Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

faltiger Ereignisse das, was mit einander in Verbindung steht
oder zu stehen scheint, geordnet auffaßt. Unsre Geistes-Anlagen
nöthigen uns, überall eine Verbindung von Ursache und Wirkung
aufzusuchen, und der Beobachter der Naturphänomene fühlt sich
daher sogleich zu der Frage veranlaßt, ob unter zwei auf einander
folgenden Erscheinungen die eine als Ursache der andern anzusehen
sei. Um diese Frage zu entscheiden, muß er sich in den meisten
Fällen an die Erfahrung wenden, und jener vermuthete Zusam-
menhang dient daher seiner Aufmerksamkeit zur Leitung; er achtet
darauf, ob jene zwei Erscheinungen immer so verbunden vorkom-
men, und erst, wenn er das durch wiederholte Beobachtung be-
stätigt findet, hält er sich berechtiget, in der einen die nächste Ur-
sache der andern anzuerkennen. Da fast keine Erscheinung sich oft
wiederholt ganz auf dieselbe Weise zuträgt, sondern oft Nebenum-
stände Verschiedenheiten hervorbringen, so führt gewöhnlich eine
wiederholte Beobachtung zur Kenntniß dieser Nebenumstände, und
lehrt uns eben dadurch die wesentliche Ursache um so sicherer und
genauer kennen, wenn wir sie bei allen den, in andrer Hinsicht ab-
geänderten Umständen wieder finden. So kann selbst bloße Beob-
achtung uns zu der Kenntniß der nächsten Ursache einer Erschei-
nung führen; aber diese Kenntniß wird noch sicherer bestätigt,
wenn es uns gelingt, eben die Erscheinung durch einen Versuch,
durch ein Experiment, hervorzubringen. Bei dem Versuche
bringen wir die Umstände selbst hervor, durch welche, unsrer Mei-
nung nach, jene Erscheinung bewirkt werden soll, und der Versuch
bestätigt unsre Meinung, wenn er immer, bei richtiger Anordnung
eben den Erfolg giebt. Der Versuch lehrt gewöhnlich dann noch
mehr; denn entweder tritt durch Zufall einmal eine kleine Abän-
derung der Umstände ein, welche zum Gelingen des Versuches er-
fordert werden, und wir erlangen dadurch Belehrung über die
Ursache seines Mislingens, oder wir ändern absichtlich die Umstände
ab, um uns über die Verschiedenheiten des Erfolges zu belehren.
In dieser mit bestimmter Absicht angeordneten Abänderung zeigt
sich oft der Scharfsinn des Physikers in seinem schönsten Lichte,
wenn er die Ungleichheit der Erfolge voraus sieht, welche aus jenen
Abänderungen wahrscheinlich hervorgehen müssen, und die Ent-
wickelung der einzelnen Lehren wird uns Beispiele genug liefern,

faltiger Ereigniſſe das, was mit einander in Verbindung ſteht
oder zu ſtehen ſcheint, geordnet auffaßt. Unſre Geiſtes-Anlagen
noͤthigen uns, uͤberall eine Verbindung von Urſache und Wirkung
aufzuſuchen, und der Beobachter der Naturphaͤnomene fuͤhlt ſich
daher ſogleich zu der Frage veranlaßt, ob unter zwei auf einander
folgenden Erſcheinungen die eine als Urſache der andern anzuſehen
ſei. Um dieſe Frage zu entſcheiden, muß er ſich in den meiſten
Faͤllen an die Erfahrung wenden, und jener vermuthete Zuſam-
menhang dient daher ſeiner Aufmerkſamkeit zur Leitung; er achtet
darauf, ob jene zwei Erſcheinungen immer ſo verbunden vorkom-
men, und erſt, wenn er das durch wiederholte Beobachtung be-
ſtaͤtigt findet, haͤlt er ſich berechtiget, in der einen die naͤchſte Ur-
ſache der andern anzuerkennen. Da faſt keine Erſcheinung ſich oft
wiederholt ganz auf dieſelbe Weiſe zutraͤgt, ſondern oft Nebenum-
ſtaͤnde Verſchiedenheiten hervorbringen, ſo fuͤhrt gewoͤhnlich eine
wiederholte Beobachtung zur Kenntniß dieſer Nebenumſtaͤnde, und
lehrt uns eben dadurch die weſentliche Urſache um ſo ſicherer und
genauer kennen, wenn wir ſie bei allen den, in andrer Hinſicht ab-
geaͤnderten Umſtaͤnden wieder finden. So kann ſelbſt bloße Beob-
achtung uns zu der Kenntniß der naͤchſten Urſache einer Erſchei-
nung fuͤhren; aber dieſe Kenntniß wird noch ſicherer beſtaͤtigt,
wenn es uns gelingt, eben die Erſcheinung durch einen Verſuch,
durch ein Experiment, hervorzubringen. Bei dem Verſuche
bringen wir die Umſtaͤnde ſelbſt hervor, durch welche, unſrer Mei-
nung nach, jene Erſcheinung bewirkt werden ſoll, und der Verſuch
beſtaͤtigt unſre Meinung, wenn er immer, bei richtiger Anordnung
eben den Erfolg giebt. Der Verſuch lehrt gewoͤhnlich dann noch
mehr; denn entweder tritt durch Zufall einmal eine kleine Abaͤn-
derung der Umſtaͤnde ein, welche zum Gelingen des Verſuches er-
fordert werden, und wir erlangen dadurch Belehrung uͤber die
Urſache ſeines Mislingens, oder wir aͤndern abſichtlich die Umſtaͤnde
ab, um uns uͤber die Verſchiedenheiten des Erfolges zu belehren.
