Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Knacker. Rabenvögel. Pirole.
federn und die Spitzen der Steuerfedern. Die Weibchen, die Jungen und die einjährigen Männchen
sind oben zeisiggrün, unten weißlich mit hellaschgrauem Vorderhalse und grauschwarzen Längsflecken.
Der Schwanz ist gilblich gespitzt, und die Flügelfedern sind lichter gerandet. Das Auge ist karmin-
roth, der Schnabel schmuzigroth, bei Weibchen und Jungen grauschwärzlich, der Fuß bleigrau. Eine
ausführlichere Beschreibung ist unnöthig, weil es in Europa keinen Vogel gibt, welcher mit dem Pirol
verwechselt werden könnte.

Der Name Pfingstvogel ist insofern passend gewählt, als der Pirol erst gegen Pfingsten hin bei
uns eintrifft. Er ist ein Sommergast, welcher nur kurze Zeit in seiner eigentlichen Heimat verweilt
und schon im August wieder davonzieht. Diese Angabe gilt für ganz Europa, mit Ausnahme des
höchsten Nordens, und für den größten Theil Mittelafiens, welche Erdstrecken als die Heimat des
Pirols betrachtet werden müssen. Seinen Aufenthalt wählt er sich vorzugsweise in Laubwäldern und
namentlich in solchen der Ebene. Jm Gebirge kommt er blos zeitweilig vor; in Nadelwäldern hält

[Abbildung] Der Pirol (Oriolus Galbula).
er sich immer nur vorübergehend auf. Eichen- und Birkenwaldungen und zumal Feldgehölze, welche
aus diesen Bäumen bestehen, sind seine Lieblingsplätze; von hieraus kommt er bei seinen Streifereien
gern auch in die Gärten an Dörfern und Städten herein, besonders zur Zeit, wenn die Kirschen
reifen. Seine Winterreise dehnt er bis in das tiefe Jnnere von Afrika aus: ich habe ihn noch unter
dem 11. Grad nördlicher Breite nach Süden hin ziehen sehen. Jn Westafrika scheint er feste Herberge
zu nehmen; die Behauptung aber, daß er in Nordafrika überwintere, ist falsch.

Jn seinem Wesen hat der Pirol sehr viel Eigenthümliches. Er erinnert zuweilen an die Dros-
seln,
zuweilen an die Fliegenfänger, zuweilen auch an die Racken, unterscheidet sich jedoch auch
wiederum von allen diesen Vögeln. "Er ist", sagt Naumann, "ein scheuer, wilder und unsteter
Vogel, welcher sich immer den Augen der Menschen zu entziehen sucht, ob er gleich oft in ihrer Nähe
wohnt. Er hüpft und flattert immer in den dichtest belaubten Bäumen umher, verweilt selten lange
in dem nämlichen Baume und noch weniger auf demselben Aste; seine Unruhe treibt ihn bald da, bald

Die Knacker. Rabenvögel. Pirole.
federn und die Spitzen der Steuerfedern. Die Weibchen, die Jungen und die einjährigen Männchen
ſind oben zeiſiggrün, unten weißlich mit hellaſchgrauem Vorderhalſe und grauſchwarzen Längsflecken.
Der Schwanz iſt gilblich geſpitzt, und die Flügelfedern ſind lichter gerandet. Das Auge iſt karmin-
roth, der Schnabel ſchmuzigroth, bei Weibchen und Jungen grauſchwärzlich, der Fuß bleigrau. Eine
ausführlichere Beſchreibung iſt unnöthig, weil es in Europa keinen Vogel gibt, welcher mit dem Pirol
verwechſelt werden könnte.

Der Name Pfingſtvogel iſt inſofern paſſend gewählt, als der Pirol erſt gegen Pfingſten hin bei
uns eintrifft. Er iſt ein Sommergaſt, welcher nur kurze Zeit in ſeiner eigentlichen Heimat verweilt
und ſchon im Auguſt wieder davonzieht. Dieſe Angabe gilt für ganz Europa, mit Ausnahme des
höchſten Nordens, und für den größten Theil Mittelafiens, welche Erdſtrecken als die Heimat des
Pirols betrachtet werden müſſen. Seinen Aufenthalt wählt er ſich vorzugsweiſe in Laubwäldern und
namentlich in ſolchen der Ebene. Jm Gebirge kommt er blos zeitweilig vor; in Nadelwäldern hält

