Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

pbo_070.001
der Verse zu aufeinderfolgenden Reimpaaren. Dadurch, pbo_070.002
daß er die ununterbrochene Folge der Alexandriner und pbo_070.003
die stete parige Reimung mied, suchte in neuerer Zeit pbo_070.004
Freiligrath dem arg in Mißkredit geratenen früheren pbo_070.005
Herrscherverse wieder aufzuhelfen.

pbo_070.006
Spring an mein Wüstenroß aus Alexandria! .. pbo_070.007
Das ist der Renner nicht, den Boileau gezäumt pbo_070.008
Und mit Franzosenwitz geschulet!*)

pbo_070.009
Die hier von Freiligrath beliebte poetische Etymologie pbo_070.010
des Alexandriners ist insofern auch wissenschaftlich nicht ganz pbo_070.011
abzuweisen, als gerade in der Zeit seines Aufkommens (13. Jh.) pbo_070.012
arabischer Einfluß wohl in Betracht zu ziehen ist, der damals pbo_070.013
der europäischen Ausdrucksweise eine Menge von Wörtern pbo_070.014
lieh (gerade solche an der Anfangssilbe al kenntliche, sonst pbo_070.015
mannigfach entstellte). Ein altfranzösisches Gedicht über Alexander pbo_070.016
den Großen oder dessen Verfasser werden sonst als pbo_070.017
Taufpathen des berühmten und berüchtigten Verses genannt.

pbo_070.018
Gänzlich unstatthaft wird gewöhnlich auch die altdeutsche pbo_070.019
epische Langzeile, mit ihrem neueren Vertreter allgemein als pbo_070.020
Nibelungenvers bezeichnet, einfach als "sechsfüßiger Jambus" pbo_070.021
aufgeführt Das giebt ein falsches Bild von der Entstehung pbo_070.022
und dem Charakter dieses Doppelverses. Denn er pbo_070.023
ist aus der rein äußerlichen Combination zweier metrisch selbstständiger, pbo_070.024
nur durch den Stabreim in den zwei oder drei entschiedensten pbo_070.025
Hebungen zusammengehaltener Verse entstanden. pbo_070.026
So im alten Hildebrandsliede:

pbo_070.027
wnelaga nu wnaltant got wnewurt skihit pbo_070.028
ih wallota snumaro enti wintro snehstic ur lante

*) pbo_070.029
Der Alexandriner. Ferd. Freiligraths Gesammelte Dichtungen Stuttg. pbo_070.030
1886 Bd. I S. 87.

pbo_070.001
der Verse zu aufeinderfolgenden Reimpaaren. Dadurch, pbo_070.002
daß er die ununterbrochene Folge der Alexandriner und pbo_070.003
die stete parige Reimung mied, suchte in neuerer Zeit pbo_070.004
Freiligrath dem arg in Mißkredit geratenen früheren pbo_070.005
Herrscherverse wieder aufzuhelfen.

pbo_070.006
Spring an mein Wüstenroß aus Alexandria! .. pbo_070.007
Das ist der Renner nicht, den Boileau gezäumt pbo_070.008
Und mit Franzosenwitz geschulet!*)

pbo_070.009
Die hier von Freiligrath beliebte poetische Etymologie pbo_070.010
des Alexandriners ist insofern auch wissenschaftlich nicht ganz pbo_070.011
abzuweisen, als gerade in der Zeit seines Aufkommens (13. Jh.) pbo_070.012
arabischer Einfluß wohl in Betracht zu ziehen ist, der damals pbo_070.013
der europäischen Ausdrucksweise eine Menge von Wörtern pbo_070.014
lieh (gerade solche an der Anfangssilbe al kenntliche, sonst pbo_070.015
mannigfach entstellte). Ein altfranzösisches Gedicht über Alexander pbo_070.016
den Großen oder dessen Verfasser werden sonst als pbo_070.017
Taufpathen des berühmten und berüchtigten Verses genannt.

pbo_070.018
Gänzlich unstatthaft wird gewöhnlich auch die altdeutsche pbo_070.019
epische Langzeile, mit ihrem neueren Vertreter allgemein als pbo_070.020
Nibelungenvers bezeichnet, einfach als „sechsfüßiger Jambus“ pbo_070.021
aufgeführt Das giebt ein falsches Bild von der Entstehung pbo_070.022
und dem Charakter dieses Doppelverses. Denn er pbo_070.023
ist aus der rein äußerlichen Combination zweier metrisch selbstständiger, pbo_070.024
nur durch den Stabreim in den zwei oder drei entschiedensten pbo_070.025
Hebungen zusammengehaltener Verse entstanden. pbo_070.026
So im alten Hildebrandsliede:

pbo_070.027
w̄élaga nu w̄áltant got w̄êwurt skihit pbo_070.028
ih wallôta s̄úmaro enti wintro s̄éhstic ur lante

