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Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883.

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steht, ist nicht zu leugnen, Sie werden das freilich bestreiten;
denn Sie müssen ihr Kind vertreten."

Dieser Redensart sind wir schon oft begegnet. Aber ich
bemerke, daß für diese ganze Gesetzgebung, insbesondere auch
für die Gewerbeordnung von 1869, die Conservativen und Cleri-
calen ebensogut gestimmt haben wie die Liberalen. Der Unter-
schied ist nur der, daß allerdings wir unser Werk nicht verleugnen
und noch fortwährend für gut halten, während bei den Andern
das Gegentheil der Fall ist.

"Damit", sagt Herr Windthorst, "hängt die Entwickelung
des Vagabundenthums wesentlich zusammen, daß die kirchliche
Autorität und Zucht entschieden abgenommen hat."

Nun, Vagabunden gab es, wie gezeigt, schon als jene Zucht
und Autorität größer war als jemals.

Er wendet sich dann gegen die socialistischen Projecte,
welche den Zwangsstaat unter schwarzweißer Fahne einführen
wollen.

Ja, entweder muß man ein Anhänger der wirthschaftlichen
Freiheit sein, oder ein Anhänger des Socialismus. Zu gleicher
Zeit die wirthschaftliche Freiheit bekämpfen und auch den sozia-
listischen Zwangsstaat, das wird doch auf die Dauer nicht durch-
zuführen sein.

Der Herr Abg. Windthorst hatte also die bestehende Gesetz-
gebung auf das Aeußerste angegriffen. Der Minister des Innern,
der unmittelbar nach ihm das Wort ergriff, hat sie mit keinem
Worte vertheidigt, sondern Herrn Windthorst seiner "Werth-
schätzung" versichert.

Dann kommt ein Wettrennen zwischen den Herren Abge-
ordneten v. Schorlemer-Alst und Hansen, die sich darüber streiten,
ob die Provinz Schleswig-Holstein oder die Provinz Westfalen
mehr von den Vagabunden heimgesucht sei. In beiden genann-
ten Provinzen ist die "Heimsuchung" ziemlich leicht zu begreifen.
Schleswig-Holstein war ja früher von Deutschland getrennt.
Gegen Deutschland bestand eine beinahe unübersteigliche Grenze.
Es kamen die Leute von Dänemark, aber nicht als Vagabunden
sondern als Herrscher, oder wie man damals sagte, als "Ty-
rannen". Jetzt kommen die Leute auch aus dem übrigen Deutsch-
land. Das gefällt den Herren nicht. Ob sie lieber die Dänen
wieder haben wollen, weiß ich nicht. Ich glaube es nicht.

steht, ist nicht zu leugnen, Sie werden das freilich bestreiten;
denn Sie müssen ihr Kind vertreten.»

Dieser Redensart sind wir schon oft begegnet. Aber ich
bemerke, daß für diese ganze Gesetzgebung, insbesondere auch
für die Gewerbeordnung von 1869, die Conservativen und Cleri-
calen ebensogut gestimmt haben wie die Liberalen. Der Unter-
schied ist nur der, daß allerdings wir unser Werk nicht verleugnen
und noch fortwährend für gut halten, während bei den Andern
das Gegentheil der Fall ist.

«Damit», sagt Herr Windthorst, «hängt die Entwickelung
des Vagabundenthums wesentlich zusammen, daß die kirchliche
Autorität und Zucht entschieden abgenommen hat.»

Nun, Vagabunden gab es, wie gezeigt, schon als jene Zucht
und Autorität größer war als jemals.

Er wendet sich dann gegen die socialistischen Projecte,
welche den Zwangsstaat unter schwarzweißer Fahne einführen
wollen.

Ja, entweder muß man ein Anhänger der wirthschaftlichen
Freiheit sein, oder ein Anhänger des Socialismus. Zu gleicher
Zeit die wirthschaftliche Freiheit bekämpfen und auch den sozia-
listischen Zwangsstaat, das wird doch auf die Dauer nicht durch-
zuführen sein.

