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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.

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[Gleich. 232] § 72. Verhältniss dieser Theorie zur Theorie Gibbs'.

Eliminirt man aus dieser und aus Gleichung 232) die
Grösse q, so erhält man wieder die Relation zwischen p, u
und T; eliminirt man aus denselben Gleichungen u, so erhält
man den Dissociationsgrad q als Function von p und T.

Allgemeinere Formeln würden aus der Annahme folgen,
dass einige Atome erster Gattung sich mit einigen zweiter,
dann erst diese Complexe wieder mit Atomen erster Gattung
verbinden, die aber mit den zuerst besprochenen Atomen erster
Gattung nicht zusammenhängen etc. (Isomerie).

Alle diese Formeln stimmen, soweit die bisherigen Beob-
achtungen reichen, mit der Erfahrung.

§ 72. Verhältniss dieser Theorie zur Theorie Gibbs'.

Wesentlich gleiche Formeln wurden von Gibbs1) aus den
allgemeinen Principien der Wärmelehre ohne Zuziehung der
Dynamik der Moleküle abgeleitet. Man vergesse jedoch nicht,
dass auch das Fundament der Gibbs'schen Ableitung in der An-
nahme besteht, dass in einem in Dissociation begriffenen Gase
sämmtliche Bestandtheile wie einzelne Gase unabhängig vorhan-
den sind und sich Energie, Entropie, Druck u.s.w. einfach addiren.
Diese Hypothese ist vom molekulartheoretischen Standpunkte
vollkommen klar, weil da wirklich die verschiedenen Moleküle
gesondert neben einander vorhanden sind und aus vielen Stellen
geht deutlich hervor, dass Gibbs auch diese molekulartheore-
tische Anschauung fortwährend vor Augen hatte, wenn er
auch von den Gleichungen der Molekularmechanik keinen Ge-
brauch machte.

Stellt man sich dagegen auf den modernen Standpunkt,
welcher von Mach2) und Ostwald3) am schärfsten ausge-
sprochen wurde, dass in der chemischen Verbindung einfach
etwas vollkommen Neues an die Stelle der Bestandtheile ge-

1) Conn. acad. trans. III, p. 108, 1875; Sill. Journ. 18, p. 277, 1879;
deutsch unter dem Titel Thermod. Studien von Ostwald, Leipzig 1892,
Engelmann; vergl. auch van der Waals, Verslagen d. k. Acad. v.
Wetensch. 15, p. 19, 1880; Planck, Wied. Ann. 30, S. 562, 1887; 31,
S. 189, 1887; 32, S. 462, 1887.
2) Populärwissenschaftliche Vorlesungen, Barth, 1896, Vorl. XI. Die
ökonomische Natur der phys. Forschung, S. 219.
3) Die Ueberwindung des wissenschaftl. Materialismus. Verh. d.
Ges. d. Naturf. I, S. 5 und 6, 1895.
14*
[Gleich. 232] § 72. Verhältniss dieser Theorie zur Theorie Gibbs’.

Eliminirt man aus dieser und aus Gleichung 232) die
Grösse q, so erhält man wieder die Relation zwischen p, υ
und T; eliminirt man aus denselben Gleichungen υ, so erhält
man den Dissociationsgrad q als Function von p und T.

Allgemeinere Formeln würden aus der Annahme folgen,
dass einige Atome erster Gattung sich mit einigen zweiter,
dann erst diese Complexe wieder mit Atomen erster Gattung
verbinden, die aber mit den zuerst besprochenen Atomen erster
Gattung nicht zusammenhängen etc. (Isomerie).

Alle diese Formeln stimmen, soweit die bisherigen Beob-
achtungen reichen, mit der Erfahrung.

§ 72. Verhältniss dieser Theorie zur Theorie Gibbs’.

Wesentlich gleiche Formeln wurden von Gibbs1) aus den
allgemeinen Principien der Wärmelehre ohne Zuziehung der
Dynamik der Moleküle abgeleitet. Man vergesse jedoch nicht,
dass auch das Fundament der Gibbs’schen Ableitung in der An-
nahme besteht, dass in einem in Dissociation begriffenen Gase
sämmtliche Bestandtheile wie einzelne Gase unabhängig vorhan-
den sind und sich Energie, Entropie, Druck u.s.w. einfach addiren.
Diese Hypothese ist vom molekulartheoretischen Standpunkte
vollkommen klar, weil da wirklich die verschiedenen Moleküle
gesondert neben einander vorhanden sind und aus vielen Stellen
geht deutlich hervor, dass Gibbs auch diese molekulartheore-
tische Anschauung fortwährend vor Augen hatte, wenn er
auch von den Gleichungen der Molekularmechanik keinen Ge-
brauch machte.

