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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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Ihr nicht warten, bis sich der Schmetterling entfal¬
tet. Gott gab dem Menschen die Zukunft, daß er
sie zur Gegenwart mache; aber wir sind zu faul
und niederträchtig feige, daß wir die Gegenwart zur
Zukunft werden lassen. Die Vergangenheit ist unsere
Gegenwart, und wir Narren sind zufrieden wenn wir
altbacken Brod essen. Jeder Fürst eines großen
Landes verzehrt das Glück von hunderttausend seiner
Unterthanen, jeder kleine Fürst nach Verhältniß noch
mehr. Jede Universität macht das Land zehn Mei¬
len in der Runde dumm. Wenige sollen Alles
wissen, damit Alle nichts wissen. Unsere Gelehrten
sind die Schatzmeister der Aufklärung. Diese Nar¬
ren bilden sich ein, sie würden von den Regierungen
gut bezahlt, damit sie den Schatz in Ruhe und Frie¬
den genießen. O nein; man stellt sie an daß sie den
Schatz wohl verschlossen halten, damit nichts davon
unter das Volk komme. Mit dem allein was die
Göttinger Bibliothek gekostet, könnte man in ganz
Deutschland Dorfbibliotheken errichten. Wenn man
dreißig Fürsten in zwanzig Millionen Bürger und
Bauern, wenn man dreißig Professoren in dreißig
tausend Schulmeister zerschlüge -- in jedem gehei¬
men Hofrath stecken ihrer tausend -- wäre ein gan¬
zes Volk wohlhabend, gebildet, sittlich und glücklich.
Dann würde das Unglück der Menschheit, der Traum
der Schlechten sein.

Ihr nicht warten, bis ſich der Schmetterling entfal¬
tet. Gott gab dem Menſchen die Zukunft, daß er
ſie zur Gegenwart mache; aber wir ſind zu faul
und niederträchtig feige, daß wir die Gegenwart zur
Zukunft werden laſſen. Die Vergangenheit iſt unſere
Gegenwart, und wir Narren ſind zufrieden wenn wir
altbacken Brod eſſen. Jeder Fürſt eines großen
Landes verzehrt das Glück von hunderttauſend ſeiner
Unterthanen, jeder kleine Fürſt nach Verhältniß noch
mehr. Jede Univerſität macht das Land zehn Mei¬
len in der Runde dumm. Wenige ſollen Alles
wiſſen, damit Alle nichts wiſſen. Unſere Gelehrten
ſind die Schatzmeiſter der Aufklärung. Dieſe Nar¬
ren bilden ſich ein, ſie würden von den Regierungen
gut bezahlt, damit ſie den Schatz in Ruhe und Frie¬
den genießen. O nein; man ſtellt ſie an daß ſie den
Schatz wohl verſchloſſen halten, damit nichts davon
unter das Volk komme. Mit dem allein was die
Göttinger Bibliothek gekoſtet, könnte man in ganz
Deutſchland Dorfbibliotheken errichten. Wenn man
dreißig Fürſten in zwanzig Millionen Bürger und
Bauern, wenn man dreißig Profeſſoren in dreißig
tauſend Schulmeiſter zerſchlüge — in jedem gehei¬
men Hofrath ſtecken ihrer tauſend — wäre ein gan¬
zes Volk wohlhabend, gebildet, ſittlich und glücklich.
Dann würde das Unglück der Menſchheit, der Traum
der Schlechten ſein.

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[57/0069] Ihr nicht warten, bis ſich der Schmetterling entfal¬ tet. Gott gab dem Menſchen die Zukunft, daß er ſie zur Gegenwart mache; aber wir ſind zu faul und niederträchtig feige, daß wir die Gegenwart zur Zukunft werden laſſen. Die Vergangenheit iſt unſere Gegenwart, und wir Narren ſind zufrieden wenn wir altbacken Brod eſſen. Jeder Fürſt eines großen Landes verzehrt das Glück von hunderttauſend ſeiner Unterthanen, jeder kleine Fürſt nach Verhältniß noch mehr. Jede Univerſität macht das Land zehn Mei¬ len in der Runde dumm. Wenige ſollen Alles wiſſen, damit Alle nichts wiſſen. Unſere Gelehrten ſind die Schatzmeiſter der Aufklärung. Dieſe Nar¬ ren bilden ſich ein, ſie würden von den Regierungen gut bezahlt, damit ſie den Schatz in Ruhe und Frie¬ den genießen. O nein; man ſtellt ſie an daß ſie den Schatz wohl verſchloſſen halten, damit nichts davon unter das Volk komme. Mit dem allein was die Göttinger Bibliothek gekoſtet, könnte man in ganz Deutſchland Dorfbibliotheken errichten. Wenn man dreißig Fürſten in zwanzig Millionen Bürger und Bauern, wenn man dreißig Profeſſoren in dreißig tauſend Schulmeiſter zerſchlüge — in jedem gehei¬ men Hofrath ſtecken ihrer tauſend — wäre ein gan¬ zes Volk wohlhabend, gebildet, ſittlich und glücklich. Dann würde das Unglück der Menſchheit, der Traum der Schlechten ſein.

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/69>, abgerufen am 18.05.2024.