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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Bären. -- Lippenbär.
nicht nur auf dem Lande, sondern auch im Wasser Bären in den Weg traten, -- hier oft gegen ihren
Willen; denn sie waren beim Trinken in den Strom gestürzt und konnten in Folge ihres täppischen
Wesens nicht wieder aufkommen. Während der heißesten Stunden des Tages liegt unser Bär in
natürlichen oder selbst gegrabenen Höhlen. Er ist, wie es scheint, im höchsten Grade empfindlich gegen
die Hitze und leidet außerordentlich, wenn er genöthigt wird, über die kahlen, von der Sonne durch-
glühten Gebirgsflächen zu wandern. Englische Jäger fanden, daß die Sohlen eines Lippenbären, welchen
sie durch ihre Verfolgung genöthigt hatten, bei Tage größere Strecken in den Mittagsstunden zu durch-
laufen, schließlich vollständig verbrannt waren, und ich meinestheils glaube diese Thatsache durchaus
glaubhaft finden zu können, weil ich Aehnliches in Afrika bei Hunden bemerkt habe, welche nach längeren
Jagden während der Mittagszeit wegen ihrer verbrannten Sohlen nicht mehr gehen konnten. Die
Empfindlichkeit der Füße ist für den Aswail gewöhnlich verderblich; er wird weit leichter erlegt oder
bekämpft, wenn er vorher durch die Glut der Sonne mürbe gemacht worden ist, als wenn er frisch
seinen Feinden entgegentritt. Letzteren kann er so gefährlich werden, wie irgendwelcher Bär; denn
so harmlos er auch im Ganzen ist, wenn er unbelästigt seine Gebirgshalden und Abgründe durch-
zieht, soviel Furcht flößt er ein, wenn seine Wuth durch empfangene Wunden oder andere Un-
annehmlichkeiten erregt wurde.

Man sagt, daß die Nahrung des Aswail fast ausschließlich in Pflanzenstoffen und kleineren,
zumal wirbellosen Thieren bestände, und daß er sich nur beim größten Hunger an Wirbelthiere wage.
Verschiedene Wurzeln, Jmmennester, deren Waben mit Jungen oder deren Honig er gleich hochschätzt,
Raupen, Schnecken und Ameisen, sowie Früchte aller Art bilden seine Nahrung, und seine lang-
gebogenen Krallen leisten ihm bei Aufsuchung und bezüglich Ausgrabung verborgener Wurzeln,
oder aber bei Eröffnung der Ameisenhaufen sehr gute Dienste. Selbst die festen Baue der Termiten
soll er mit Leichtigkeit zerstören können und dann unter der jüngern Brut große Verwüstungen
anrichten. Der Bienen und Ameisen wegen steigt er auf die höchsten Bäume. "Einer meiner Freunde,"
sagt Tennent, "welcher eine Waldung in der Nähe von Jaffea durchzog, wurde durch unwilliges Ge-
brumm auf einen Aswail aufmerksam gemacht, welcher hoch oben auf einem Zweige saß und mit
einer Pranke die Waben eines Rothameisennestes zum Munde führte, während er die andere Tatze
nothwendig gebrauchen mußte, um seine Lippen und Augenwimpern von den durch ihn höchlichst
erzürnten Kerfen zu säubern. -- Die Veddahs in Bintenne, deren größtes Besitzthum ihre Honig-
stöcke ausmachen, leben in beständiger Furcht vor diesem Bären, weil er, angelockt durch den Geruch
seiner Lieblingsspeise, keine Scheu mehr kennt und die erbärmlichen Wohnungen jener Bienenväter
rücksichtslos überfällt. Den Aupflanzungen wird er oft empfindlich schädlich, namentlich in den Zucker-
waldungen betrachtet man ihn als einen sehr unlieben Gast. Allein unter Umständen wird er auch
größeren Säugethieren oder Vögeln gefährlich und fällt selbst Herdenthiere und Menschen an. Man
erzählt sich in Ostindien, daß er die Säugethiere, somit auch den Menschen, auf das grausamste
martere, bevor er sie verzehrt. Er soll nämlich seine Beute fest mit seinen Armen und Krallen
umfassen und ihr nun gemächlich unter fortwährendem Saugen mit den Lippen Glied für Glied zer-
malmen, bis sie so langsam den entsetzlichsten Tod findet. Gewöhnlich weicht er dem sich nahenden
Menschen aus; allein seine Langsamkeit verhindert ihn nicht selten an der Flucht, und nun wird er,
weniger aus Bösartigkeit, als vielmehr aus Furcht, und in der Absicht, sich selbst zu vertheidigen, der
angreifende Theil. Und seine Angriffe sind unter solchen Umständen so fürchterlich, daß die Singa-
lesen in ihm das furchtbarste aller Thiere erblicken. Kein einziger unserer Leute wagt es, unbewaffnet
durch den Wald zu gehen; wer kein Gewehr besitzt, bewaffnet sich wenigstens mit dem "Kadelly",
einer leichten Axt, mit welcher man dem Bären zum Zweikampf gegenübertritt." Der Aswail zielt
seinerseits immer nach dem Gesicht seines Gegners und reißt diesem, wenn er ihn glücklich niederwarf,
regelmäßig die Augen aus. Tennent versichert, viele Leute gesehen zu haben, deren Gesicht noch die
Belege solcher Kämpfe zeigte: grell von der dunklen Haut abstechende, lichte Narben, welche besser als
alle Erzählungen den Grimm des gereizten Lippenbärs bekundeten.

