Ueber die Bärenjagd in Jllyrien will ich den gedachten Waidmann reden lassen. "Jm Ganzen," sagt er, "ist die Bärenjagd in Jllyrien sehr einfach. Sie geschieht erstens auf dem Anstande, zweitens auf dem Pürschgang, drittens durch Aufjagen des Bären aus seinem Lager und Hetzen desselben ver- mittelst unserer gewöhnlichen Dachshunde, und viertens durch Aufsuchung des Bären, sobald er sein Winterlager bezogen hat. Von allen übrigen, in nördlichen Ländern gebräuchlichen Fangarten, wie z. B. dem Hetzen mit schweren Jagdhunden u. s. w., wissen die hiesigen Jäger nichts. Diese Jagd- arten sind aber auch zu wenig praktisch, und sie machen aus diesem Grunde keinen Gebrauch davon."
"Am vortheilhaftesten wird die Jagd unstreitig zur Feistzeit betrieben, nicht allein, weil dann das Wildpret und die Decke am besten sind, sondern vorzüglich deshalb, weil der grimmige, rothe Bär dann weniger wild und rachsüchtig, sondern ziemlich träge ist, wodurch die Jagd weit weniger gefährlich wird. Die Klagen der Alpenhirten über geschlagenes Vieh oder über die zu Grunde gerichtete Haferernte machen es indessen sehr oft nöthig, daß auch außer dieser Zeit gejagt wird."
"Der Anstand führt immer am sichersten zum Ziele. Meistens unternimmt der Jäger diese Jagd allein. Sein Gewehr ist gewöhnlich ein Drehstutzen, an welchem der Oberlauf 11/2 Drall hat und der untere kugelgleich gebohrt ist, um schnell wieder laden zu können. Alle diese Gewehre schießen ein mäßigstarkes Blei, 20 bis 22 Kugeln auf das Pfund. An der Seite des Jägers hängt der Hirschfänger, welcher eine starke, vorn zweischneidig ausgehende Klinge hat. Diese ist bis zur halben Breite von gutem Eisen, die untere Hälfte der Schneide aber ist von dem feinsten steirischen Stahl, so daß ein Brechen nicht gut möglich und man im Stande ist, einen Knochen damit zu zerhauen, ohne daß die Schneide ausspringt."
"So und außerdem mit gutem Muthe ausgerüstet, zieht der Jäger vor Tagesanbruch oder vor der Abenddämmerung an den Ort, an welchem er sich anstellen will, um den Bären zu erwarten. Dieser hält den einmal angenommenen Wechsel zu den Alpenhürden oder zu einem Haferfeld richtig ein, wenn er nicht gestört worden ist, aber er ist überaus vorsichtig und sucht vor allen Dingen den Wind zu erhalten. Kömmt ihm etwas Verdächtiges in die Nase, so richtet er sich sogleich auf, windet mit vorgestrecktem Kopfe und ergreift im starken Trabe eiligst die Flucht, er mag seinen Feind zu Gesichte bekommen haben oder nicht. Einige Tage darauf nimmt er aber diesen Wechsel wieder an."
"Steht der Jäger an einem Haferstücke, so darf er nicht gleich schießen, selbst, wenn ihm der Bär schußrecht sein sollte, sondern er muß, namentlich bei schon eingetretener Dunkelheit, die Zeit abwarten, wo der Bär, wie es hier heißt, ein Männchen macht, das heißt, sich aufrichtet, um den Hafer abzu- streifen. Dann kann er mit größerer Sicherheit einen Blattschuß anbringen."
"Findet man ein von Bären angerissenes und mit Mos oder Blättern zugedecktes Stück Wild oder zahmes Vieh, so kann man mit Bestimmmtheit darauf rechnen, daß der Bär mit einbrechen- der Nacht angeschlichen kommt, und man kann sich anstellen, ohne erwarten zu müssen, einen vergeblichen Gang zu thun."