Der Herr Abg. Windthorst hatte also die bestehende Gesetz-
gebung auf das Aeußerste angegriffen. Der Minister des Innern,
der unmittelbar nach ihm das Wort ergriff, hat sie mit keinem
Worte vertheidigt, sondern Herrn Windthorst seiner «Werth-
schätzung» versichert.

Dann kommt ein Wettrennen zwischen den Herren Abge-
ordneten v. Schorlemer-Alst und Hansen, die sich darüber streiten,
ob die Provinz Schleswig-Holstein oder die Provinz Westfalen
mehr von den Vagabunden heimgesucht sei. In beiden genann-
ten Provinzen ist die «Heimsuchung» ziemlich leicht zu begreifen.
Schleswig-Holstein war ja früher von Deutschland getrennt.
Gegen Deutschland bestand eine beinahe unübersteigliche Grenze.
Es kamen die Leute von Dänemark, aber nicht als Vagabunden
sondern als Herrscher, oder wie man damals sagte, als «Ty-
rannen». Jetzt kommen die Leute auch aus dem übrigen Deutsch-
land. Das gefällt den Herren nicht. Ob sie lieber die Dänen
wieder haben wollen, weiß ich nicht. Ich glaube es nicht.

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[26/0028] steht, ist nicht zu leugnen, Sie werden das freilich bestreiten; denn Sie müssen ihr Kind vertreten.» Dieser Redensart sind wir schon oft begegnet. Aber ich bemerke, daß für diese ganze Gesetzgebung, insbesondere auch für die Gewerbeordnung von 1869, die Conservativen und Cleri- calen ebensogut gestimmt haben wie die Liberalen. Der Unter- schied ist nur der, daß allerdings wir unser Werk nicht verleugnen und noch fortwährend für gut halten, während bei den Andern das Gegentheil der Fall ist. «Damit», sagt Herr Windthorst, «hängt die Entwickelung des Vagabundenthums wesentlich zusammen, daß die kirchliche Autorität und Zucht entschieden abgenommen hat.» Nun, Vagabunden gab es, wie gezeigt, schon als jene Zucht und Autorität größer war als jemals. Er wendet sich dann gegen die socialistischen Projecte, welche den Zwangsstaat unter schwarzweißer Fahne einführen wollen. Ja, entweder muß man ein Anhänger der wirthschaftlichen Freiheit sein, oder ein Anhänger des Socialismus. Zu gleicher Zeit die wirthschaftliche Freiheit bekämpfen und auch den sozia- listischen Zwangsstaat, das wird doch auf die Dauer nicht durch- zuführen sein. Der Herr Abg. Windthorst hatte also die bestehende Gesetz- gebung auf das Aeußerste angegriffen. Der Minister des Innern, der unmittelbar nach ihm das Wort ergriff, hat sie mit keinem Worte vertheidigt, sondern Herrn Windthorst seiner «Werth- schätzung» versichert. Dann kommt ein Wettrennen zwischen den Herren Abge- ordneten v. Schorlemer-Alst und Hansen, die sich darüber streiten, ob die Provinz Schleswig-Holstein oder die Provinz Westfalen mehr von den Vagabunden heimgesucht sei. In beiden genann- ten Provinzen ist die «Heimsuchung» ziemlich leicht zu begreifen. Schleswig-Holstein war ja früher von Deutschland getrennt. Gegen Deutschland bestand eine beinahe unübersteigliche Grenze. Es kamen die Leute von Dänemark, aber nicht als Vagabunden sondern als Herrscher, oder wie man damals sagte, als «Ty- rannen». Jetzt kommen die Leute auch aus dem übrigen Deutsch- land. Das gefällt den Herren nicht. Ob sie lieber die Dänen wieder haben wollen, weiß ich nicht. Ich glaube es nicht.

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Zitationshilfe: Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_vagabundenfrage_1883/28>, abgerufen am 22.11.2024.