Die Raubthiere. Bären. — Lippenbär.
nicht nur auf dem Lande, ſondern auch im Waſſer Bären in den Weg traten, — hier oft gegen ihren
Willen; denn ſie waren beim Trinken in den Strom geſtürzt und konnten in Folge ihres täppiſchen
Weſens nicht wieder aufkommen. Während der heißeſten Stunden des Tages liegt unſer Bär in
natürlichen oder ſelbſt gegrabenen Höhlen. Er iſt, wie es ſcheint, im höchſten Grade empfindlich gegen
die Hitze und leidet außerordentlich, wenn er genöthigt wird, über die kahlen, von der Sonne durch-
glühten Gebirgsflächen zu wandern. Engliſche Jäger fanden, daß die Sohlen eines Lippenbären, welchen
ſie durch ihre Verfolgung genöthigt hatten, bei Tage größere Strecken in den Mittagsſtunden zu durch-
laufen, ſchließlich vollſtändig verbrannt waren, und ich meinestheils glaube dieſe Thatſache durchaus
glaubhaft finden zu können, weil ich Aehnliches in Afrika bei Hunden bemerkt habe, welche nach längeren
Jagden während der Mittagszeit wegen ihrer verbrannten Sohlen nicht mehr gehen konnten. Die
Empfindlichkeit der Füße iſt für den Aswail gewöhnlich verderblich; er wird weit leichter erlegt oder
bekämpft, wenn er vorher durch die Glut der Sonne mürbe gemacht worden iſt, als wenn er friſch
ſeinen Feinden entgegentritt. Letzteren kann er ſo gefährlich werden, wie irgendwelcher Bär; denn
ſo harmlos er auch im Ganzen iſt, wenn er unbeläſtigt ſeine Gebirgshalden und Abgründe durch-
zieht, ſoviel Furcht flößt er ein, wenn ſeine Wuth durch empfangene Wunden oder andere Un-
annehmlichkeiten erregt wurde.

Man ſagt, daß die Nahrung des Aswail faſt ausſchließlich in Pflanzenſtoffen und kleineren,
zumal wirbelloſen Thieren beſtände, und daß er ſich nur beim größten Hunger an Wirbelthiere wage.
