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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Ziegen. -- Die Hausziegen.

Schon seit den ältesten Zeiten hat die thebaische Ziege ihr eigentliches Vaterland Oberegypten
bewohnt: Dies beweisen die alten Denkmäler, auf denen ihre treuen Abbilder zu sehen sind. Jm
Anfang dieses Jahrhunderts kam das Thier zum ersten Male lebend nach Europa, und von dieser
Zeit an ist es ein gewöhnlicher Gast der Thiergärten geworden. Es ist ein ziemlich gutmüthiges, sanf-
tes Geschöpf, welches auch bei uns höchst wenig Pflege und Wartung verlangt. --

Wegen des von allen Völkern anerkannten Rutzens bewohnen die Hausziegen gegenwärtig fast
die ganze Erde: sie finden sich bei allen Völkern, welche nur einigermaßen ein geregeltes Leben
führen, gewiß. Sie leben unter den verschiedensten Verhältnissen, größtentheils allerdings als
freies Herdenthier, welches bei Tage so ziemlich eigenmächtig seiner Weide nachgeht, nachts aber un-
ter Aufsicht des Menschen gehalten wird. Jn Deutschland pfercht man die Ziege häufig in den
Stall ein, und Das merkt man ihr denn auch recht deutlich an: denn die Stallziege ist blos der
Schatten von der, welche ihrer natürlichen Beweglichkeit Nechnung tragen darf.

Die Ziege ist ganz für das Gebirge geschaffen. Je steiler, je wilder, je zerrissener es ist, um
so wohler scheint sie sich zu fühlen. Jm ganzen Süden Europas und in den übrigen gemäßigten
Theilen der anderen Erdfesten wird man wohl schwerlich ein Gebirge betreten, ohne auf ihm weiden-
den Ziegenherden zu begegnen. Sie verstehen es, das ödeste Gebirge zu beleben und der traurigsten
Gegend einen großen Reiz zu verleihen.

Alle Eigenschaften der Ziege unterscheiden sie von dem ihr so nahestehenden Schafe. Sie ist
ein munteres, launiges, neugieriges, neckisches, zu allerlei scherzhaften Streichen aufgelegtes Ge-
schöpf, welches den Unbefangenen sicherlich viel Freude gewähren muß. Lenz hat sie vor-
trefflich gezeichnet: "Schon das kaum ein paar Wochen alte Hippelchen," sagt er, "hat große Lust,
außer den vielen merkwürdigen Sprüngen auch halsbrechende Unternehmungen zu wagen. Jmmer
führt sie der Trieb bergauf. Auf Holz- und Steinhaufen, auf Mauern, auf Felsen klettern,
Treppen hinaufsteigen: das ist ihr Hauptvergnügen. Oft ist es ihr kaum oder gar nicht möglich,
von da wieder herabzusteigen, wo sie sich hinaufgearbeitet. Sie kennt keinen Schwindel und geht
oder liegt ruhig am Rande der fürchterlichsten Abgründe. Furchterregend sind die Gefechte, welche
gehörnte Böcke, ja selbst Ziegen liefern, die zum ersten Male zusammenkommen. Das Klappen
der zusammenschlagenden Hörner tönt weithin. Sie stoßen sich ohne Erbarmen auf die Augen, das
Maul, den Bauch, wie es trifft, und scheinen dabei ganz unempfindlich zu sein; auch läßt ein
solcher oft eine Viertelstunde dauernder Kampf kaum andere Spuren, als etwa ein rothes Auge
zurück. Ungehörnte Ziegen stoßen sich ebenfalls mit gehörnten und ungehörnten herum und achten
es nicht, wenn ihnen das Blut über Kopf und Stirn herniederläuft. Ungehörnte legen sich auch
aufs Beißen; doch ist Dies ungefährlich. Mit den Füßen schlägt keine. Wenn man eine Ziege,
welche mit anderen zusammengewöhnt ist, allein sperrt, so meckert sie ganz erbärmlich und frißt und
säuft oft lange nicht. Wie der Mensch, so hat auch die Ziege allerhand Launen: die muthigste er-
schrickt zuweilen so vor ganz unbedeutenden Dingen, daß sie über Hals und Kopf Reißaus nimmt
und gar nicht zu halten ist."

