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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Kirschpirol.
dorthin. Doch nur selten kommt er in niedriges Gesträuch und noch seltener auf die Erde herab.
Geschieht Dies, so hält er sich nur so lange auf, als nöthig ist, ein Kerbthier u. dgl. zu ergreifen.
Ausnahmsweise blos thut er dann auch einige höchst ungeschickte, schwerfällige Sprünge; denn er geht
nie schrittweise ..... Er ist ein muthiger und zänkischer Vogel. Mit seines Gleichen beißt und jagt
er sich beständig herum, er zankt sich aber auch mit andern Vögeln, so daß es ihm, zur Begattungszeit
besonders, nie an Händeln fehlt. Er hat einen dem Anschein nach schweren, rauschenden, aber dennoch
ziemlich schnellen Flug, welcher, wenn es weit über das Freie geht, nach Art der Staaren in großen,
flachen Bogen oder in einer seichten Schlangenlinie fortgesetzt wird. Ueber kurze Räume fliegt er in
gerader Linie, bald schwebend, bald flatternd. Er fliegt gern, streift weit und viel umher, und man
sieht oft, wie einer den andern Viertelstunden lang jagt und unablässig verfolgt."

Die Lockstimme ist ein helles "Jäck, jäck" oder ein rauhes "Kräk", der Angstschrei ein häßlich
schnarrendes "Querr" oder "Chrr", der Ton der Zärtlichkeit ein sanftes "Bülow". Die Stimme
des Männchens, welche wir als Gesang anzusehen haben, ist volltönend, laut und ungemein wohlklin-
gend. Der lateinische und deutsche Name sind Klangbilder von ihr. Naumann gibt sie durch
"Ditleo" oder "Gidaditleo" wieder; wir haben sie als Knaben einfach mit "Piripiriol" übersetzt:
die Landleute aber übertragen sie nach Naumann durch "Pfingsten Bier hol'n; aussaufen, mehr
hol'n", oder "Hest Du gesopen, so betahl och", und scheinen in Anerkennung der Bedeutung dieser
Wahrsprüche an dem "Bieresel" ein ganz absonderliches Wohlgefallen zu haben. Jn Thüringen weiß
man von derartigen Redensarten Nichts; demungeachtet ist der Pirol ein überall gern gesehener, will-
kommener Vogel. Er gehört zu den fleißigsten Sängern unseres Waldes. Man hört ihn bereits vor
Sonnenaufgang und mit wenig Unterbrechung bis gegen Mittag hin und vernimmt ihn von neuem,
wenn die Sonne sich neigt. Aber auch an schwülen Tagen ist er, abweichend von andern Vögeln, rege
und laut. Ein einziges Pirolpaar ist fähig, einen ganzen Wald zu beleben; denn es ist im höchsten
Grade unruhig und das Männchen läßt seine Stimme bald von diesem, bald von jenem Baume
erschallen.

Wenige Tage nach seiner Ankunft beginnt der Pirol mit dem Bau seines künstlichen Nestes,
welches stets in der Gabel eines schlanken Zweiges aufgehängt wird. Es besteht aus halbtrockenen
Grasblättern, Halmen, Ranken, aus Nesselbast, Werg, Wolle, Birkenschale, Mos, Spinnengewebe,
Raupengespinnst und ähnlichen Stossen, ist tief napfförmig und wird inwendig mit feinen Grasrispen
oder mit Wolle und Federn ausgepolstert. Jn der Regel wählt der Pirol einen höheren Baum zur
Anlage desselben; nach Päßler's Erfahrung kommt es aber auch vor, daß er kleine niedrige Bäum-
chen aussucht. Die langen Fäden werden mit dem Speichel auf den Ast geklebt und mehrere Male
um denselben gewickelt, bis die Grundlage des Baues hergestellt worden ist. Dann wird das Uebrige
dazwischen geflochten und gewebt. Beide Geschlechter sind in gleicher Weise am Baue thätig; nur die
innere Auspolsterung scheint vom Weibchen allein besorgt zu werden Anfangs Juni hat das Weib-
chen seine vier bis fünf glattschaligen und glänzenden Eier, welche auf hellweißem Grunde mit asch-
grauen und röthlichschwarzbraunen Punkten und Flecken gezeichnet sind, gelegt und beginnt nun eifrig
zu brüten. Es läßt sich schwer vertreiben; denn beide Geschlechter lieben die Brut außerordentlich.
"Jch besuchte", sagt Päßler, "ein Nest täglich, jagte das Weibchen vom Neste und bog die Zweige
herab, um bequemer in das Jnnere sehen zu können. Da stieß das Weibchen ein lang gehaltenes,
kreischendes Geschrei, ein wahres Kampfgeschrei aus, stürzte sich von dem nahestehenden Baum auf mich
hernieder, flog dicht an meinem Kopfe vorbei und setzte sich auf einen nahen, mir im Rücken stehenden
Baum. Das Männchen eilte herzu: -- derselbe Schrei, derselbe Versuch, mich zu vertreiben. Beide
zeigten sich gleich muthig, beide gleich besorgt um Nest und Eier." Jn den Mittagsstunden löst das
Männchen das brütende Weibchen ab, und dieses eilt nun förmlich durch sein Gebiet, um sich so schnell
als möglich mit der nöthigen Nahrung zu versorgen. Nach vierzehn bis funfzehn Tagen sind die
Jungen ausgebrütet und verlangen nun mit einem eigenthümlichen "Juddi, juddi" nach Nahrung.
Sie wachsen rasch heran und mausern sich bereits im Neste, entfliegen demselben also nicht in dem