Stellt man sich dagegen auf den modernen Standpunkt,
welcher von Mach2) und Ostwald3) am schärfsten ausge-
sprochen wurde, dass in der chemischen Verbindung einfach
etwas vollkommen Neues an die Stelle der Bestandtheile ge-

1) Conn. acad. trans. III, p. 108, 1875; Sill. Journ. 18, p. 277, 1879;
deutsch unter dem Titel Thermod. Studien von Ostwald, Leipzig 1892,
Engelmann; vergl. auch van der Waals, Verslagen d. k. Acad. v.
Wetensch. 15, p. 19, 1880; Planck, Wied. Ann. 30, S. 562, 1887; 31,
S. 189, 1887; 32, S. 462, 1887.
2) Populärwissenschaftliche Vorlesungen, Barth, 1896, Vorl. XI. Die
ökonomische Natur der phys. Forschung, S. 219.
3) Die Ueberwindung des wissenschaftl. Materialismus. Verh. d.
Ges. d. Naturf. I, S. 5 und 6, 1895.
14*
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[211/0229] [Gleich. 232] § 72. Verhältniss dieser Theorie zur Theorie Gibbs’. Eliminirt man aus dieser und aus Gleichung 232) die Grösse q, so erhält man wieder die Relation zwischen p, υ und T; eliminirt man aus denselben Gleichungen υ, so erhält man den Dissociationsgrad q als Function von p und T. Allgemeinere Formeln würden aus der Annahme folgen, dass einige Atome erster Gattung sich mit einigen zweiter, dann erst diese Complexe wieder mit Atomen erster Gattung verbinden, die aber mit den zuerst besprochenen Atomen erster Gattung nicht zusammenhängen etc. (Isomerie). Alle diese Formeln stimmen, soweit die bisherigen Beob- achtungen reichen, mit der Erfahrung. § 72. Verhältniss dieser Theorie zur Theorie Gibbs’. Wesentlich gleiche Formeln wurden von Gibbs 1) aus den allgemeinen Principien der Wärmelehre ohne Zuziehung der Dynamik der Moleküle abgeleitet. Man vergesse jedoch nicht, dass auch das Fundament der Gibbs’schen Ableitung in der An- nahme besteht, dass in einem in Dissociation begriffenen Gase sämmtliche Bestandtheile wie einzelne Gase unabhängig vorhan- den sind und sich Energie, Entropie, Druck u.s.w. einfach addiren. Diese Hypothese ist vom molekulartheoretischen Standpunkte vollkommen klar, weil da wirklich die verschiedenen Moleküle gesondert neben einander vorhanden sind und aus vielen Stellen geht deutlich hervor, dass Gibbs auch diese molekulartheore- tische Anschauung fortwährend vor Augen hatte, wenn er auch von den Gleichungen der Molekularmechanik keinen Ge- brauch machte. Stellt man sich dagegen auf den modernen Standpunkt, welcher von Mach 2) und Ostwald 3) am schärfsten ausge- sprochen wurde, dass in der chemischen Verbindung einfach etwas vollkommen Neues an die Stelle der Bestandtheile ge- 1) Conn. acad. trans. III, p. 108, 1875; Sill. Journ. 18, p. 277, 1879; deutsch unter dem Titel Thermod. Studien von Ostwald, Leipzig 1892, Engelmann; vergl. auch van der Waals, Verslagen d. k. Acad. v. Wetensch. 15, p. 19, 1880; Planck, Wied. Ann. 30, S. 562, 1887; 31, S. 189, 1887; 32, S. 462, 1887. 2) Populärwissenschaftliche Vorlesungen, Barth, 1896, Vorl. XI. Die ökonomische Natur der phys. Forschung, S. 219. 3) Die Ueberwindung des wissenschaftl. Materialismus. Verh. d. Ges. d. Naturf. I, S. 5 und 6, 1895. 14*

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/229>, abgerufen am 24.11.2024.