Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.VI. Abschnitt. [Gleich. 232] treten sei, so hat es keine Bedeutung anzunehmen, dass z. B.während der Dissociation des Wasserdampfes in dem Raume Wasserdampf, Wasserstoff und Sauerstoff gleichzeitig neben einander bestünden, sondern man muss consequent sagen, dass bei niederer Temperatur nur Wasserdampf, bei Zwischentem- peraturen etwas ganz Neues vorhanden ist, was endlich bei sehr hohen Temperaturen in Knallgas übergeht. Die Annahme, dass bei diesen Zwischentemperaturen sich Es ist keine Frage, dass zur Berechnung der Naturvor- Es ist noch zu erwähnen, dass wir hier nur die einfachsten 1) Pelabon, Doctordiss. d. Univ. Bordeaux, Paris bei A. Hermann 1898.
VI. Abschnitt. [Gleich. 232] treten sei, so hat es keine Bedeutung anzunehmen, dass z. B.während der Dissociation des Wasserdampfes in dem Raume Wasserdampf, Wasserstoff und Sauerstoff gleichzeitig neben einander bestünden, sondern man muss consequent sagen, dass bei niederer Temperatur nur Wasserdampf, bei Zwischentem- peraturen etwas ganz Neues vorhanden ist, was endlich bei sehr hohen Temperaturen in Knallgas übergeht. Die Annahme, dass bei diesen Zwischentemperaturen sich Es ist keine Frage, dass zur Berechnung der Naturvor- Es ist noch zu erwähnen, dass wir hier nur die einfachsten 1) Pelabon, Doctordiss. d. Univ. Bordeaux, Paris bei A. Hermann 1898.
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VI. Abschnitt. [Gleich. 232]
treten sei, so hat es keine Bedeutung anzunehmen, dass z. B.
während der Dissociation des Wasserdampfes in dem Raume
Wasserdampf, Wasserstoff und Sauerstoff gleichzeitig neben
einander bestünden, sondern man muss consequent sagen, dass
bei niederer Temperatur nur Wasserdampf, bei Zwischentem-
peraturen etwas ganz Neues vorhanden ist, was endlich bei
sehr hohen Temperaturen in Knallgas übergeht.
Die Annahme, dass bei diesen Zwischentemperaturen sich
die Energie und Entropie von Wasserdampf und Knallgas
addiren, verliert dann jeden Sinn; ohne diese Annahme können
aber die Grundgleichungen der Dissociation weder aus dem
ersten und zweiten Hauptsatze der mechanischen Wärmetheorie,
noch aus irgend welchen energetischen Principien abgeleitet
werden. Es bleibt also nichts übrig, als dieselben einfach als
empirisch gegeben zu betrachten.
Es ist keine Frage, dass zur Berechnung der Naturvor-
gänge die blossen Gleichungen ohne deren Begründung aus-
reichen; ebenso wenig, dass empirisch bestätigte Gleichungen
einen höheren Grad von Sicherheit haben, als die zu ihrer
Begründung dienenden Hypothesen. Aber andererseits scheint
mir die mechanische Begründung zur Veranschaulichung der
abstracten Gleichungen in ähnlicher Weise förderlich, wie in
anderen Fällen die geometrische Construction algebraischer
Relationen. So wenig letztere durch die blosse Algebra jemals
wird ganz überflüssig gemacht werden, ebenso wenig glaube
ich, dass man die Veranschaulichung der für die Wirkung
makroskopischer Massen geltenden Gesetze durch die Dynamik
der Moleküle je wird ganz entbehren können, selbst wenn man
an der Erkennbarkeit, ja an der Existenz der Moleküle zweifelt.
Gerade die Anschauung ist ja für die Erkenntniss ebenso wichtig,
als die Fixirung der Resultate durch Gesetze und Formeln.
Es ist noch zu erwähnen, dass wir hier nur die einfachsten
Beziehungen, welche zu dem sogenannten theoretischen Disso-
ciationsgleichgewichte Veranlassung geben, discutirt haben. Erst
ein tieferes Eingehen in die Molekularmechanik giebt dann
auch von den Erscheinungen Rechenschaft, welche man als
falsches chemisches Gleichgewicht bezeichnet. 1) Zu diesen ge-
1) Pelabon, Doctordiss. d. Univ. Bordeaux, Paris bei A. Hermann 1898.
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