In dieſer mit beſtimmter Abſicht angeordneten Abaͤnderung zeigt
ſich oft der Scharfſinn des Phyſikers in ſeinem ſchoͤnſten Lichte,
wenn er die Ungleichheit der Erfolge voraus ſieht, welche aus jenen
Abaͤnderungen wahrſcheinlich hervorgehen muͤſſen, und die Ent-
wickelung der einzelnen Lehren wird uns Beiſpiele genug liefern,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0027" n="5"/>
faltiger Ereigni&#x017F;&#x017F;e das, was mit einander in Verbindung &#x017F;teht<lb/>
oder zu &#x017F;tehen &#x017F;cheint, geordnet auffaßt. Un&#x017F;re Gei&#x017F;tes-Anlagen<lb/>
no&#x0364;thigen uns, u&#x0364;berall eine Verbindung von Ur&#x017F;ache und Wirkung<lb/>
aufzu&#x017F;uchen, und der Beobachter der Naturpha&#x0364;nomene fu&#x0364;hlt &#x017F;ich<lb/>
daher &#x017F;ogleich zu der Frage veranlaßt, ob unter zwei auf einander<lb/>
folgenden Er&#x017F;cheinungen die eine als Ur&#x017F;ache der andern anzu&#x017F;ehen<lb/>
&#x017F;ei. Um die&#x017F;e Frage zu ent&#x017F;cheiden, muß er &#x017F;ich in den mei&#x017F;ten<lb/>
Fa&#x0364;llen an die Erfahrung wenden, und jener vermuthete Zu&#x017F;am-<lb/>
menhang dient daher &#x017F;einer Aufmerk&#x017F;amkeit zur Leitung; er achtet<lb/>
darauf, ob jene zwei Er&#x017F;cheinungen immer &#x017F;o verbunden vorkom-<lb/>
men, und er&#x017F;t, wenn er das durch wiederholte Beobachtung be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;tigt findet, ha&#x0364;lt er &#x017F;ich berechtiget, in der einen die na&#x0364;ch&#x017F;te Ur-<lb/>
&#x017F;ache der andern anzuerkennen. Da fa&#x017F;t keine Er&#x017F;cheinung &#x017F;ich oft<lb/>
wiederholt ganz auf die&#x017F;elbe Wei&#x017F;e zutra&#x0364;gt, &#x017F;ondern oft Nebenum-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde Ver&#x017F;chiedenheiten hervorbringen, &#x017F;o fu&#x0364;hrt gewo&#x0364;hnlich eine<lb/>
wiederholte Beobachtung zur Kenntniß die&#x017F;er Nebenum&#x017F;ta&#x0364;nde, und<lb/>
lehrt uns eben dadurch die we&#x017F;entliche Ur&#x017F;ache um &#x017F;o &#x017F;icherer und<lb/>
genauer kennen, wenn wir &#x017F;ie bei allen den, in andrer Hin&#x017F;icht ab-<lb/>
gea&#x0364;nderten Um&#x017F;ta&#x0364;nden wieder finden. So kann &#x017F;elb&#x017F;t bloße Beob-<lb/>
achtung uns zu der Kenntniß der na&#x0364;ch&#x017F;ten Ur&#x017F;ache einer Er&#x017F;chei-<lb/>
nung fu&#x0364;hren; aber die&#x017F;e Kenntniß wird noch &#x017F;icherer be&#x017F;ta&#x0364;tigt,<lb/>
wenn es uns gelingt, eben die Er&#x017F;cheinung durch einen <hi rendition="#g">Ver&#x017F;uch</hi>,<lb/>
durch ein <hi rendition="#g">Experiment</hi>, hervorzubringen. Bei dem <hi rendition="#g">Ver&#x017F;uche</hi><lb/>
bringen wir die Um&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;elb&#x017F;t hervor, durch welche, un&#x017F;rer Mei-<lb/>
nung nach, jene Er&#x017F;cheinung bewirkt werden &#x017F;oll, und der Ver&#x017F;uch<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;tigt un&#x017F;re Meinung, wenn er immer, bei richtiger Anordnung<lb/>
eben den Erfolg giebt. Der Ver&#x017F;uch lehrt gewo&#x0364;hnlich dann noch<lb/>
mehr; denn entweder tritt durch Zufall einmal eine kleine Aba&#x0364;n-<lb/>
derung der Um&#x017F;ta&#x0364;nde ein, welche zum Gelingen des Ver&#x017F;uches er-<lb/>
fordert werden, und wir erlangen dadurch Belehrung u&#x0364;ber die<lb/>