Verſchiedene Wurzeln, Jmmenneſter, deren Waben mit Jungen oder deren Honig er gleich hochſchätzt,
Raupen, Schnecken und Ameiſen, ſowie Früchte aller Art bilden ſeine Nahrung, und ſeine lang-
gebogenen Krallen leiſten ihm bei Aufſuchung und bezüglich Ausgrabung verborgener Wurzeln,
oder aber bei Eröffnung der Ameiſenhaufen ſehr gute Dienſte. Selbſt die feſten Baue der Termiten
ſoll er mit Leichtigkeit zerſtören können und dann unter der jüngern Brut große Verwüſtungen
anrichten. Der Bienen und Ameiſen wegen ſteigt er auf die höchſten Bäume. „Einer meiner Freunde,‟
ſagt Tennent, „welcher eine Waldung in der Nähe von Jaffea durchzog, wurde durch unwilliges Ge-
brumm auf einen Aswail aufmerkſam gemacht, welcher hoch oben auf einem Zweige ſaß und mit
einer Pranke die Waben eines Rothameiſenneſtes zum Munde führte, während er die andere Tatze
nothwendig gebrauchen mußte, um ſeine Lippen und Augenwimpern von den durch ihn höchlichſt
erzürnten Kerfen zu ſäubern. — Die Veddahs in Bintenne, deren größtes Beſitzthum ihre Honig-
ſtöcke ausmachen, leben in beſtändiger Furcht vor dieſem Bären, weil er, angelockt durch den Geruch
ſeiner Lieblingsſpeiſe, keine Scheu mehr kennt und die erbärmlichen Wohnungen jener Bienenväter
rückſichtslos überfällt. Den Aupflanzungen wird er oft empfindlich ſchädlich, namentlich in den Zucker-
waldungen betrachtet man ihn als einen ſehr unlieben Gaſt. Allein unter Umſtänden wird er auch
größeren Säugethieren oder Vögeln gefährlich und fällt ſelbſt Herdenthiere und Menſchen an. Man
erzählt ſich in Oſtindien, daß er die Säugethiere, ſomit auch den Menſchen, auf das grauſamſte
martere, bevor er ſie verzehrt. Er ſoll nämlich ſeine Beute feſt mit ſeinen Armen und Krallen
umfaſſen und ihr nun gemächlich unter fortwährendem Saugen mit den Lippen Glied für Glied zer-
malmen, bis ſie ſo langſam den entſetzlichſten Tod findet. Gewöhnlich weicht er dem ſich nahenden
Menſchen aus; allein ſeine Langſamkeit verhindert ihn nicht ſelten an der Flucht, und nun wird er,
weniger aus Bösartigkeit, als vielmehr aus Furcht, und in der Abſicht, ſich ſelbſt zu vertheidigen, der
angreifende Theil. Und ſeine Angriffe ſind unter ſolchen Umſtänden ſo fürchterlich, daß die Singa-
leſen in ihm das furchtbarſte aller Thiere erblicken. Kein einziger unſerer Leute wagt es, unbewaffnet
durch den Wald zu gehen; wer kein Gewehr beſitzt, bewaffnet ſich wenigſtens mit dem „Kadelly‟,
einer leichten Axt, mit welcher man dem Bären zum Zweikampf gegenübertritt.‟ Der Aswail zielt
ſeinerſeits immer nach dem Geſicht ſeines Gegners und reißt dieſem, wenn er ihn glücklich niederwarf,
regelmäßig die Augen aus. Tennent verſichert, viele Leute geſehen zu haben, deren Geſicht noch die
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[612/0690] Die Raubthiere. Bären. — Lippenbär. nicht nur auf dem Lande, ſondern auch im Waſſer Bären in den Weg traten, — hier oft gegen ihren Willen; denn ſie waren beim Trinken in den Strom geſtürzt und konnten in Folge ihres täppiſchen Weſens nicht wieder aufkommen. Während der heißeſten Stunden des Tages liegt unſer Bär in natürlichen oder ſelbſt gegrabenen Höhlen. Er iſt, wie es ſcheint, im höchſten Grade empfindlich gegen die Hitze und leidet außerordentlich, wenn er genöthigt wird, über die kahlen, von der Sonne durch- glühten Gebirgsflächen zu wandern. Engliſche Jäger fanden, daß die Sohlen eines Lippenbären, welchen ſie durch ihre Verfolgung genöthigt hatten, bei Tage größere Strecken in den Mittagsſtunden zu durch- laufen, ſchließlich vollſtändig verbrannt waren, und ich meinestheils glaube dieſe Thatſache durchaus glaubhaft finden zu können, weil ich Aehnliches in Afrika bei Hunden bemerkt habe, welche nach längeren Jagden während der Mittagszeit wegen ihrer verbrannten