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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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eine Form besitzen. Selbst da, wo unsre Sinne uns nicht mehr
gestatten, die materiellen Theile wahrzunehmen, können wir uns
nicht enthalten, ihnen Vermuthungsweise eine Form, eine gewisse
Lage im Raume beizulegen, und reden daher von den Lichttheilchen
als von kleinen Körpern, oder von den wellenartigen Oscillationen
des Aethers, die wir nach Abmessungen im Raume zu bestimmen
suchen. Aber statt daß die mathematische Betrachtung des Kör-
pers allein bei seiner Gestalt und Größe stehen bleibt, statt daß
der Raum keine andre Eigenschaften, als die der Größe und Ge-
stalt besitzt, legen wir sogleich der Materie noch die zweite Ei-
genschaft bei, den Raum auszufüllen. In dem Puncte
des Raumes, in welchem sich schon Materie befindet, kann kein
andrer physischer Körper zugleich auch vorhanden sein, der eine
verdrängt entweder den andern aus seiner Stelle, oder jener hin-
dert diesen, den Platz einzunehmen, den er einzunehmen im Be-
griff war. Wir nennen dieses die Undurchdringlichkeit der
Materie oder des physischen Körpers, und sehen auch diese als
eine nothwendige Eigenschaft der Körper an. Obgleich es hier
nicht meine Absicht ist, in Untersuchungen einzugehen, die eigent-
lich der Philosophie angehören, so kann ich doch nicht ganz die
Betrachtungen übergehen, die sich an diese Eigenschaft der Körper
angeknüpft und zu der Behauptung geführt haben, die Materie
habe ihr Bestehen durch die vereinigte Wirkung anziehender und
abstoßender Kräfte. Wir sind gewohnt, alles das, was eine Aen-
derung in der Körperwelt hervorbringt, Kraft zu nennen, und
ebenso es einer Kraft zuzuschreiben, wenn eine Aenderung des Zu-
standes, die durch eine Kraft bewirkt werden sollte, gehindert
wird. Da nun der eine Körper das Eindringen des andern in
den von jenem eingenommenen Raum nicht gestattet, so schreiben
wir beiden eine Kraft, das Eindringen zu hindern, eine abstoßende
Kraft, Repulsivkraft zu. Besitzen aber die einzelnen Theile der
Materie eine solche Repulsivkraft, so müßten sie sich von einander
trennen, wenn nicht zugleich eine anziehende oder Attractivkraft
wirksam wäre. In diesem Zugleichwirken beider Kräfte suchen wir
daher den Grund des Bestehens der Materie in bestimmter Aus-
dehnung und Dichtigkeit; aber wenn wir weiter gehen und sagen
wollen, die Materie sei nichts anders, als der Conflict dieser Kräfte,

eine Form beſitzen. Selbſt da, wo unſre Sinne uns nicht mehr
geſtatten, die materiellen Theile wahrzunehmen, koͤnnen wir uns
nicht enthalten, ihnen Vermuthungsweiſe eine Form, eine gewiſſe
Lage im Raume beizulegen, und reden daher von den Lichttheilchen
als von kleinen Koͤrpern, oder von den wellenartigen Oſcillationen
des Aethers, die wir nach Abmeſſungen im Raume zu beſtimmen
ſuchen. Aber ſtatt daß die mathematiſche Betrachtung des Koͤr-
pers allein bei ſeiner Geſtalt und Groͤße ſtehen bleibt, ſtatt daß
der Raum keine andre Eigenſchaften, als die der Groͤße und Ge-
ſtalt beſitzt, legen wir ſogleich der Materie noch die zweite Ei-
genſchaft bei, den Raum auszufuͤllen. In dem Puncte
des Raumes, in welchem ſich ſchon Materie befindet, kann kein
andrer phyſiſcher Koͤrper zugleich auch vorhanden ſein, der eine
verdraͤngt entweder den andern aus ſeiner Stelle, oder jener hin-
dert dieſen, den Platz einzunehmen, den er einzunehmen im Be-
griff war. Wir nennen dieſes die Undurchdringlichkeit der
Materie oder des phyſiſchen Koͤrpers, und ſehen auch dieſe als
eine nothwendige Eigenſchaft der Koͤrper an. Obgleich es hier