[Abbildung] Der Pirol (Oriolus Galbula).
er ſich immer nur vorübergehend auf. Eichen- und Birkenwaldungen und zumal Feldgehölze, welche
aus dieſen Bäumen beſtehen, ſind ſeine Lieblingsplätze; von hieraus kommt er bei ſeinen Streifereien
gern auch in die Gärten an Dörfern und Städten herein, beſonders zur Zeit, wenn die Kirſchen
reifen. Seine Winterreiſe dehnt er bis in das tiefe Jnnere von Afrika aus: ich habe ihn noch unter
dem 11. Grad nördlicher Breite nach Süden hin ziehen ſehen. Jn Weſtafrika ſcheint er feſte Herberge
zu nehmen; die Behauptung aber, daß er in Nordafrika überwintere, iſt falſch.

Jn ſeinem Weſen hat der Pirol ſehr viel Eigenthümliches. Er erinnert zuweilen an die Droſ-
ſeln,
zuweilen an die Fliegenfänger, zuweilen auch an die Racken, unterſcheidet ſich jedoch auch
wiederum von allen dieſen Vögeln. „Er iſt‟, ſagt Naumann, „ein ſcheuer, wilder und unſteter
Vogel, welcher ſich immer den Augen der Menſchen zu entziehen ſucht, ob er gleich oft in ihrer Nähe
wohnt. Er hüpft und flattert immer in den dichteſt belaubten Bäumen umher, verweilt ſelten lange
in dem nämlichen Baume und noch weniger auf demſelben Aſte; ſeine Unruhe treibt ihn bald da, bald