Der Bock hat etwas Ernstes und Würdevolles in seinem ganzen Betragen. Er zeichnet sich
vor der Ziege durch größere Keckheit und größeren Muthwillen aus. "Wenn es aus Naschen oder aus
Spielen und Stoßen geht," sagt Tschudi, "stellen sie ihre ganze Leichtfertigkeit heraus. Das Schaf
hat nur in der Jugend ein munteres Wesen, ebenso der Steinbock: die Ziege behält es länger, als
beide. Ohne eigentlich im Ernste händelsüchtig zu sein, fordert sie gern zum munteren Zweikampf
heraus. Ein Engländer hatte sich auf der Grimsel unweit des Wirthshauses auf einen Baumstamm
niedergesetzt und war über dem Lesen eingenickt. Das bemerkt ein in der Nähe umherstreifender Zie-
genbock, nähert sich neugierig, hält die nickende Kopfbewegung für eine Herausforderung, stellt sich,
nimmt eine Fechterstellung an, mißt die Entfernung und rennt mit gewaltigem Hörnerstoß den un-
glücklichen Sohn des freien Albions an, daß er sofort fluchend am Boden liegt und die Füße in die

Die Ziegen. — Die Hausziegen.

Schon ſeit den älteſten Zeiten hat die thebaiſche Ziege ihr eigentliches Vaterland Oberegypten
bewohnt: Dies beweiſen die alten Denkmäler, auf denen ihre treuen Abbilder zu ſehen ſind. Jm
Anfang dieſes Jahrhunderts kam das Thier zum erſten Male lebend nach Europa, und von dieſer
Zeit an iſt es ein gewöhnlicher Gaſt der Thiergärten geworden. Es iſt ein ziemlich gutmüthiges, ſanf-
tes Geſchöpf, welches auch bei uns höchſt wenig Pflege und Wartung verlangt. —

Wegen des von allen Völkern anerkannten Rutzens bewohnen die Hausziegen gegenwärtig faſt
die ganze Erde: ſie finden ſich bei allen Völkern, welche nur einigermaßen ein geregeltes Leben
führen, gewiß. Sie leben unter den verſchiedenſten Verhältniſſen, größtentheils allerdings als
freies Herdenthier, welches bei Tage ſo ziemlich eigenmächtig ſeiner Weide nachgeht, nachts aber un-
ter Aufſicht des Menſchen gehalten wird. Jn Deutſchland pfercht man die Ziege häufig in den
Stall ein, und Das merkt man ihr denn auch recht deutlich an: denn die Stallziege iſt blos der
Schatten von der, welche ihrer natürlichen Beweglichkeit Nechnung tragen darf.

Die Ziege iſt ganz für das Gebirge geſchaffen. Je ſteiler, je wilder, je zerriſſener es iſt, um
ſo wohler ſcheint ſie ſich zu fühlen. Jm ganzen Süden Europas und in den übrigen gemäßigten
Theilen der anderen Erdfeſten wird man wohl ſchwerlich ein Gebirge betreten, ohne auf ihm weiden-
den Ziegenherden zu begegnen. Sie verſtehen es, das ödeſte Gebirge zu beleben und der traurigſten
Gegend einen großen Reiz zu verleihen.