nicht meine Abſicht iſt, in Unterſuchungen einzugehen, die eigent-
lich der Philoſophie angehoͤren, ſo kann ich doch nicht ganz die
Betrachtungen uͤbergehen, die ſich an dieſe Eigenſchaft der Koͤrper
angeknuͤpft und zu der Behauptung gefuͤhrt haben, die Materie
habe ihr Beſtehen durch die vereinigte Wirkung anziehender und
abſtoßender Kraͤfte. Wir ſind gewohnt, alles das, was eine Aen-
derung in der Koͤrperwelt hervorbringt, Kraft zu nennen, und
ebenſo es einer Kraft zuzuſchreiben, wenn eine Aenderung des Zu-
ſtandes, die durch eine Kraft bewirkt werden ſollte, gehindert
wird. Da nun der eine Koͤrper das Eindringen des andern in
den von jenem eingenommenen Raum nicht geſtattet, ſo ſchreiben
wir beiden eine Kraft, das Eindringen zu hindern, eine abſtoßende
Kraft, Repulſivkraft zu. Beſitzen aber die einzelnen Theile der
Materie eine ſolche Repulſivkraft, ſo muͤßten ſie ſich von einander
trennen, wenn nicht zugleich eine anziehende oder Attractivkraft
wirkſam waͤre. In dieſem Zugleichwirken beider Kraͤfte ſuchen wir
daher den Grund des Beſtehens der Materie in beſtimmter Aus-
dehnung und Dichtigkeit; aber wenn wir weiter gehen und ſagen
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[12/0034] eine Form beſitzen. Selbſt da, wo unſre Sinne uns nicht mehr geſtatten, die materiellen Theile wahrzunehmen, koͤnnen wir uns nicht enthalten, ihnen Vermuthungsweiſe eine Form, eine gewiſſe Lage im Raume beizulegen, und reden daher von den Lichttheilchen als von kleinen Koͤrpern, oder von den wellenartigen Oſcillationen des Aethers, die wir nach Abmeſſungen im Raume zu beſtimmen ſuchen. Aber ſtatt daß die mathematiſche Betrachtung des Koͤr- pers allein bei ſeiner Geſtalt und Groͤße ſtehen bleibt, ſtatt daß der Raum keine andre Eigenſchaften, als die der Groͤße und Ge- ſtalt beſitzt, legen wir ſogleich der Materie noch die zweite Ei- genſchaft bei, den Raum auszufuͤllen. In dem Puncte des Raumes, in welchem ſich ſchon Materie befindet, kann kein andrer phyſiſcher Koͤrper zugleich auch vorhanden ſein, der eine verdraͤngt entweder den andern aus ſeiner Stelle, oder jener hin- dert dieſen, den Platz einzunehmen, den er einzunehmen im Be- griff war. Wir nennen dieſes die Undurchdringlichkeit der Materie oder des phyſiſchen Koͤrpers, und ſehen auch dieſe als eine nothwendige Eigenſchaft der Koͤrper an. Obgleich es hier nicht meine Abſicht iſt, in Unterſuchungen einzugehen, die eigent- lich der Philoſophie angehoͤren, ſo kann ich doch nicht ganz die Betrachtungen uͤbergehen, die ſich an dieſe Eigenſchaft der Koͤrper angeknuͤpft und zu der Behauptung gefuͤhrt haben, die Materie habe ihr Beſtehen durch die vereinigte Wirkung anziehender und abſtoßender Kraͤfte. Wir ſind gewohnt, alles das, was eine Aen- derung in der Koͤrperwelt hervorbringt, Kraft zu nennen, und ebenſo es einer Kraft zuzuſchreiben, wenn eine Aenderung des Zu- ſtandes, die durch eine Kraft bewirkt werden ſollte, gehindert wird. Da nun der eine Koͤrper das Eindringen des andern in den von jenem eingenommenen Raum nicht geſtattet, ſo ſchreiben wir beiden eine Kraft, das Eindringen zu hindern, eine abſtoßende Kraft, Repulſivkraft zu. Beſitzen aber die einzelnen Theile der Materie eine ſolche Repulſivkraft, ſo muͤßten ſie ſich von einander trennen, wenn nicht zugleich eine anziehende oder Attractivkraft wirkſam waͤre. In dieſem Zugleichwirken beider Kraͤfte ſuchen wir daher den Grund des Beſtehens der Materie in beſtimmter Aus- dehnung und Dichtigkeit; aber wenn wir weiter gehen und ſagen wollen, die Materie ſei nichts anders, als der Conflict dieſer Kraͤfte,

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/34>, abgerufen am 29.04.2024.