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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Schilderung nach Leib und Seele.
und vertheidigt das ihm Anvertraute mit wirklich beispiellosem Muthe. Als Reisebegleiter in ge-
fährlichen, einsamen Gegenden ist er gar nicht zu ersetzen. Es sind Fälle genug bekannt, daß er seinen
Herrn gegen fünf bis sechs Räuber mit dem größten Erfolge vertheidigt hat; ja, man weiß Geschichten,
in denen er als Sieger aus solchen ungleichen Kämpfen hervorging, trotz unzähliger Wunden, welche
er erhalten hatte. Auch als Wächter bei Rinderherden wird er verwendet und versteht es, selbst den
wildesten Stier zu bändigen; denn er ist geschickt genug, sich im rechten Augenblick in das Maul des
Ochsen einzubeißen und so lange dort sich fest zu hängen, bis sich der Stier geduldig der Uebermacht
des Hundes fügt. Zum Kampf gegen große Raubthiere, wie Bären und Wölfe, Wildschweine,
Löwen
etc. läßt er sich leicht abrichten und steht deshalb bei allen Völkern, welche mit derlei Raub-
gezüchte zu thun haben, im hohen Ansehen. Jn den alten Thierhetzen auf Auerochsen und anderes
schwere Wild wurde er vielfach verwendet, und in Amerika wird er noch heutigen Tages bei den Stier-
[Abbildung] Der Bullenbeißer (Canis Molossus).
gefechten benutzt. Anderen Hunden gegenüber beträgt er sich sehr anständig. Er sucht nur selten
Streit und läßt sich besonders von kleineren Hunden viel gefallen. Auch erträgt er Neckereien lange.
Bei fortgesetzter Reizung aber greift er, ohne vorher zu warnen oder viel zu bellen und ohne zu
irgend welcher List seine Zuflucht zu nehmen, von vorn an, begnügt sich aber gewöhnlich, seinen Gegner
zu Boden zu werfen und ihn festzuhalten, falls dieser keinen fernern Widerstand versucht. Gegen
seinen Herrn ist der Bullenbeißer treu und anhänglich, ohne sich ihm indeß aufzudrängen; gegen
Fremde jedoch bleibt er immer gefährlich, er mag frei sein oder an der Kette liegen, und wenn er auf
Beute gehetzt wird, ist er wahrhaft furchtbar.

Jhm sehr nahe stehen die eigentlichen Doggen. Es sind sehr große und starke Thiere mit
kurzer, dicker, vorn gerad abgestumpfter Schnauze, deren Oberlippen, obgleich sie an den Seiten herab-

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Schilderung nach Leib und Seele.
und vertheidigt das ihm Anvertraute mit wirklich beiſpielloſem Muthe. Als Reiſebegleiter in ge-
fährlichen, einſamen Gegenden iſt er gar nicht zu erſetzen. Es ſind Fälle genug bekannt, daß er ſeinen
Herrn gegen fünf bis ſechs Räuber mit dem größten Erfolge vertheidigt hat; ja, man weiß Geſchichten,
in denen er als Sieger aus ſolchen ungleichen Kämpfen hervorging, trotz unzähliger Wunden, welche
er erhalten hatte. Auch als Wächter bei Rinderherden wird er verwendet und verſteht es, ſelbſt den
wildeſten Stier zu bändigen; denn er iſt geſchickt genug, ſich im rechten Augenblick in das Maul des
Ochſen einzubeißen und ſo lange dort ſich feſt zu hängen, bis ſich der Stier geduldig der Uebermacht
des Hundes fügt. Zum Kampf gegen große Raubthiere, wie Bären und Wölfe, Wildſchweine,
Löwen
ꝛc. läßt er ſich leicht abrichten und ſteht deshalb bei allen Völkern, welche mit derlei Raub-
gezüchte zu thun haben, im hohen Anſehen. Jn den alten Thierhetzen auf Auerochſen und anderes
ſchwere Wild wurde er vielfach verwendet, und in Amerika wird er noch heutigen Tages bei den Stier-
[Abbildung] Der Bullenbeißer (Canis Molossus).
gefechten benutzt. Anderen Hunden gegenüber beträgt er ſich ſehr anſtändig. Er ſucht nur ſelten
Streit und läßt ſich beſonders von kleineren Hunden viel gefallen. Auch erträgt er Neckereien lange.
Bei fortgeſetzter Reizung aber greift er, ohne vorher zu warnen oder viel zu bellen und ohne zu
irgend welcher Liſt ſeine Zuflucht zu nehmen, von vorn an, begnügt ſich aber gewöhnlich, ſeinen Gegner
zu Boden zu werfen und ihn feſtzuhalten, falls dieſer keinen fernern Widerſtand verſucht. Gegen
ſeinen Herrn iſt der Bullenbeißer treu und anhänglich, ohne ſich ihm indeß aufzudrängen; gegen
Fremde jedoch bleibt er immer gefährlich, er mag frei ſein oder an der Kette liegen, und wenn er auf
Beute gehetzt wird, iſt er wahrhaft furchtbar.

