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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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Wonach ich in diesen Liedern am begierigsten
sah, können Sie sich leicht denken. Nach den Ge¬
sinnungen und Aeußerungen Berangers über den Zu¬
stand Frankreichs. Mit wahrer Angst suchte ich das
auf; denn ich habe seit zwei Jahren oft flüstern hö¬
ren: nicht aus Mangel an Stoff ließ Beranger sei¬
nen Zorn schweigen, sondern aus einem andern Man¬
gel. Ich glaubte das halb und es machte mir Kum¬
mer. Ich glaubte es -- denn die schöne Zeit ist
nicht mehr, wo nur die Verläumdung edle Menschen
beschädigen konnte; das thut auch jetzt der Argwohn
der Guten, der wie ein Rost das reinste Gold der
Tugend verzehrt. Der Wein, welchen die Macht in
großen Strömen fließen läßt, die Vernunft und das
Herz der Welt zu überschwemmen, daß sie ihr Mit¬
schuldige werde, hat auch viele der Edelsten berauscht
und die Regierungen haben es in ihrer geheimen
Scheidekunst so weit gebracht, daß sie selbst aus Ro¬
senwasser das stärkste Gift destilliren können Dank
dem Himmel, das fand ich nicht in den Liedern;
ich fand aber auch nicht Alles was ich suchte.
Den Stoff den ihm die Regierung Louis Philipp's
angeboten, der viel schöner und reicher ist, als
der der frühern Zeit, hat Beranger träge bear¬
beitet. Aber es giebt außer der Bestechung durch
Geld, noch eine andere; die durch Worte und
Schmeicheleien. Viele von den alten Freunden Be¬

Wonach ich in dieſen Liedern am begierigſten
ſah, können Sie ſich leicht denken. Nach den Ge¬
ſinnungen und Aeußerungen Berangers über den Zu¬
ſtand Frankreichs. Mit wahrer Angſt ſuchte ich das
auf; denn ich habe ſeit zwei Jahren oft flüſtern hö¬
ren: nicht aus Mangel an Stoff ließ Beranger ſei¬
nen Zorn ſchweigen, ſondern aus einem andern Man¬
gel. Ich glaubte das halb und es machte mir Kum¬
mer. Ich glaubte es — denn die ſchöne Zeit iſt
nicht mehr, wo nur die Verläumdung edle Menſchen
beſchädigen konnte; das thut auch jetzt der Argwohn
der Guten, der wie ein Roſt das reinſte Gold der
Tugend verzehrt. Der Wein, welchen die Macht in
großen Strömen fließen läßt, die Vernunft und das
Herz der Welt zu überſchwemmen, daß ſie ihr Mit¬
ſchuldige werde, hat auch viele der Edelſten berauſcht
und die Regierungen haben es in ihrer geheimen
Scheidekunſt ſo weit gebracht, daß ſie ſelbſt aus Ro¬
ſenwaſſer das ſtärkſte Gift deſtilliren können Dank
dem Himmel, das fand ich nicht in den Liedern;
ich fand aber auch nicht Alles was ich ſuchte.
Den Stoff den ihm die Regierung Louis Philipp's
angeboten, der viel ſchöner und reicher iſt, als
der der frühern Zeit, hat Beranger träge bear¬
beitet. Aber es giebt außer der Beſtechung durch
Geld, noch eine andere; die durch Worte und
Schmeicheleien. Viele von den alten Freunden Be¬

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[58/0070] Wonach ich in dieſen Liedern am begierigſten ſah, können Sie ſich leicht denken. Nach den Ge¬ ſinnungen und Aeußerungen Berangers über den Zu¬ ſtand Frankreichs. Mit wahrer Angſt ſuchte ich das auf; denn ich habe ſeit zwei Jahren oft flüſtern hö¬ ren: nicht aus Mangel an Stoff ließ Beranger ſei¬ nen Zorn ſchweigen, ſondern aus einem andern Man¬ gel. Ich glaubte das halb und es machte mir Kum¬ mer. Ich glaubte es — denn die ſchöne Zeit iſt nicht mehr, wo nur die Verläumdung edle Menſchen beſchädigen konnte; das thut auch jetzt der Argwohn der Guten, der wie ein Roſt das reinſte Gold der Tugend verzehrt. Der Wein, welchen die Macht in großen Strömen fließen läßt, die Vernunft und das Herz der Welt zu überſchwemmen, daß ſie ihr Mit¬ ſchuldige werde, hat auch viele der Edelſten berauſcht und die Regierungen haben es in ihrer geheimen Scheidekunſt ſo weit gebracht, daß ſie ſelbſt aus Ro¬ ſenwaſſer das ſtärkſte Gift deſtilliren können Dank dem Himmel, das fand ich nicht in den Liedern; ich fand aber auch nicht Alles was ich ſuchte. Den Stoff den ihm die Regierung Louis Philipp's angeboten, der viel ſchöner und reicher iſt, als der der frühern Zeit, hat Beranger träge bear¬ beitet. Aber es giebt außer der Beſtechung durch Geld, noch eine andere; die durch Worte und Schmeicheleien. Viele von den alten Freunden Be¬

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/70>, abgerufen am 04.12.2024.