Alle Eigenſchaften der Ziege unterſcheiden ſie von dem ihr ſo naheſtehenden Schafe. Sie iſt
ein munteres, launiges, neugieriges, neckiſches, zu allerlei ſcherzhaften Streichen aufgelegtes Ge-
ſchöpf, welches den Unbefangenen ſicherlich viel Freude gewähren muß. Lenz hat ſie vor-
trefflich gezeichnet: „Schon das kaum ein paar Wochen alte Hippelchen,‟ ſagt er, „hat große Luſt,
außer den vielen merkwürdigen Sprüngen auch halsbrechende Unternehmungen zu wagen. Jmmer
führt ſie der Trieb bergauf. Auf Holz- und Steinhaufen, auf Mauern, auf Felſen klettern,
Treppen hinaufſteigen: das iſt ihr Hauptvergnügen. Oft iſt es ihr kaum oder gar nicht möglich,
von da wieder herabzuſteigen, wo ſie ſich hinaufgearbeitet. Sie kennt keinen Schwindel und geht
oder liegt ruhig am Rande der fürchterlichſten Abgründe. Furchterregend ſind die Gefechte, welche
gehörnte Böcke, ja ſelbſt Ziegen liefern, die zum erſten Male zuſammenkommen. Das Klappen
der zuſammenſchlagenden Hörner tönt weithin. Sie ſtoßen ſich ohne Erbarmen auf die Augen, das
Maul, den Bauch, wie es trifft, und ſcheinen dabei ganz unempfindlich zu ſein; auch läßt ein
ſolcher oft eine Viertelſtunde dauernder Kampf kaum andere Spuren, als etwa ein rothes Auge
zurück. Ungehörnte Ziegen ſtoßen ſich ebenfalls mit gehörnten und ungehörnten herum und achten
es nicht, wenn ihnen das Blut über Kopf und Stirn herniederläuft. Ungehörnte legen ſich auch
aufs Beißen; doch iſt Dies ungefährlich. Mit den Füßen ſchlägt keine. Wenn man eine Ziege,
welche mit anderen zuſammengewöhnt iſt, allein ſperrt, ſo meckert ſie ganz erbärmlich und frißt und
ſäuft oft lange nicht. Wie der Menſch, ſo hat auch die Ziege allerhand Launen: die muthigſte er-
ſchrickt zuweilen ſo vor ganz unbedeutenden Dingen, daß ſie über Hals und Kopf Reißaus nimmt
und gar nicht zu halten iſt.‟

Der Bock hat etwas Ernſtes und Würdevolles in ſeinem ganzen Betragen. Er zeichnet ſich
vor der Ziege durch größere Keckheit und größeren Muthwillen aus. „Wenn es aus Naſchen oder aus
Spielen und Stoßen geht,‟ ſagt Tſchudi, „ſtellen ſie ihre ganze Leichtfertigkeit heraus. Das Schaf
hat nur in der Jugend ein munteres Weſen, ebenſo der Steinbock: die Ziege behält es länger, als
beide. Ohne eigentlich im Ernſte händelſüchtig zu ſein, fordert ſie gern zum munteren Zweikampf
heraus. Ein Engländer hatte ſich auf der Grimſel unweit des Wirthshauſes auf einen Baumſtamm
niedergeſetzt und war über dem Leſen eingenickt. Das bemerkt ein in der Nähe umherſtreifender Zie-
genbock, nähert ſich neugierig, hält die nickende Kopfbewegung für eine Herausforderung, ſtellt ſich,
nimmt eine Fechterſtellung an, mißt die Entfernung und rennt mit gewaltigem Hörnerſtoß den un-
glücklichen Sohn des freien Albions an, daß er ſofort fluchend am Boden liegt und die Füße in die