"Der Pürschgang dient mehr dazu, den Aufenthalt und den Wechsel des Bären zu erforschen: denn es wird dem Jäger sehr selten gelingen, zu Schuß zu kommen. Nur dann ist eine Möglichkeit vorhanden, wenn Alt und Jung mit einander beschäftigt sind."
"Wenn nun auch der Jäger zwei Schüsse in seinem Gewehr hat, so kommt doch nicht selten der Fall vor, daß beide mißrathen und er gezwungen wird, seinen Muth und die Kraft seines Armes im Zweikampfe mit dem Bären zu erproben. Hat er diesen auf dem Anstande oder Pürschgange rein gefehlt oder durch einen Blattschuß tödlich verwundet, so lehrt die Erfahrung, daß er im erstern Falle, ohne sich weiter zu besinnen, schleunigst die Flucht ergreift, und im letztern sogleich zusammen- stürzt und außer Stande ist, seinen Rachedurst zu befriedigen."
"Jst er aber weniger gefährlich oder auch nur leicht verwundet, so erhebt sich der Bär sogleich und geht auf seinen Hinterpranken mit wackelndem Gange der Gegend zu, von wo aus der Schuß erfolgte. Für den kaltblütigen Schützen ist nun noch durchaus keine Gefahr vorhanden, denn er hat noch die zweite Kugel im Rohr. Den Stutzen am Backen läßt er den Bären bis auf zehn oder zwölf
Die Raubthiere. Bären. — Gemeiner Bär.
Ueber die Bärenjagd in Jllyrien will ich den gedachten Waidmann reden laſſen. „Jm Ganzen,‟ ſagt er, „iſt die Bärenjagd in Jllyrien ſehr einfach. Sie geſchieht erſtens auf dem Anſtande, zweitens auf dem Pürſchgang, drittens durch Aufjagen des Bären aus ſeinem Lager und Hetzen deſſelben ver- mittelſt unſerer gewöhnlichen Dachshunde, und viertens durch Aufſuchung des Bären, ſobald er ſein Winterlager bezogen hat. Von allen übrigen, in nördlichen Ländern gebräuchlichen Fangarten, wie z. B. dem Hetzen mit ſchweren Jagdhunden u. ſ. w., wiſſen die hieſigen Jäger nichts. Dieſe Jagd- arten ſind aber auch zu wenig praktiſch, und ſie machen aus dieſem Grunde keinen Gebrauch davon.‟
„Am vortheilhafteſten wird die Jagd unſtreitig zur Feiſtzeit betrieben, nicht allein, weil dann das Wildpret und die Decke am beſten ſind, ſondern vorzüglich deshalb, weil der grimmige, rothe Bär dann weniger wild und rachſüchtig, ſondern ziemlich träge iſt, wodurch die Jagd weit weniger gefährlich wird. Die Klagen der Alpenhirten über geſchlagenes Vieh oder über die zu Grunde gerichtete Haferernte machen es indeſſen ſehr oft nöthig, daß auch außer dieſer Zeit gejagt wird.‟
„Der Anſtand führt immer am ſicherſten zum Ziele. Meiſtens unternimmt der Jäger dieſe Jagd allein. Sein Gewehr iſt gewöhnlich ein Drehſtutzen, an welchem der Oberlauf 1½ Drall hat und der untere kugelgleich gebohrt iſt, um ſchnell wieder laden zu können. Alle dieſe Gewehre ſchießen ein mäßigſtarkes Blei, 20 bis 22 Kugeln auf das Pfund. An der Seite des Jägers hängt der Hirſchfänger, welcher eine ſtarke, vorn zweiſchneidig ausgehende Klinge hat. Dieſe iſt bis zur halben Breite von gutem Eiſen, die untere Hälfte der Schneide aber iſt von dem feinſten ſteiriſchen Stahl, ſo daß ein Brechen nicht gut möglich und man im Stande iſt, einen Knochen damit zu zerhauen, ohne daß die Schneide ausſpringt.‟
