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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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ihre Schaar. Achttausend Frauen waren es schließlich, die sich in
langem Zuge, unter Sturm und Regen, durch den Morast der
Straßen, unter dem Hohngelächter der Bourgeoisie nach der könig-
lichen Residenz bewegten. Es waren keine Megären und keine
Dirnen, wie die Vertreter der Reaktion sie später der schaudernden
Nachwelt zu schildern beliebten, es waren arme Frauen des Volkes,
denen die Noth Heldengröße verlieh. Was den Schönrednern der
Nationalversammlung nicht gelungen war, das gelang ihnen: zitternd
vor der Revolution, die sie heraufbeschwörten, unterzeichnete der
König die Menschenrechte; in Angst vor dem Willen des Volkes,
der sich durch seine Mütter, seine Frauen und Töchter diktatorisch
äußerte, folgte er ihnen mit seinem ganzen Hof und allen Mit-
gliedern der Nationalversammlung zurück nach Paris. Den Weg,
den sie gekommen waren, um Brot zu holen für das hungernde Volk,
zogen sie zurück mit dem König in ihrer Mitte; ihre Hände, die
Schwert und Flinte voll finsterer Entschlossenheit umklammert hatten,
schwangen triumphirend bunte Herbstzweige; sie hatten die Noth
überwinden wollen und hatten das Königthum überwunden; mit
Peitschenschlägen hatte das Elend sie hinausgetrieben, mit wehenden
Fahnen schritt jetzt die siegreiche Revolution ihnen voran.




2. Die Revolution der Maschine.

Mehr als hundert Jahre sind verflossen. Die Revolution,
deren Geburtshelferinnen zwei eng Vereinte gewesen waren: das
Weib und die Armuth, hatte ihrer gar bald vergessen; ihre Menschen-
rechte waren nur Männerrechte, ihre Freiheit und Gleichheit hatte
für die Sklaven der Arbeit keine Geltung. Von der Bühne des
politischen Lebens zogen sich die Frauen ebenso schnell zurück, als
sie einst aufgetreten waren. Aber es war nicht mehr das eigene
Heim, das sie aufnahm. Denn inzwischen war eine Macht lebendig
geworden in der Welt, die sie anzog, wie der Magnet das Eisen:
die Maschine. Jhre Kraft fing an, die menschliche Muskelkraft zu
ersetzen, sie ermöglichte es, Menschen ohne Muskelkraft in steigendem
Maße anzustellen. Und die Besitzer der Maschinen, ängstlich be-
dacht, den größten Vortheil aus ihnen herauszupressen, wählten die
schwächsten Arbeitskräfte, die zugleich die billigsten waren, für ihren
Dienst: Frauen und Kinder. Jeder Fortschritt der Technik trieb
Schaaren von Männern aus der Werkstatt und Schaaren von Frauen
in die Fabrik. Wollte der Mann nicht allen Schrecken der Arbeits-
losigkeit anheimfallen, so sah er sich genöthigt, seine Lohnansprüche
auf die der weiblichen Konkurrenten herabzudrücken; sobald er das
that, war er aber nicht mehr im Stande, seine Familie von dem
Ertrag seiner Arbeit zu ernähren, und seine Frau und seine Töchter

ihre Schaar. Achttausend Frauen waren es schließlich, die sich in
langem Zuge, unter Sturm und Regen, durch den Morast der
Straßen, unter dem Hohngelächter der Bourgeoisie nach der könig-
lichen Residenz bewegten. Es waren keine Megären und keine
Dirnen, wie die Vertreter der Reaktion sie später der schaudernden
Nachwelt zu schildern beliebten, es waren arme Frauen des Volkes,
denen die Noth Heldengröße verlieh. Was den Schönrednern der
Nationalversammlung nicht gelungen war, das gelang ihnen: zitternd
vor der Revolution, die sie heraufbeschwörten, unterzeichnete der
König die Menschenrechte; in Angst vor dem Willen des Volkes,
der sich durch seine Mütter, seine Frauen und Töchter diktatorisch
äußerte, folgte er ihnen mit seinem ganzen Hof und allen Mit-
gliedern der Nationalversammlung zurück nach Paris. Den Weg,
den sie gekommen waren, um Brot zu holen für das hungernde Volk,
zogen sie zurück mit dem König in ihrer Mitte; ihre Hände, die
Schwert und Flinte voll finsterer Entschlossenheit umklammert hatten,
schwangen triumphirend bunte Herbstzweige; sie hatten die Noth
überwinden wollen und hatten das Königthum überwunden; mit
Peitschenschlägen hatte das Elend sie hinausgetrieben, mit wehenden
Fahnen schritt jetzt die siegreiche Revolution ihnen voran.