Kirſchpirol.
dorthin. Doch nur ſelten kommt er in niedriges Geſträuch und noch ſeltener auf die Erde herab.
Geſchieht Dies, ſo hält er ſich nur ſo lange auf, als nöthig iſt, ein Kerbthier u. dgl. zu ergreifen.
Ausnahmsweiſe blos thut er dann auch einige höchſt ungeſchickte, ſchwerfällige Sprünge; denn er geht
nie ſchrittweiſe ..... Er iſt ein muthiger und zänkiſcher Vogel. Mit ſeines Gleichen beißt und jagt
er ſich beſtändig herum, er zankt ſich aber auch mit andern Vögeln, ſo daß es ihm, zur Begattungszeit
beſonders, nie an Händeln fehlt. Er hat einen dem Anſchein nach ſchweren, rauſchenden, aber dennoch
ziemlich ſchnellen Flug, welcher, wenn es weit über das Freie geht, nach Art der Staaren in großen,
flachen Bogen oder in einer ſeichten Schlangenlinie fortgeſetzt wird. Ueber kurze Räume fliegt er in
gerader Linie, bald ſchwebend, bald flatternd. Er fliegt gern, ſtreift weit und viel umher, und man
ſieht oft, wie einer den andern Viertelſtunden lang jagt und unabläſſig verfolgt.‟

Die Lockſtimme iſt ein helles „Jäck, jäck‟ oder ein rauhes „Kräk‟, der Angſtſchrei ein häßlich
ſchnarrendes „Querr‟ oder „Chrr‟, der Ton der Zärtlichkeit ein ſanftes „Bülow‟. Die Stimme
des Männchens, welche wir als Geſang anzuſehen haben, iſt volltönend, laut und ungemein wohlklin-
gend. Der lateiniſche und deutſche Name ſind Klangbilder von ihr. Naumann gibt ſie durch
Ditleo‟ oder „Gidaditleo‟ wieder; wir haben ſie als Knaben einfach mit „Piripiriol‟ überſetzt:
die Landleute aber übertragen ſie nach Naumann durch „Pfingſten Bier hol’n; ausſaufen, mehr
hol’n‟, oder „Heſt Du geſopen, ſo betahl och‟, und ſcheinen in Anerkennung der Bedeutung dieſer
Wahrſprüche an dem „Biereſel‟ ein ganz abſonderliches Wohlgefallen zu haben. Jn Thüringen weiß
man von derartigen Redensarten Nichts; demungeachtet iſt der Pirol ein überall gern geſehener, will-
kommener Vogel. Er gehört zu den fleißigſten Sängern unſeres Waldes. Man hört ihn bereits vor
Sonnenaufgang und mit wenig Unterbrechung bis gegen Mittag hin und vernimmt ihn von neuem,
wenn die Sonne ſich neigt. Aber auch an ſchwülen Tagen iſt er, abweichend von andern Vögeln, rege
und laut. Ein einziges Pirolpaar iſt fähig, einen ganzen Wald zu beleben; denn es iſt im höchſten
Grade unruhig und das Männchen läßt ſeine Stimme bald von dieſem, bald von jenem Baume
erſchallen.