„So und außerdem mit gutem Muthe ausgerüſtet, zieht der Jäger vor Tagesanbruch oder vor der Abenddämmerung an den Ort, an welchem er ſich anſtellen will, um den Bären zu erwarten. Dieſer hält den einmal angenommenen Wechſel zu den Alpenhürden oder zu einem Haferfeld richtig ein, wenn er nicht geſtört worden iſt, aber er iſt überaus vorſichtig und ſucht vor allen Dingen den Wind zu erhalten. Kömmt ihm etwas Verdächtiges in die Naſe, ſo richtet er ſich ſogleich auf, windet mit vorgeſtrecktem Kopfe und ergreift im ſtarken Trabe eiligſt die Flucht, er mag ſeinen Feind zu Geſichte bekommen haben oder nicht. Einige Tage darauf nimmt er aber dieſen Wechſel wieder an.‟
„Steht der Jäger an einem Haferſtücke, ſo darf er nicht gleich ſchießen, ſelbſt, wenn ihm der Bär ſchußrecht ſein ſollte, ſondern er muß, namentlich bei ſchon eingetretener Dunkelheit, die Zeit abwarten, wo der Bär, wie es hier heißt, ein Männchen macht, das heißt, ſich aufrichtet, um den Hafer abzu- ſtreifen. Dann kann er mit größerer Sicherheit einen Blattſchuß anbringen.‟
„Findet man ein von Bären angeriſſenes und mit Mos oder Blättern zugedecktes Stück Wild oder zahmes Vieh, ſo kann man mit Beſtimmmtheit darauf rechnen, daß der Bär mit einbrechen- der Nacht angeſchlichen kommt, und man kann ſich anſtellen, ohne erwarten zu müſſen, einen vergeblichen Gang zu thun.‟
„Der Pürſchgang dient mehr dazu, den Aufenthalt und den Wechſel des Bären zu erforſchen: denn es wird dem Jäger ſehr ſelten gelingen, zu Schuß zu kommen. Nur dann iſt eine Möglichkeit vorhanden, wenn Alt und Jung mit einander beſchäftigt ſind.‟
„Wenn nun auch der Jäger zwei Schüſſe in ſeinem Gewehr hat, ſo kommt doch nicht ſelten der Fall vor, daß beide mißrathen und er gezwungen wird, ſeinen Muth und die Kraft ſeines Armes im Zweikampfe mit dem Bären zu erproben. Hat er dieſen auf dem Anſtande oder Pürſchgange rein gefehlt oder durch einen Blattſchuß tödlich verwundet, ſo lehrt die Erfahrung, daß er im erſtern Falle, ohne ſich weiter zu beſinnen, ſchleunigſt die Flucht ergreift, und im letztern ſogleich zuſammen- ſtürzt und außer Stande iſt, ſeinen Rachedurſt zu befriedigen.‟
„Jſt er aber weniger gefährlich oder auch nur leicht verwundet, ſo erhebt ſich der Bär ſogleich und geht auf ſeinen Hinterpranken mit wackelndem Gange der Gegend zu, von wo aus der Schuß erfolgte. Für den kaltblütigen Schützen iſt nun noch durchaus keine Gefahr vorhanden, denn er hat noch die zweite Kugel im Rohr. Den Stutzen am Backen läßt er den Bären bis auf zehn oder zwölf
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0664"n="588"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Die Raubthiere.</hi> Bären. —<hirendition="#g">Gemeiner</hi> Bär.</fw><lb/><p>Ueber die Bärenjagd in Jllyrien will ich den gedachten Waidmann reden laſſen. „Jm Ganzen,‟<lb/>ſagt er, „iſt die Bärenjagd in Jllyrien ſehr einfach. Sie geſchieht erſtens auf dem Anſtande, zweitens<lb/>
auf dem Pürſchgang, drittens durch Aufjagen des Bären aus ſeinem Lager und Hetzen deſſelben ver-<lb/>
mittelſt unſerer gewöhnlichen <hirendition="#g">Dachshunde,</hi> und viertens durch Aufſuchung des Bären, ſobald er<lb/>ſein Winterlager bezogen hat. Von allen übrigen, in nördlichen Ländern gebräuchlichen Fangarten,<lb/>