Sohlen nicht mehr gehen konnten. Die Empfindlichkeit der Füße iſt für den Aswail gewöhnlich verderblich; er wird weit leichter erlegt oder bekämpft, wenn er vorher durch die Glut der Sonne mürbe gemacht worden iſt, als wenn er friſch ſeinen Feinden entgegentritt. Letzteren kann er ſo gefährlich werden, wie irgendwelcher Bär; denn ſo harmlos er auch im Ganzen iſt, wenn er unbeläſtigt ſeine Gebirgshalden und Abgründe durch- zieht, ſoviel Furcht flößt er ein, wenn ſeine Wuth durch empfangene Wunden oder andere Un- annehmlichkeiten erregt wurde. Man ſagt, daß die Nahrung des Aswail faſt ausſchließlich in Pflanzenſtoffen und kleineren, zumal wirbelloſen Thieren beſtände, und daß er ſich nur beim größten Hunger an Wirbelthiere wage. Verſchiedene Wurzeln, Jmmenneſter, deren Waben mit Jungen oder deren Honig er gleich hochſchätzt, Raupen, Schnecken und Ameiſen, ſowie Früchte aller Art bilden ſeine Nahrung, und ſeine lang- gebogenen Krallen leiſten ihm bei Aufſuchung und bezüglich Ausgrabung verborgener Wurzeln, oder aber bei Eröffnung der Ameiſenhaufen ſehr gute Dienſte. Selbſt die feſten Baue der Termiten ſoll er mit Leichtigkeit zerſtören können und dann unter der jüngern Brut große Verwüſtungen anrichten. Der Bienen und Ameiſen wegen ſteigt er auf die höchſten Bäume. „Einer meiner Freunde,‟ ſagt Tennent, „welcher eine Waldung in der Nähe von Jaffea durchzog, wurde durch unwilliges Ge- brumm auf einen Aswail aufmerkſam gemacht, welcher hoch oben auf einem Zweige ſaß und mit einer Pranke die Waben eines Rothameiſenneſtes zum Munde führte, während er die andere Tatze nothwendig gebrauchen mußte, um ſeine Lippen und Augenwimpern von den durch ihn höchlichſt erzürnten Kerfen zu ſäubern. — Die Veddahs in Bintenne, deren größtes Beſitzthum ihre Honig- ſtöcke ausmachen, leben in beſtändiger Furcht vor dieſem Bären, weil er, angelockt durch den Geruch ſeiner Lieblingsſpeiſe, keine Scheu mehr kennt und die erbärmlichen Wohnungen jener Bienenväter rückſichtslos überfällt. Den Aupflanzungen wird er oft empfindlich ſchädlich, namentlich in den Zucker- waldungen betrachtet man ihn als einen ſehr unlieben Gaſt. Allein unter Umſtänden wird er auch größeren Säugethieren oder Vögeln gefährlich und fällt ſelbſt Herdenthiere und Menſchen an. Man erzählt ſich in Oſtindien, daß er die Säugethiere, ſomit auch den Menſchen, auf das grauſamſte martere, bevor er ſie verzehrt. Er ſoll nämlich ſeine Beute feſt mit ſeinen Armen und Krallen umfaſſen und ihr nun gemächlich unter fortwährendem Saugen mit den Lippen Glied für Glied zer- malmen, bis ſie ſo langſam den entſetzlichſten Tod findet. Gewöhnlich weicht er dem ſich nahenden Menſchen aus; allein ſeine Langſamkeit verhindert ihn nicht ſelten an der Flucht, und nun wird er, weniger aus Bösartigkeit, als vielmehr aus Furcht, und in der Abſicht, ſich ſelbſt zu vertheidigen, der angreifende Theil. Und ſeine Angriffe ſind unter ſolchen Umſtänden ſo fürchterlich, daß die Singa- leſen in ihm das furchtbarſte aller Thiere erblicken. Kein einziger unſerer Leute wagt es, unbewaffnet durch den Wald zu gehen; wer kein Gewehr beſitzt, bewaffnet ſich wenigſtens mit dem „Kadelly‟, einer leichten Axt, mit welcher man dem Bären zum Zweikampf gegenübertritt.‟ Der Aswail zielt ſeinerſeits immer nach dem Geſicht ſeines Gegners und reißt dieſem, wenn er ihn glücklich niederwarf, regelmäßig die Augen aus. Tennent verſichert, viele Leute geſehen zu haben, deren Geſicht noch die Belege ſolcher Kämpfe zeigte: grell von der dunklen Haut abſtechende, lichte Narben, welche beſſer als alle Erzählungen den Grimm des gereizten Lippenbärs bekundeten.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 612. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/690>, abgerufen am 22.11.2024.