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[588/0618] Die Ziegen. — Die Hausziegen. Schon ſeit den älteſten Zeiten hat die thebaiſche Ziege ihr eigentliches Vaterland Oberegypten bewohnt: Dies beweiſen die alten Denkmäler, auf denen ihre treuen Abbilder zu ſehen ſind. Jm Anfang dieſes Jahrhunderts kam das Thier zum erſten Male lebend nach Europa, und von dieſer Zeit an iſt es ein gewöhnlicher Gaſt der Thiergärten geworden. Es iſt ein ziemlich gutmüthiges, ſanf- tes Geſchöpf, welches auch bei uns höchſt wenig Pflege und Wartung verlangt. — Wegen des von allen Völkern anerkannten Rutzens bewohnen die Hausziegen gegenwärtig faſt die ganze Erde: ſie finden ſich bei allen Völkern, welche nur einigermaßen ein geregeltes Leben führen, gewiß. Sie leben unter den verſchiedenſten Verhältniſſen, größtentheils allerdings als freies Herdenthier, welches bei Tage ſo ziemlich eigenmächtig ſeiner Weide nachgeht, nachts aber un- ter Aufſicht des Menſchen gehalten wird. Jn Deutſchland pfercht man die Ziege häufig in den Stall ein, und Das merkt man ihr denn auch recht deutlich an: denn die Stallziege iſt blos der Schatten von der, welche ihrer natürlichen Beweglichkeit Nechnung tragen darf. Die Ziege iſt ganz für das Gebirge geſchaffen. Je ſteiler, je wilder, je zerriſſener es iſt, um ſo wohler ſcheint ſie ſich zu fühlen. Jm ganzen Süden Europas und in den übrigen gemäßigten Theilen der anderen Erdfeſten wird man wohl ſchwerlich ein Gebirge betreten, ohne auf ihm weiden- den Ziegenherden zu begegnen. Sie verſtehen es, das ödeſte Gebirge zu beleben und der traurigſten Gegend einen großen Reiz zu verleihen. Alle Eigenſchaften der Ziege unterſcheiden ſie von dem ihr ſo naheſtehenden Schafe. Sie iſt ein munteres, launiges, neugieriges, neckiſches, zu allerlei ſcherzhaften Streichen aufgelegtes Ge- ſchöpf, welches den Unbefangenen ſicherlich viel Freude gewähren muß. Lenz hat ſie vor- trefflich gezeichnet: „Schon das kaum ein paar Wochen alte Hippelchen,‟ ſagt er, „hat große Luſt, außer den vielen merkwürdigen Sprüngen auch halsbrechende Unternehmungen zu wagen. Jmmer führt ſie der Trieb bergauf. Auf Holz- und Steinhaufen, auf Mauern, auf Felſen klettern, Treppen hinaufſteigen: das iſt ihr Hauptvergnügen. Oft iſt es ihr kaum oder gar nicht möglich, von da wieder herabzuſteigen, wo ſie ſich hinaufgearbeitet. Sie kennt keinen Schwindel und geht oder liegt ruhig am Rande der fürchterlichſten Abgründe. Furchterregend ſind die Gefechte, welche gehörnte Böcke, ja ſelbſt Ziegen liefern, die zum erſten Male zuſammenkommen. Das Klappen der zuſammenſchlagenden Hörner tönt weithin. Sie ſtoßen ſich ohne Erbarmen auf die Augen, das Maul, den Bauch, wie es trifft, und ſcheinen dabei ganz unempfindlich zu ſein; auch läßt ein ſolcher oft eine Viertelſtunde dauernder Kampf kaum andere Spuren, als etwa ein rothes Auge zurück. Ungehörnte Ziegen ſtoßen ſich ebenfalls mit gehörnten und ungehörnten herum und achten es nicht, wenn ihnen das Blut über Kopf und Stirn herniederläuft. Ungehörnte legen ſich auch aufs Beißen; doch iſt Dies ungefährlich. Mit den Füßen ſchlägt keine. Wenn man eine Ziege, welche mit anderen zuſammengewöhnt iſt, allein ſperrt, ſo meckert ſie ganz erbärmlich und frißt und ſäuft oft lange nicht. Wie der Menſch, ſo hat auch die Ziege allerhand Launen: die muthigſte er- ſchrickt zuweilen ſo vor ganz unbedeutenden Dingen, daß ſie über Hals und Kopf Reißaus nimmt und gar nicht zu halten iſt.‟ Der Bock hat etwas Ernſtes und Würdevolles in ſeinem ganzen Betragen. Er zeichnet ſich vor der Ziege durch größere Keckheit und größeren Muthwillen aus. „Wenn es aus Naſchen oder aus Spielen und Stoßen geht,‟ ſagt Tſchudi, „ſtellen ſie ihre ganze Leichtfertigkeit heraus. Das Schaf hat nur in der Jugend ein munteres Weſen, ebenſo der Steinbock: die Ziege behält es länger, als beide. Ohne eigentlich im Ernſte händelſüchtig zu ſein, fordert ſie gern zum munteren Zweikampf heraus. Ein Engländer hatte ſich auf der Grimſel unweit des Wirthshauſes auf einen Baumſtamm niedergeſetzt und war über dem Leſen eingenickt. Das bemerkt ein in der Nähe umherſtreifender Zie- genbock, nähert ſich neugierig, hält die nickende Kopfbewegung für eine Herausforderung, ſtellt ſich, nimmt eine Fechterſtellung an, mißt die Entfernung und rennt mit gewaltigem Hörnerſtoß den un- glücklichen Sohn des freien Albions an, daß er ſofort fluchend am Boden liegt und die Füße in die

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/618>, abgerufen am 23.11.2024.