wie z. B. dem Hetzen mit ſchweren Jagdhunden u. ſ. w., wiſſen die hieſigen Jäger nichts. Dieſe Jagd-<lb/>
arten ſind aber auch zu wenig praktiſch, und ſie machen aus dieſem Grunde keinen Gebrauch davon.‟</p><lb/><p>„Am vortheilhafteſten wird die Jagd unſtreitig zur Feiſtzeit betrieben, nicht allein, weil dann<lb/>
das Wildpret und die Decke am beſten ſind, ſondern vorzüglich deshalb, weil der grimmige, rothe<lb/>
Bär dann weniger wild und rachſüchtig, ſondern ziemlich träge iſt, wodurch die Jagd weit weniger<lb/>
gefährlich wird. Die Klagen der Alpenhirten über geſchlagenes Vieh oder über die zu Grunde<lb/>
gerichtete Haferernte machen es indeſſen ſehr oft nöthig, daß auch außer dieſer Zeit gejagt wird.‟</p><lb/><p>„Der Anſtand führt immer am ſicherſten zum Ziele. Meiſtens unternimmt der Jäger dieſe<lb/>
Jagd allein. Sein Gewehr iſt gewöhnlich ein Drehſtutzen, an welchem der Oberlauf 1½ Drall hat<lb/>
und der untere kugelgleich gebohrt iſt, um ſchnell wieder laden zu können. Alle dieſe Gewehre ſchießen<lb/>
ein mäßigſtarkes Blei, 20 bis 22 Kugeln auf das Pfund. An der Seite des Jägers hängt der<lb/>
Hirſchfänger, welcher eine ſtarke, vorn zweiſchneidig ausgehende Klinge hat. Dieſe iſt bis zur halben<lb/>
Breite von gutem Eiſen, die untere Hälfte der Schneide aber iſt von dem feinſten ſteiriſchen Stahl,<lb/>ſo daß ein Brechen nicht gut möglich und man im Stande iſt, einen Knochen damit zu zerhauen, ohne<lb/>
daß die Schneide ausſpringt.‟</p><lb/><p>„So und außerdem mit gutem Muthe ausgerüſtet, zieht der Jäger vor Tagesanbruch oder vor<lb/>
der Abenddämmerung an den Ort, an welchem er ſich anſtellen will, um den Bären zu erwarten.<lb/>
Dieſer hält den einmal angenommenen Wechſel zu den Alpenhürden oder zu einem Haferfeld richtig<lb/>
ein, wenn er nicht geſtört worden iſt, aber er iſt überaus vorſichtig und ſucht vor allen Dingen den<lb/>
Wind zu erhalten. Kömmt ihm etwas Verdächtiges in die Naſe, ſo richtet er ſich ſogleich auf, windet<lb/>
mit vorgeſtrecktem Kopfe und ergreift im ſtarken Trabe eiligſt die Flucht, er mag ſeinen Feind zu<lb/>
Geſichte bekommen haben oder nicht. Einige Tage darauf nimmt er aber dieſen Wechſel wieder an.‟</p><lb/><p>„Steht der Jäger an einem Haferſtücke, ſo darf er nicht gleich ſchießen, ſelbſt, wenn ihm der Bär<lb/>ſchußrecht ſein ſollte, ſondern er muß, namentlich bei ſchon eingetretener Dunkelheit, die Zeit abwarten,<lb/>
wo der Bär, wie es hier heißt, ein Männchen macht, das heißt, ſich aufrichtet, um den Hafer abzu-<lb/>ſtreifen. Dann kann er mit größerer Sicherheit einen Blattſchuß anbringen.‟</p><lb/><p>„Findet man ein von Bären angeriſſenes und mit Mos oder Blättern zugedecktes Stück<lb/>
Wild oder zahmes Vieh, ſo kann man mit Beſtimmmtheit darauf rechnen, daß der Bär mit einbrechen-<lb/>
der Nacht angeſchlichen kommt, und man kann ſich anſtellen, ohne erwarten zu müſſen, einen vergeblichen<lb/>
Gang zu thun.‟</p><lb/><p>„Der Pürſchgang dient mehr dazu, den Aufenthalt und den Wechſel des Bären zu erforſchen:<lb/>
denn es wird dem Jäger ſehr ſelten gelingen, zu Schuß zu kommen. Nur dann iſt eine Möglichkeit<lb/>