Jhm ſehr nahe ſtehen die eigentlichen Doggen. Es ſind ſehr große und ſtarke Thiere mit
kurzer, dicker, vorn gerad abgeſtumpfter Schnauze, deren Oberlippen, obgleich ſie an den Seiten herab-

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[355/0421] Schilderung nach Leib und Seele. und vertheidigt das ihm Anvertraute mit wirklich beiſpielloſem Muthe. Als Reiſebegleiter in ge- fährlichen, einſamen Gegenden iſt er gar nicht zu erſetzen. Es ſind Fälle genug bekannt, daß er ſeinen Herrn gegen fünf bis ſechs Räuber mit dem größten Erfolge vertheidigt hat; ja, man weiß Geſchichten, in denen er als Sieger aus ſolchen ungleichen Kämpfen hervorging, trotz unzähliger Wunden, welche er erhalten hatte. Auch als Wächter bei Rinderherden wird er verwendet und verſteht es, ſelbſt den wildeſten Stier zu bändigen; denn er iſt geſchickt genug, ſich im rechten Augenblick in das Maul des Ochſen einzubeißen und ſo lange dort ſich feſt zu hängen, bis ſich der Stier geduldig der Uebermacht des Hundes fügt. Zum Kampf gegen große Raubthiere, wie Bären und Wölfe, Wildſchweine, Löwen ꝛc. läßt er ſich leicht abrichten und ſteht deshalb bei allen Völkern, welche mit derlei Raub- gezüchte zu thun haben, im hohen Anſehen. Jn den alten Thierhetzen auf Auerochſen und anderes ſchwere Wild wurde er vielfach verwendet, und in Amerika wird er noch heutigen Tages bei den Stier- [Abbildung Der Bullenbeißer (Canis Molossus).] gefechten benutzt. Anderen Hunden gegenüber beträgt er ſich ſehr anſtändig. Er ſucht nur ſelten Streit und läßt ſich beſonders von kleineren Hunden viel gefallen. Auch erträgt er Neckereien lange. Bei fortgeſetzter Reizung aber greift er, ohne vorher zu warnen oder viel zu bellen und ohne zu irgend welcher Liſt ſeine Zuflucht zu nehmen, von vorn an, begnügt ſich aber gewöhnlich, ſeinen Gegner zu Boden zu werfen und ihn feſtzuhalten, falls dieſer keinen fernern Widerſtand verſucht. Gegen ſeinen Herrn iſt der Bullenbeißer treu und anhänglich, ohne ſich ihm indeß aufzudrängen; gegen Fremde jedoch bleibt er immer gefährlich, er mag frei ſein oder an der Kette liegen, und wenn er auf Beute gehetzt wird, iſt er wahrhaft furchtbar. Jhm ſehr nahe ſtehen die eigentlichen Doggen. Es ſind ſehr große und ſtarke Thiere mit kurzer, dicker, vorn gerad abgeſtumpfter Schnauze, deren Oberlippen, obgleich ſie an den Seiten herab- 23 *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/421>, abgerufen am 22.11.2024.