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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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hen können, verdienen unsre Aufmerksamkeit, und verdienen diese
oft eben so sehr um des Scharfsinnes willen, der sich bei diesen An-
wendungen gezeigt hat, als um des Nutzens willen, den sie ge-
währen. Und endlich führt uns auch das Studium der Physik
zu einer eigenthümlichen Ausbildung unserer Geisteskräfte; denn
so wie die Mathematik uns an Gründlichkeit und Strenge in den
Schlüssen gewöhnt, und uns zeigt, was denn eigentlich mit Sicher-
heit wahr und gewiß heißen kann, wie die Botanik uns gewöhnt,
mit Schärfe die äußern Merkmale der Gegenstände wahrzuneh-
men und diejenigen Kennzeichen aufzusuchen, wodurch sich die ein-
zelnen Pflanzen von einander unterscheiden und wornach sie im
Systeme können aufgefunden werden, so führt uns die Physik
zur Kunst des Beobachtens, indem sie uns Beispiele zeigt,
wie man durch richtiges Auffassen der Erscheinungen die wahrhaft
wirksamen Ursachen von dem bloß Zufälligen unterscheidet, wie
man durch Abänderung der Umstände die Gesetze der Wirkungen
erforscht, wie man oft mit Wahrscheinlichkeit voraussehen kann,
welche Anordnung von Versuchen zu ganz neuen Aufschlüssen
führen kann, und so weiter. Und dieser Kunst des Beobachtens
bedürfen wir auch bei den gewöhnlichsten Ereignissen.

Doch es ist Zeit, daß ich diese Einleitung schließe, um zu
dem Gegenstande unsrer Unterhaltungen überzugehen.



Zweite Vorlesung.



Allgemeine Eigenschaften der Materie. -- Gestalt. Un-
durchdringlichkeit.

Da die Erscheinungen in der Sinnenwelt im Allgemeinen
der Gegenstand der Physik sind, so fragen wir, m. h. H., wohl zu-
erst nach dem Wesen des Stoffes, der bei allem Wechsel der Er-
scheinungen, als das Beharrliche, zum Grunde liegt, nach den
Eigenschaften der Materie oder der Körper im Allgemeinen.
Da alles, was wir erkennen können, im Raume ist, einen Ort
einnehmen, eine Gestalt haben muß, so sehen wir es mit Recht
als eine nothwendige Eigenschaft der Körper an, daß sie irgend

hen koͤnnen, verdienen unſre Aufmerkſamkeit, und verdienen dieſe
oft eben ſo ſehr um des Scharfſinnes willen, der ſich bei dieſen An-
wendungen gezeigt hat, als um des Nutzens willen, den ſie ge-
waͤhren. Und endlich fuͤhrt uns auch das Studium der Phyſik
zu einer eigenthuͤmlichen Ausbildung unſerer Geiſteskraͤfte; denn
ſo wie die Mathematik uns an Gruͤndlichkeit und Strenge in den
Schluͤſſen gewoͤhnt, und uns zeigt, was denn eigentlich mit Sicher-
heit wahr und gewiß heißen kann, wie die Botanik uns gewoͤhnt,
mit Schaͤrfe die aͤußern Merkmale der Gegenſtaͤnde wahrzuneh-
men und diejenigen Kennzeichen aufzuſuchen, wodurch ſich die ein-
zelnen Pflanzen von einander unterſcheiden und wornach ſie im
Syſteme koͤnnen aufgefunden werden, ſo fuͤhrt uns die Phyſik
zur Kunſt des Beobachtens, indem ſie uns Beiſpiele zeigt,
wie man durch richtiges Auffaſſen der Erſcheinungen die wahrhaft
wirkſamen Urſachen von dem bloß Zufaͤlligen unterſcheidet, wie
man durch Abaͤnderung der Umſtaͤnde die Geſetze der Wirkungen
erforſcht, wie man oft mit Wahrſcheinlichkeit vorausſehen kann,
welche Anordnung von Verſuchen zu ganz neuen Aufſchluͤſſen
fuͤhren kann, und ſo weiter. Und dieſer Kunſt des Beobachtens
beduͤrfen wir auch bei den gewoͤhnlichſten Ereigniſſen.