vorhanden, wenn Alt und Jung mit einander beſchäftigt ſind.‟</p><lb/><p>„Wenn nun auch der Jäger zwei Schüſſe in ſeinem Gewehr hat, ſo kommt doch nicht ſelten der<lb/>
Fall vor, daß beide mißrathen und er gezwungen wird, ſeinen Muth und die Kraft ſeines Armes im<lb/>
Zweikampfe mit dem Bären zu erproben. Hat er dieſen auf dem Anſtande oder Pürſchgange rein<lb/>
gefehlt oder durch einen Blattſchuß tödlich verwundet, ſo lehrt die Erfahrung, daß er im erſtern<lb/>
Falle, ohne ſich weiter zu beſinnen, ſchleunigſt die Flucht ergreift, und im letztern ſogleich zuſammen-<lb/>ſtürzt und außer Stande iſt, ſeinen Rachedurſt zu befriedigen.‟</p><lb/><p>„Jſt er aber weniger gefährlich oder auch nur leicht verwundet, ſo erhebt ſich der Bär ſogleich<lb/>
und geht auf ſeinen Hinterpranken mit wackelndem Gange der Gegend zu, von wo aus der Schuß<lb/>
erfolgte. Für den kaltblütigen Schützen iſt nun noch durchaus keine Gefahr vorhanden, denn er hat<lb/>
noch die zweite Kugel im Rohr. Den Stutzen am Backen läßt er den Bären bis auf zehn oder zwölf<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[588/0664]
Die Raubthiere. Bären. — Gemeiner Bär.
Ueber die Bärenjagd in Jllyrien will ich den gedachten Waidmann reden laſſen. „Jm Ganzen,‟
ſagt er, „iſt die Bärenjagd in Jllyrien ſehr einfach. Sie geſchieht erſtens auf dem Anſtande, zweitens
auf dem Pürſchgang, drittens durch Aufjagen des Bären aus ſeinem Lager und Hetzen deſſelben ver-
mittelſt unſerer gewöhnlichen Dachshunde, und viertens durch Aufſuchung des Bären, ſobald er
ſein Winterlager bezogen hat. Von allen übrigen, in nördlichen Ländern gebräuchlichen Fangarten,
wie z. B. dem Hetzen mit ſchweren Jagdhunden u. ſ. w., wiſſen die hieſigen Jäger nichts. Dieſe Jagd-
arten ſind aber auch zu wenig praktiſch, und ſie machen aus dieſem Grunde keinen Gebrauch davon.‟
„Am vortheilhafteſten wird die Jagd unſtreitig zur Feiſtzeit betrieben, nicht allein, weil dann
das Wildpret und die Decke am beſten ſind, ſondern vorzüglich deshalb, weil der grimmige, rothe
Bär dann weniger wild und rachſüchtig, ſondern ziemlich träge iſt, wodurch die Jagd weit weniger
gefährlich wird. Die Klagen der Alpenhirten über geſchlagenes Vieh oder über die zu Grunde
gerichtete Haferernte machen es indeſſen ſehr oft nöthig, daß auch außer dieſer Zeit gejagt wird.‟
„Der Anſtand führt immer am ſicherſten zum Ziele. Meiſtens unternimmt der Jäger dieſe
Jagd allein. Sein Gewehr iſt gewöhnlich ein Drehſtutzen, an welchem der Oberlauf 1½ Drall hat
und der untere kugelgleich gebohrt iſt, um ſchnell wieder laden zu können. Alle dieſe Gewehre ſchießen
ein mäßigſtarkes Blei, 20 bis 22 Kugeln auf das Pfund. An der Seite des Jägers hängt der
Hirſchfänger, welcher eine ſtarke, vorn zweiſchneidig ausgehende Klinge hat. Dieſe iſt bis zur halben
Breite von gutem Eiſen, die untere Hälfte der Schneide aber iſt von dem feinſten ſteiriſchen Stahl,
ſo daß ein Brechen nicht gut möglich und man im Stande iſt, einen Knochen damit zu zerhauen, ohne
daß die Schneide ausſpringt.‟
„So und außerdem mit gutem Muthe ausgerüſtet, zieht der Jäger vor Tagesanbruch oder vor
der Abenddämmerung an den Ort, an welchem er ſich anſtellen will, um den Bären zu erwarten.
