pbo_079.002 Anapästische Verse sind charakteristisch für die chorischen pbo_079.003 Abschlüsse im antiken Drama. Daß die Alten gerade bei pbo_079.004 diesem Anlaß zum anapästischen Verse griffen, läßt namentlich pbo_079.005 am Schlusse der Dramen (so aller erhaltenen Sophokleischen pbo_079.006 außer, wie schon oben berührt, im König Oedipus) ihre pbo_079.007 hohe Kunstweisheit wieder recht hervorleuchten. Denn der pbo_079.008 Tonfall der Anapäste, der ja zu den Taktschlüssen hineilt, pbo_079.009 hat recht etwas zum Abschluß hindrängendes; auch dann, wenn, pbo_079.010 wie im daktylischen Takt die beiden kurzen (leichten) Silben pbo_079.011 zu einer langen zusammengezogen sind, oder rhythmisch gegesprochen pbo_079.012 jambischer Takt stellvertretend eintritt. Dieser Eindruck pbo_079.013 wird noch verstärkt, wenn, wie in den angeführten Mustern, pbo_079.014 mehrere vollständige anapästische Reihen schließlich auf eine pbo_079.015 unvollständige (katalektische) hinausgeführt und so gleichsam pbo_079.016 zum Stocken gebracht werden. Der Typus für diese Anapästen pbo_079.017 ist der Viertakter:
pbo_079.018
Wohl viel | mag schaun | und im Schau | en der Mensch | pbo_079.019 Ausspähn |; doch eh | er geschaut | weissagt |pbo_079.020 Kein Mensch | die Geschick | e der Zu | kunft.
pbo_079.021 Platens komische Nachahmung in den bereits angeführten pbo_079.022 Aristophanischen Lustspielen zieht im Dialog je einen pbo_079.023 akatalektischen und katalektischen anapästischen Viertakter zu pbo_079.024 einer Langzeile zusammen, um mit den trochäischen Oktonaren pbo_079.025 der Parabase abzuwechseln. Der energischere, klassisch geweihte pbo_079.026 Rhythmus erlaubt ihm dann, aus der komischen Atemlosigkeit pbo_079.027 heraus gelegentlich ernstere Töne anzuschlagen:
pbo_079.028
Wenn streng der Poet voll feurigen Spotts | der empor sich pbo_079.029 schraubenden Ohnmacht
pbo_079.001
§ 53. Anapästische Verse.
pbo_079.002 Anapästische Verse sind charakteristisch für die chorischen pbo_079.003 Abschlüsse im antiken Drama. Daß die Alten gerade bei pbo_079.004 diesem Anlaß zum anapästischen Verse griffen, läßt namentlich pbo_079.005 am Schlusse der Dramen (so aller erhaltenen Sophokleischen pbo_079.006 außer, wie schon oben berührt, im König Oedipus) ihre pbo_079.007 hohe Kunstweisheit wieder recht hervorleuchten. Denn der pbo_079.008 Tonfall der Anapäste, der ja zu den Taktschlüssen hineilt, pbo_079.009 hat recht etwas zum Abschluß hindrängendes; auch dann, wenn, pbo_079.010 wie im daktylischen Takt die beiden kurzen (leichten) Silben pbo_079.011 zu einer langen zusammengezogen sind, oder rhythmisch gegesprochen pbo_079.012 jambischer Takt stellvertretend eintritt. Dieser Eindruck pbo_079.013 wird noch verstärkt, wenn, wie in den angeführten Mustern, pbo_079.014 mehrere vollständige anapästische Reihen schließlich auf eine pbo_079.015 unvollständige (katalektische) hinausgeführt und so gleichsam pbo_079.016 zum Stocken gebracht werden. Der Typus für diese Anapästen pbo_079.017 ist der Viertakter:
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Wohl víel | mag scháun | und im Scháu | en der Mensch | pbo_079.019 Ausspä́hn |; doch éh | er gescháut | weisságt |pbo_079.020 Kein Ménsch | die Geschíck | e der Zú | kunft.
pbo_079.021 Platens komische Nachahmung in den bereits angeführten pbo_079.022 Aristophanischen Lustspielen zieht im Dialog je einen pbo_079.023 akatalektischen und katalektischen anapästischen Viertakter zu pbo_079.024 einer Langzeile zusammen, um mit den trochäischen Oktonaren pbo_079.025 der Parabase abzuwechseln. Der energischere, klassisch geweihte pbo_079.026 Rhythmus erlaubt ihm dann, aus der komischen Atemlosigkeit pbo_079.027 heraus gelegentlich ernstere Töne anzuschlagen:
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Abschlüsse im antiken Drama. Daß die Alten gerade bei pbo_079.004
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zu einer langen zusammengezogen sind, oder rhythmisch gegesprochen pbo_079.012
jambischer Takt stellvertretend eintritt. Dieser Eindruck pbo_079.013
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unvollständige (katalektische) hinausgeführt und so gleichsam pbo_079.016
zum Stocken gebracht werden. Der Typus für diese Anapästen pbo_079.017
ist der Viertakter:
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Wohl víel | mag scháun | und im Scháu | en der Mensch | pbo_079.019
Ausspä́hn |; doch éh | er gescháut | weisságt | pbo_079.020
Kein Ménsch | die Geschíck | e der Zú | kunft.
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Platens komische Nachahmung in den bereits angeführten pbo_079.022
Aristophanischen Lustspielen zieht im Dialog je einen pbo_079.023
akatalektischen und katalektischen anapästischen Viertakter zu pbo_079.024
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der Parabase abzuwechseln. Der energischere, klassisch geweihte pbo_079.026
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Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/83>, abgerufen am 30.07.2024.
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