Doch es iſt Zeit, daß ich dieſe Einleitung ſchließe, um zu
dem Gegenſtande unſrer Unterhaltungen uͤberzugehen.



Zweite Vorleſung.



Allgemeine Eigenſchaften der Materie. — Geſtalt. Un-
durchdringlichkeit.

Da die Erſcheinungen in der Sinnenwelt im Allgemeinen
der Gegenſtand der Phyſik ſind, ſo fragen wir, m. h. H., wohl zu-
erſt nach dem Weſen des Stoffes, der bei allem Wechſel der Er-
ſcheinungen, als das Beharrliche, zum Grunde liegt, nach den
Eigenſchaften der Materie oder der Koͤrper im Allgemeinen.
Da alles, was wir erkennen koͤnnen, im Raume iſt, einen Ort
einnehmen, eine Geſtalt haben muß, ſo ſehen wir es mit Recht
als eine nothwendige Eigenſchaft der Koͤrper an, daß ſie irgend

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[11/0033] hen koͤnnen, verdienen unſre Aufmerkſamkeit, und verdienen dieſe oft eben ſo ſehr um des Scharfſinnes willen, der ſich bei dieſen An- wendungen gezeigt hat, als um des Nutzens willen, den ſie ge- waͤhren. Und endlich fuͤhrt uns auch das Studium der Phyſik zu einer eigenthuͤmlichen Ausbildung unſerer Geiſteskraͤfte; denn ſo wie die Mathematik uns an Gruͤndlichkeit und Strenge in den Schluͤſſen gewoͤhnt, und uns zeigt, was denn eigentlich mit Sicher- heit wahr und gewiß heißen kann, wie die Botanik uns gewoͤhnt, mit Schaͤrfe die aͤußern Merkmale der Gegenſtaͤnde wahrzuneh- men und diejenigen Kennzeichen aufzuſuchen, wodurch ſich die ein- zelnen Pflanzen von einander unterſcheiden und wornach ſie im Syſteme koͤnnen aufgefunden werden, ſo fuͤhrt uns die Phyſik zur Kunſt des Beobachtens, indem ſie uns Beiſpiele zeigt, wie man durch richtiges Auffaſſen der Erſcheinungen die wahrhaft wirkſamen Urſachen von dem bloß Zufaͤlligen unterſcheidet, wie man durch Abaͤnderung der Umſtaͤnde die Geſetze der Wirkungen erforſcht, wie man oft mit Wahrſcheinlichkeit vorausſehen kann, welche Anordnung von Verſuchen zu ganz neuen Aufſchluͤſſen fuͤhren kann, und ſo weiter. Und dieſer Kunſt des Beobachtens beduͤrfen wir auch bei den gewoͤhnlichſten Ereigniſſen. Doch es iſt Zeit, daß ich dieſe Einleitung ſchließe, um zu dem Gegenſtande unſrer Unterhaltungen uͤberzugehen. Zweite Vorleſung. Allgemeine Eigenſchaften der Materie. — Geſtalt. Un- durchdringlichkeit. Da die Erſcheinungen in der Sinnenwelt im Allgemeinen der Gegenſtand der Phyſik ſind, ſo fragen wir, m. h. H., wohl zu- erſt nach dem Weſen des Stoffes, der bei allem Wechſel der Er- ſcheinungen, als das Beharrliche, zum Grunde liegt, nach den Eigenſchaften der Materie oder der Koͤrper im Allgemeinen. Da alles, was wir erkennen koͤnnen, im Raume iſt, einen Ort einnehmen, eine Geſtalt haben muß, ſo ſehen wir es mit Recht als eine nothwendige Eigenſchaft der Koͤrper an, daß ſie irgend

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/33>, abgerufen am 29.04.2024.