Dieſer hält den einmal angenommenen Wechſel zu den Alpenhürden oder zu einem Haferfeld richtig
ein, wenn er nicht geſtört worden iſt, aber er iſt überaus vorſichtig und ſucht vor allen Dingen den
Wind zu erhalten. Kömmt ihm etwas Verdächtiges in die Naſe, ſo richtet er ſich ſogleich auf, windet
mit vorgeſtrecktem Kopfe und ergreift im ſtarken Trabe eiligſt die Flucht, er mag ſeinen Feind zu
Geſichte bekommen haben oder nicht. Einige Tage darauf nimmt er aber dieſen Wechſel wieder an.‟
„Steht der Jäger an einem Haferſtücke, ſo darf er nicht gleich ſchießen, ſelbſt, wenn ihm der Bär
ſchußrecht ſein ſollte, ſondern er muß, namentlich bei ſchon eingetretener Dunkelheit, die Zeit abwarten,
wo der Bär, wie es hier heißt, ein Männchen macht, das heißt, ſich aufrichtet, um den Hafer abzu-
ſtreifen. Dann kann er mit größerer Sicherheit einen Blattſchuß anbringen.‟
„Findet man ein von Bären angeriſſenes und mit Mos oder Blättern zugedecktes Stück
Wild oder zahmes Vieh, ſo kann man mit Beſtimmmtheit darauf rechnen, daß der Bär mit einbrechen-
der Nacht angeſchlichen kommt, und man kann ſich anſtellen, ohne erwarten zu müſſen, einen vergeblichen
Gang zu thun.‟
„Der Pürſchgang dient mehr dazu, den Aufenthalt und den Wechſel des Bären zu erforſchen:
denn es wird dem Jäger ſehr ſelten gelingen, zu Schuß zu kommen. Nur dann iſt eine Möglichkeit
vorhanden, wenn Alt und Jung mit einander beſchäftigt ſind.‟
„Wenn nun auch der Jäger zwei Schüſſe in ſeinem Gewehr hat, ſo kommt doch nicht ſelten der
Fall vor, daß beide mißrathen und er gezwungen wird, ſeinen Muth und die Kraft ſeines Armes im
Zweikampfe mit dem Bären zu erproben. Hat er dieſen auf dem Anſtande oder Pürſchgange rein
gefehlt oder durch einen Blattſchuß tödlich verwundet, ſo lehrt die Erfahrung, daß er im erſtern
Falle, ohne ſich weiter zu beſinnen, ſchleunigſt die Flucht ergreift, und im letztern ſogleich zuſammen-
ſtürzt und außer Stande iſt, ſeinen Rachedurſt zu befriedigen.‟
„Jſt er aber weniger gefährlich oder auch nur leicht verwundet, ſo erhebt ſich der Bär ſogleich
und geht auf ſeinen Hinterpranken mit wackelndem Gange der Gegend zu, von wo aus der Schuß
erfolgte. Für den kaltblütigen Schützen iſt nun noch durchaus keine Gefahr vorhanden, denn er hat
noch die zweite Kugel im Rohr. Den Stutzen am Backen läßt er den Bären bis auf zehn oder zwölf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/664>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.