter, bis wir neue Kräfte geſammelt. Aber in
Rußland iſt man ſo weichherzig nicht. Befahl doch
neulich ein kaiſerlicher Ukas: Alle Zöglinge aller
Schulen im Reiche, die ſich ſchlecht aufführ¬
ten, ſollten unter die Soldaten geſteckt,
oder, wenn wegen körperlicher Mängel
dienſtunfähig, nach Sibirien verpflanzt
werden! Was man in einem despotiſchen Lande
wie dort, unter ſchlechter Aufführung der Jugend
verſteht, kann man ſich leicht denken. Das heißt
nicht: Schulden machen, ſpielen, trinken, die Lehr¬
ſtunden verſäumen, Liebſchaften haben — ſondern
das heißt: freiſinnige Meinungen offenba¬
ren. Und darum Knaben nach Sibirien verbannen!
Und darum die heiligen Bande der Mutterliebe zer¬
reißen! Und darum das Fundament der Welt un¬
tergraben! Das würde bei uns wirken. Aber was
geſchieht in Deutſchland? Höchſtens wird ein frei¬
ſinniger Mann zur Abbitte vor einem goldenen Rah¬
men und zur Zuchthausſtrafe auf unbeſtimmte Zeit
verurtheilt. Die deutſchen Höfe ſollten ihre Junker
nach Petersburg ſchicken, daß ſie dort regieren lernten.
Es iſt wirklich eine Schande, wie ſehr die deut¬
ſchen Junker noch zurück ſind. Die in Sachſen ha¬
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