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0342" n="318"/><fw place="top" type="header">Die Knacker. Rabenvögel. Pirole.</fw><lb/>
federn und die Spitzen der Steuerfedern. Die Weibchen, die Jungen und die einjährigen Männchen<lb/>
&#x017F;ind oben zei&#x017F;iggrün, unten weißlich mit hella&#x017F;chgrauem Vorderhal&#x017F;e und grau&#x017F;chwarzen Längsflecken.<lb/>
Der Schwanz i&#x017F;t gilblich ge&#x017F;pitzt, und die Flügelfedern &#x017F;ind lichter gerandet. Das Auge i&#x017F;t karmin-<lb/>
roth, der Schnabel &#x017F;chmuzigroth, bei Weibchen und Jungen grau&#x017F;chwärzlich, der Fuß bleigrau. Eine<lb/>
ausführlichere Be&#x017F;chreibung i&#x017F;t unnöthig, weil es in Europa keinen Vogel gibt, welcher mit dem Pirol<lb/>
verwech&#x017F;elt werden könnte.</p><lb/>
          <p>Der Name Pfing&#x017F;tvogel i&#x017F;t in&#x017F;ofern pa&#x017F;&#x017F;end gewählt, als der Pirol er&#x017F;t gegen Pfing&#x017F;ten hin bei<lb/>
uns eintrifft. Er i&#x017F;t ein Sommerga&#x017F;t, welcher nur kurze Zeit in &#x017F;einer eigentlichen Heimat verweilt<lb/>
und &#x017F;chon im Augu&#x017F;t wieder davonzieht. Die&#x017F;e Angabe gilt für ganz Europa, mit Ausnahme des<lb/>
höch&#x017F;ten Nordens, und für den größten Theil Mittelafiens, welche Erd&#x017F;trecken als die Heimat des<lb/>
Pirols betrachtet werden mü&#x017F;&#x017F;en. Seinen Aufenthalt wählt er &#x017F;ich vorzugswei&#x017F;e in Laubwäldern und<lb/>
namentlich in &#x017F;olchen der Ebene. Jm Gebirge kommt er blos zeitweilig vor; in Nadelwäldern hält<lb/><figure><head><hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Der Pirol</hi> (<hi rendition="#aq">Oriolus Galbula</hi>).</hi></head></figure><lb/>
er &#x017F;ich immer nur vorübergehend auf. Eichen- und Birkenwaldungen und zumal Feldgehölze, welche<lb/>
aus die&#x017F;en Bäumen be&#x017F;tehen, &#x017F;ind &#x017F;eine Lieblingsplätze; von hieraus kommt er bei &#x017F;einen Streifereien<lb/>
gern auch in die Gärten an Dörfern und Städten herein, be&#x017F;onders zur Zeit, wenn die Kir&#x017F;chen<lb/>
reifen. Seine Winterrei&#x017F;e dehnt er bis in das tiefe Jnnere von Afrika aus: ich habe ihn noch unter<lb/>
dem 11. Grad nördlicher Breite nach Süden hin ziehen &#x017F;ehen. Jn We&#x017F;tafrika &#x017F;cheint er fe&#x017F;te Herberge<lb/>
zu nehmen; die Behauptung aber, daß er in Nordafrika überwintere, i&#x017F;t fal&#x017F;ch.</p><lb/>
          <p>Jn &#x017F;einem We&#x017F;en hat der Pirol &#x017F;ehr viel Eigenthümliches. Er erinnert zuweilen an die <hi rendition="#g">Dro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;eln,</hi> zuweilen an die <hi rendition="#g">Fliegenfänger,</hi> zuweilen auch an die <hi rendition="#g">Racken,</hi> unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich jedoch auch<lb/>
wiederum von allen die&#x017F;en Vögeln. &#x201E;Er i&#x017F;t&#x201F;, &#x017F;agt <hi rendition="#g">Naumann,</hi> &#x201E;ein &#x017F;cheuer, wilder und un&#x017F;teter<lb/>
Vogel, welcher &#x017F;ich immer den Augen der Men&#x017F;chen zu entziehen &#x017F;ucht, ob er gleich oft in ihrer Nähe<lb/>
wohnt. Er hüpft und flattert immer in den dichte&#x017F;t belaubten Bäumen umher, verweilt &#x017F;elten lange<lb/>
in dem nämlichen Baume und noch weniger auf dem&#x017F;elben A&#x017F;te; &#x017F;eine Unruhe treibt ihn bald da, bald<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0342] Die Knacker. Rabenvögel. Pirole. federn und die Spitzen der Steuerfedern. Die Weibchen, die Jungen und die einjährigen Männchen ſind oben zeiſiggrün, unten weißlich mit hellaſchgrauem Vorderhalſe und grauſchwarzen Längsflecken. Der Schwanz iſt gilblich geſpitzt, und die Flügelfedern ſind lichter gerandet. Das Auge iſt karmin- roth, der Schnabel ſchmuzigroth, bei Weibchen und Jungen grauſchwärzlich, der Fuß bleigrau. Eine ausführlichere Beſchreibung iſt unnöthig, weil es in Europa keinen Vogel gibt, welcher mit dem Pirol verwechſelt werden könnte. Der Name Pfingſtvogel iſt inſofern paſſend gewählt, als der Pirol erſt gegen Pfingſten hin bei uns eintrifft. Er iſt ein Sommergaſt, welcher nur kurze Zeit in ſeiner eigentlichen Heimat verweilt und ſchon im Auguſt wieder davonzieht. Dieſe Angabe gilt für ganz Europa, mit Ausnahme des höchſten Nordens, und für den größten Theil Mittelafiens, welche Erdſtrecken als die Heimat des Pirols betrachtet werden müſſen. Seinen Aufenthalt wählt er ſich vorzugsweiſe in Laubwäldern und namentlich in ſolchen der Ebene. Jm Gebirge kommt er blos zeitweilig vor; in Nadelwäldern hält [Abbildung Der Pirol (Oriolus Galbula).] er ſich immer nur vorübergehend auf. Eichen- und Birkenwaldungen und zumal Feldgehölze, welche aus dieſen Bäumen beſtehen, ſind ſeine Lieblingsplätze; von hieraus kommt er bei ſeinen Streifereien gern auch in die Gärten an Dörfern und Städten herein, beſonders zur Zeit, wenn die Kirſchen reifen. Seine Winterreiſe dehnt er bis in das tiefe Jnnere von Afrika aus: ich habe ihn noch unter dem 11. Grad nördlicher Breite nach Süden hin ziehen ſehen. Jn Weſtafrika ſcheint er feſte Herberge zu nehmen; die Behauptung aber, daß er in Nordafrika überwintere, iſt falſch. Jn ſeinem Weſen hat der Pirol ſehr viel Eigenthümliches. Er erinnert zuweilen an die Droſ- ſeln, zuweilen an die Fliegenfänger, zuweilen auch an die Racken, unterſcheidet ſich jedoch auch wiederum von allen dieſen Vögeln. „Er iſt‟, ſagt Naumann, „ein ſcheuer, wilder und unſteter Vogel, welcher ſich immer den Augen der Menſchen zu entziehen ſucht, ob er gleich oft in ihrer Nähe wohnt. Er hüpft und flattert immer in den dichteſt belaubten Bäumen umher, verweilt ſelten lange in dem nämlichen Baume und noch weniger auf demſelben Aſte; ſeine Unruhe treibt ihn bald da, bald

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/342
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/342>, abgerufen am 22.11.2024.