Ur&#x017F;ache &#x017F;eines Mislingens, oder wir a&#x0364;ndern ab&#x017F;ichtlich die Um&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
ab, um uns u&#x0364;ber die Ver&#x017F;chiedenheiten des Erfolges zu belehren.<lb/>
In die&#x017F;er mit be&#x017F;timmter Ab&#x017F;icht angeordneten Aba&#x0364;nderung zeigt<lb/>
&#x017F;ich oft der Scharf&#x017F;inn des Phy&#x017F;ikers in &#x017F;einem &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Lichte,<lb/>
wenn er die Ungleichheit der Erfolge voraus &#x017F;ieht, welche aus jenen<lb/>
Aba&#x0364;nderungen wahr&#x017F;cheinlich hervorgehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und die Ent-<lb/>
wickelung der einzelnen Lehren wird uns Bei&#x017F;piele genug liefern,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0027] faltiger Ereigniſſe das, was mit einander in Verbindung ſteht oder zu ſtehen ſcheint, geordnet auffaßt. Unſre Geiſtes-Anlagen noͤthigen uns, uͤberall eine Verbindung von Urſache und Wirkung aufzuſuchen, und der Beobachter der Naturphaͤnomene fuͤhlt ſich daher ſogleich zu der Frage veranlaßt, ob unter zwei auf einander folgenden Erſcheinungen die eine als Urſache der andern anzuſehen ſei. Um dieſe Frage zu entſcheiden, muß er ſich in den meiſten Faͤllen an die Erfahrung wenden, und jener vermuthete Zuſam- menhang dient daher ſeiner Aufmerkſamkeit zur Leitung; er achtet darauf, ob jene zwei Erſcheinungen immer ſo verbunden vorkom- men, und erſt, wenn er das durch wiederholte Beobachtung be- ſtaͤtigt findet, haͤlt er ſich berechtiget, in der einen die naͤchſte Ur- ſache der andern anzuerkennen. Da faſt keine Erſcheinung ſich oft wiederholt ganz auf dieſelbe Weiſe zutraͤgt, ſondern oft Nebenum- ſtaͤnde Verſchiedenheiten hervorbringen, ſo fuͤhrt gewoͤhnlich eine wiederholte Beobachtung zur Kenntniß dieſer Nebenumſtaͤnde, und lehrt uns eben dadurch die weſentliche Urſache um ſo ſicherer und genauer kennen, wenn wir ſie bei allen den, in andrer Hinſicht ab- geaͤnderten Umſtaͤnden wieder finden. So kann ſelbſt bloße Beob- achtung uns zu der Kenntniß der naͤchſten Urſache einer Erſchei- nung fuͤhren; aber dieſe Kenntniß wird noch ſicherer beſtaͤtigt, wenn es uns gelingt, eben die Erſcheinung durch einen Verſuch, durch ein Experiment, hervorzubringen. Bei dem Verſuche bringen wir die Umſtaͤnde ſelbſt hervor, durch welche, unſrer Mei- nung nach, jene Erſcheinung bewirkt werden ſoll, und der Verſuch beſtaͤtigt unſre Meinung, wenn er immer, bei richtiger Anordnung eben den Erfolg giebt. Der Verſuch lehrt gewoͤhnlich dann noch mehr; denn entweder tritt durch Zufall einmal eine kleine Abaͤn- derung der Umſtaͤnde ein, welche zum Gelingen des Verſuches er- fordert werden, und wir erlangen dadurch Belehrung uͤber die Urſache ſeines Mislingens, oder wir aͤndern abſichtlich die Umſtaͤnde ab, um uns uͤber die Verſchiedenheiten des Erfolges zu belehren. In dieſer mit beſtimmter Abſicht angeordneten Abaͤnderung zeigt ſich oft der Scharfſinn des Phyſikers in ſeinem ſchoͤnſten Lichte, wenn er die Ungleichheit der Erfolge voraus ſieht, welche aus jenen Abaͤnderungen wahrſcheinlich hervorgehen muͤſſen, und die Ent- wickelung der einzelnen Lehren wird uns Beiſpiele genug liefern,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/27
Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/27>, abgerufen am 28.04.2024.