*) pbo_070.029
Der Alexandriner. Ferd. Freiligraths Gesammelte Dichtungen Stuttg. pbo_070.030
1886 Bd. I S. 87.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0074" n="70"/><lb n="pbo_070.001"/>
der Verse zu aufeinderfolgenden Reimpaaren. Dadurch, <lb n="pbo_070.002"/>
daß er die ununterbrochene Folge der Alexandriner und <lb n="pbo_070.003"/>
die stete parige Reimung mied, suchte in neuerer Zeit <lb n="pbo_070.004"/> <hi rendition="#g">Freiligrath</hi> dem arg in Mißkredit geratenen früheren <lb n="pbo_070.005"/>
Herrscherverse wieder aufzuhelfen.</p>
              <lb n="pbo_070.006"/>
              <lg>
                <l>Spring an mein Wüstenroß aus Alexandria! .. </l>
                <lb n="pbo_070.007"/>
                <l>Das ist der Renner nicht, den Boileau gezäumt</l>
                <lb n="pbo_070.008"/>
                <l>Und mit Franzosenwitz geschulet!<note corresp="PBO_070_*" place="foot" n="*)"><lb n="pbo_070.029"/>
Der Alexandriner. Ferd. Freiligraths Gesammelte Dichtungen <choice><sic>Stutg.</sic><corr>Stuttg.</corr></choice> <lb n="pbo_070.030"/>
1886 Bd. I S. 87.</note></l>
              </lg>
              <p><lb n="pbo_070.009"/>
Die hier von Freiligrath beliebte poetische Etymologie <lb n="pbo_070.010"/>
des Alexandriners ist insofern auch wissenschaftlich nicht ganz <lb n="pbo_070.011"/>
abzuweisen, als gerade in der Zeit seines Aufkommens (13. Jh.) <lb n="pbo_070.012"/>
arabischer Einfluß wohl in Betracht zu ziehen ist, der damals <lb n="pbo_070.013"/>
der europäischen Ausdrucksweise eine Menge von Wörtern <lb n="pbo_070.014"/>
lieh (gerade solche an der Anfangssilbe al kenntliche, sonst <lb n="pbo_070.015"/>
mannigfach entstellte). Ein altfranzösisches Gedicht über Alexander <lb n="pbo_070.016"/>
den Großen oder dessen Verfasser werden sonst als <lb n="pbo_070.017"/>
Taufpathen des berühmten und berüchtigten Verses genannt.</p>
              <p><lb n="pbo_070.018"/>
Gänzlich unstatthaft wird gewöhnlich auch die altdeutsche <lb n="pbo_070.019"/>
epische Langzeile, mit ihrem neueren Vertreter allgemein als <lb n="pbo_070.020"/> <hi rendition="#g">Nibelungenvers</hi> bezeichnet, einfach als &#x201E;sechsfüßiger Jambus&#x201C; <lb n="pbo_070.021"/>
aufgeführt Das giebt ein falsches Bild von der Entstehung <lb n="pbo_070.022"/>
und dem Charakter dieses Doppelverses. Denn er <lb n="pbo_070.023"/>
ist aus der rein äußerlichen Combination zweier metrisch selbstständiger, <lb n="pbo_070.024"/>
nur durch den Stabreim in den zwei oder drei entschiedensten <lb n="pbo_070.025"/>
Hebungen zusammengehaltener Verse entstanden. <lb n="pbo_070.026"/>
So im alten Hildebrandsliede:</p>
              <lb n="pbo_070.027"/>
              <lg>
                <l>w&#x0304;élaga nu w&#x0304;áltant got w&#x0304;êwurt skihit </l>
                <lb n="pbo_070.028"/>
                <l>ih wallôta s&#x0304;úmaro enti wintro s&#x0304;éhstic ur lante</l>
              </lg>
              <p>  </p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0074] pbo_070.001 der Verse zu aufeinderfolgenden Reimpaaren. Dadurch, pbo_070.002 daß er die ununterbrochene Folge der Alexandriner und pbo_070.003 die stete parige Reimung mied, suchte in neuerer Zeit pbo_070.004 Freiligrath dem arg in Mißkredit geratenen früheren pbo_070.005 Herrscherverse wieder aufzuhelfen. pbo_070.006 Spring an mein Wüstenroß aus Alexandria! .. pbo_070.007 Das ist der Renner nicht, den Boileau gezäumt pbo_070.008 Und mit Franzosenwitz geschulet! *) pbo_070.009 Die hier von Freiligrath beliebte poetische Etymologie pbo_070.010 des Alexandriners ist insofern auch wissenschaftlich nicht ganz pbo_070.011 abzuweisen, als gerade in der Zeit seines Aufkommens (13. Jh.) pbo_070.012 arabischer Einfluß wohl in Betracht zu ziehen ist, der damals pbo_070.013 der europäischen Ausdrucksweise eine Menge von Wörtern pbo_070.014 lieh (gerade solche an der Anfangssilbe al kenntliche, sonst pbo_070.015 mannigfach entstellte). Ein altfranzösisches Gedicht über Alexander pbo_070.016 den Großen oder dessen Verfasser werden sonst als pbo_070.017 Taufpathen des berühmten und berüchtigten Verses genannt. pbo_070.018 Gänzlich unstatthaft wird gewöhnlich auch die altdeutsche pbo_070.019 epische Langzeile, mit ihrem neueren Vertreter allgemein als pbo_070.020 Nibelungenvers bezeichnet, einfach als „sechsfüßiger Jambus“ pbo_070.021 aufgeführt Das giebt ein falsches Bild von der Entstehung pbo_070.022 und dem Charakter dieses Doppelverses. Denn er pbo_070.023 ist aus der rein äußerlichen Combination zweier metrisch selbstständiger, pbo_070.024 nur durch den Stabreim in den zwei oder drei entschiedensten pbo_070.025 Hebungen zusammengehaltener Verse entstanden. pbo_070.026 So im alten Hildebrandsliede: pbo_070.027 w̄élaga nu w̄áltant got w̄êwurt skihit pbo_070.028 ih wallôta s̄úmaro enti wintro s̄éhstic ur lante *) pbo_070.029 Der Alexandriner. Ferd. Freiligraths Gesammelte Dichtungen Stuttg. pbo_070.030 1886 Bd. I S. 87.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: manuell (doppelt erfasst).

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;

Hervorhebungen durch Wechsel von Fraktur zu Antiqua: nicht gekennzeichnet




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/74
Zitationshilfe: Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/74>, abgerufen am 22.11.2024.