2. Die Revolution der Maschine.

Mehr als hundert Jahre sind verflossen. Die Revolution,
deren Geburtshelferinnen zwei eng Vereinte gewesen waren: das
Weib und die Armuth, hatte ihrer gar bald vergessen; ihre Menschen-
rechte waren nur Männerrechte, ihre Freiheit und Gleichheit hatte
für die Sklaven der Arbeit keine Geltung. Von der Bühne des
politischen Lebens zogen sich die Frauen ebenso schnell zurück, als
sie einst aufgetreten waren. Aber es war nicht mehr das eigene
Heim, das sie aufnahm. Denn inzwischen war eine Macht lebendig
geworden in der Welt, die sie anzog, wie der Magnet das Eisen:
die Maschine. Jhre Kraft fing an, die menschliche Muskelkraft zu
ersetzen, sie ermöglichte es, Menschen ohne Muskelkraft in steigendem
Maße anzustellen. Und die Besitzer der Maschinen, ängstlich be-
dacht, den größten Vortheil aus ihnen herauszupressen, wählten die
schwächsten Arbeitskräfte, die zugleich die billigsten waren, für ihren
Dienst: Frauen und Kinder. Jeder Fortschritt der Technik trieb
Schaaren von Männern aus der Werkstatt und Schaaren von Frauen
in die Fabrik. Wollte der Mann nicht allen Schrecken der Arbeits-
losigkeit anheimfallen, so sah er sich genöthigt, seine Lohnansprüche
auf die der weiblichen Konkurrenten herabzudrücken; sobald er das
that, war er aber nicht mehr im Stande, seine Familie von dem
Ertrag seiner Arbeit zu ernähren, und seine Frau und seine Töchter

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[4/0003] ihre Schaar. Achttausend Frauen waren es schließlich, die sich in langem Zuge, unter Sturm und Regen, durch den Morast der Straßen, unter dem Hohngelächter der Bourgeoisie nach der könig- lichen Residenz bewegten. Es waren keine Megären und keine Dirnen, wie die Vertreter der Reaktion sie später der schaudernden Nachwelt zu schildern beliebten, es waren arme Frauen des Volkes, denen die Noth Heldengröße verlieh. Was den Schönrednern der Nationalversammlung nicht gelungen war, das gelang ihnen: zitternd vor der Revolution, die sie heraufbeschwörten, unterzeichnete der König die Menschenrechte; in Angst vor dem Willen des Volkes, der sich durch seine Mütter, seine Frauen und Töchter diktatorisch äußerte, folgte er ihnen mit seinem ganzen Hof und allen Mit- gliedern der Nationalversammlung zurück nach Paris. Den Weg, den sie gekommen waren, um Brot zu holen für das hungernde Volk, zogen sie zurück mit dem König in ihrer Mitte; ihre Hände, die Schwert und Flinte voll finsterer Entschlossenheit umklammert hatten, schwangen triumphirend bunte Herbstzweige; sie hatten die Noth überwinden wollen und hatten das Königthum überwunden; mit Peitschenschlägen hatte das Elend sie hinausgetrieben, mit wehenden Fahnen schritt jetzt die siegreiche Revolution ihnen voran. 2. Die Revolution der Maschine. Mehr als hundert Jahre sind verflossen. Die Revolution, deren Geburtshelferinnen zwei eng Vereinte gewesen waren: das Weib und die Armuth, hatte ihrer gar bald vergessen; ihre Menschen- rechte waren nur Männerrechte, ihre Freiheit und Gleichheit hatte für die Sklaven der Arbeit keine Geltung. Von der Bühne des politischen Lebens zogen sich die Frauen ebenso schnell zurück, als sie einst aufgetreten waren. Aber es war nicht mehr das eigene Heim, das sie aufnahm. Denn inzwischen war eine Macht lebendig geworden in der Welt, die sie anzog, wie der Magnet das Eisen: die Maschine. Jhre Kraft fing an, die menschliche Muskelkraft zu ersetzen, sie ermöglichte es, Menschen ohne Muskelkraft in steigendem Maße anzustellen. Und die Besitzer der Maschinen, ängstlich be- dacht, den größten Vortheil aus ihnen herauszupressen, wählten die schwächsten Arbeitskräfte, die zugleich die billigsten waren, für ihren Dienst: Frauen und Kinder. Jeder Fortschritt der Technik trieb Schaaren von Männern aus der Werkstatt und Schaaren von Frauen in die Fabrik. Wollte der Mann nicht allen Schrecken der Arbeits- losigkeit anheimfallen, so sah er sich genöthigt, seine Lohnansprüche auf die der weiblichen Konkurrenten herabzudrücken; sobald er das that, war er aber nicht mehr im Stande, seine Familie von dem Ertrag seiner Arbeit zu ernähren, und seine Frau und seine Töchter

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-08-30T16:52:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-08-30T16:52:29Z)

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/3>, abgerufen am 28.03.2024.