Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.Es ist etwas in den Deutschen, auch in den Es iſt etwas in den Deutſchen, auch in den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0090" n="78"/> <p>Es iſt etwas in den Deutſchen, auch in den<lb/> Freiſinnigen, was ich nicht verſtehe, wozu, mir es<lb/> begreiflich zu machen, meine Pſychologie nicht aus¬<lb/> reicht. Ich erſtaune täglich über die Gefühlloſigkeit,<lb/> mit welcher die liberalen Deputirten der Kammer die<lb/> unverſchämten Reden der Miniſter anhören. Ich<lb/> ſage nicht ſie ſollen der Gewalt, Gewalt entgegen<lb/> ſetzen; denn ſie haben keine. Ich ſage nicht: ſie<lb/><hi rendition="#g">ſollen</hi> der Frechheit wie es ſich gebührt antworten<lb/> und der Pflicht und Ehre ihren perſönlichen Vortheil<lb/> aufopfern; aber ich ſage: ſie ſollen ihr antworten<lb/><hi rendition="#g">müſſen</hi>. Ich bin auch kein Held, weder der Tapfer¬<lb/> keit noch der Tugend; ich würde vielleicht auch zahm<lb/> ſeyn der Macht gegenüber; ich wäre wohl auch nicht<lb/> aufopfernd genug für das Wohl des Volkes, das bei<lb/> uns ſolche Aufopferung ſelten vergütet, mit Weib<lb/> und Kindern zu verhungern; ſtünde ich der Anma¬<lb/> ßung eines Mächtigen gegenüber, würde ich vielleicht<lb/> auch überlegen und ſchweigen. Es gäbe aber Ver¬<lb/> hältniſſe in denen ich unfähig bliebe zu überlegen, in<lb/> denen mein Herz den Verſtand verdunkelte, und in<lb/> ſolchen Verhältniſſen ſtünde ich auch der Anmaßung<lb/> eines Königs gegenüber, würde ich ſeine Krone,<lb/> ſeine Kerker, ſeine Henker vergeſſen, und ihm begeg¬<lb/> nen wie es ſich gebührt. Ich könnte mich wie ein<lb/> Knecht, wie ein Verbrecher, wie ein Dummkopf ge¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [78/0090]
Es iſt etwas in den Deutſchen, auch in den
Freiſinnigen, was ich nicht verſtehe, wozu, mir es
begreiflich zu machen, meine Pſychologie nicht aus¬
reicht. Ich erſtaune täglich über die Gefühlloſigkeit,
mit welcher die liberalen Deputirten der Kammer die
unverſchämten Reden der Miniſter anhören. Ich
ſage nicht ſie ſollen der Gewalt, Gewalt entgegen
ſetzen; denn ſie haben keine. Ich ſage nicht: ſie
ſollen der Frechheit wie es ſich gebührt antworten
und der Pflicht und Ehre ihren perſönlichen Vortheil
aufopfern; aber ich ſage: ſie ſollen ihr antworten
müſſen. Ich bin auch kein Held, weder der Tapfer¬
keit noch der Tugend; ich würde vielleicht auch zahm
ſeyn der Macht gegenüber; ich wäre wohl auch nicht
aufopfernd genug für das Wohl des Volkes, das bei
uns ſolche Aufopferung ſelten vergütet, mit Weib
und Kindern zu verhungern; ſtünde ich der Anma¬
ßung eines Mächtigen gegenüber, würde ich vielleicht
auch überlegen und ſchweigen. Es gäbe aber Ver¬
hältniſſe in denen ich unfähig bliebe zu überlegen, in
denen mein Herz den Verſtand verdunkelte, und in
ſolchen Verhältniſſen ſtünde ich auch der Anmaßung
eines Königs gegenüber, würde ich ſeine Krone,
ſeine Kerker, ſeine Henker vergeſſen, und ihm begeg¬
nen wie es ſich gebührt. Ich könnte mich wie ein
Knecht, wie ein Verbrecher, wie ein Dummkopf ge¬
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