Wenige Tage nach ſeiner Ankunft beginnt der Pirol mit dem Bau ſeines künſtlichen Neſtes,
welches ſtets in der Gabel eines ſchlanken Zweiges aufgehängt wird. Es beſteht aus halbtrockenen
Grasblättern, Halmen, Ranken, aus Neſſelbaſt, Werg, Wolle, Birkenſchale, Mos, Spinnengewebe,
Raupengeſpinnſt und ähnlichen Stoſſen, iſt tief napfförmig und wird inwendig mit feinen Grasriſpen
oder mit Wolle und Federn ausgepolſtert. Jn der Regel wählt der Pirol einen höheren Baum zur
Anlage deſſelben; nach Päßler’s Erfahrung kommt es aber auch vor, daß er kleine niedrige Bäum-
chen ausſucht. Die langen Fäden werden mit dem Speichel auf den Aſt geklebt und mehrere Male
um denſelben gewickelt, bis die Grundlage des Baues hergeſtellt worden iſt. Dann wird das Uebrige
dazwiſchen geflochten und gewebt. Beide Geſchlechter ſind in gleicher Weiſe am Baue thätig; nur die
innere Auspolſterung ſcheint vom Weibchen allein beſorgt zu werden Anfangs Juni hat das Weib-
chen ſeine vier bis fünf glattſchaligen und glänzenden Eier, welche auf hellweißem Grunde mit aſch-
grauen und röthlichſchwarzbraunen Punkten und Flecken gezeichnet ſind, gelegt und beginnt nun eifrig
zu brüten. Es läßt ſich ſchwer vertreiben; denn beide Geſchlechter lieben die Brut außerordentlich.
„Jch beſuchte‟, ſagt Päßler, „ein Neſt täglich, jagte das Weibchen vom Neſte und bog die Zweige
herab, um bequemer in das Jnnere ſehen zu können. Da ſtieß das Weibchen ein lang gehaltenes,
kreiſchendes Geſchrei, ein wahres Kampfgeſchrei aus, ſtürzte ſich von dem naheſtehenden Baum auf mich
hernieder, flog dicht an meinem Kopfe vorbei und ſetzte ſich auf einen nahen, mir im Rücken ſtehenden
Baum. Das Männchen eilte herzu: — derſelbe Schrei, derſelbe Verſuch, mich zu vertreiben. Beide
zeigten ſich gleich muthig, beide gleich beſorgt um Neſt und Eier.‟ Jn den Mittagsſtunden löſt das
Männchen das brütende Weibchen ab, und dieſes eilt nun förmlich durch ſein Gebiet, um ſich ſo ſchnell
als möglich mit der nöthigen Nahrung zu verſorgen. Nach vierzehn bis funfzehn Tagen ſind die
Jungen ausgebrütet und verlangen nun mit einem eigenthümlichen „Juddi, juddi‟ nach Nahrung.
Sie wachſen raſch heran und mauſern ſich bereits im Neſte, entfliegen demſelben alſo nicht in dem

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[319/0343] Kirſchpirol. dorthin. Doch nur ſelten kommt er in niedriges Geſträuch und noch ſeltener auf die Erde herab. Geſchieht Dies, ſo hält er ſich nur ſo lange auf, als nöthig iſt, ein Kerbthier u. dgl. zu ergreifen. Ausnahmsweiſe blos thut er dann auch einige höchſt ungeſchickte, ſchwerfällige Sprünge; denn er geht nie ſchrittweiſe ..... Er iſt ein muthiger und zänkiſcher Vogel. Mit ſeines Gleichen beißt und jagt er ſich beſtändig herum, er zankt ſich aber auch mit andern Vögeln, ſo daß es ihm, zur Begattungszeit beſonders, nie an Händeln fehlt. Er hat einen dem Anſchein nach ſchweren, rauſchenden, aber dennoch ziemlich ſchnellen Flug, welcher, wenn es weit über das Freie geht, nach Art der Staaren in großen, flachen Bogen oder in einer ſeichten Schlangenlinie fortgeſetzt wird. Ueber kurze Räume fliegt er in gerader Linie, bald ſchwebend, bald flatternd. Er fliegt gern, ſtreift weit und viel umher, und man ſieht oft, wie einer den andern Viertelſtunden lang jagt und unabläſſig verfolgt.‟ Die Lockſtimme iſt ein helles „Jäck, jäck‟ oder ein rauhes „Kräk‟, der Angſtſchrei ein häßlich ſchnarrendes „Querr‟ oder „Chrr‟, der Ton der Zärtlichkeit ein ſanftes „Bülow‟. Die Stimme des Männchens, welche wir als Geſang anzuſehen haben, iſt volltönend, laut und ungemein wohlklin- gend. Der lateiniſche und deutſche Name ſind Klangbilder von ihr. Naumann gibt ſie durch „Ditleo‟ oder „Gidaditleo‟ wieder; wir haben ſie als Knaben einfach mit „Piripiriol‟ überſetzt: die Landleute aber übertragen ſie nach Naumann durch „Pfingſten Bier hol’n; ausſaufen, mehr hol’n‟, oder „Heſt Du geſopen, ſo betahl och‟, und ſcheinen in Anerkennung der Bedeutung dieſer Wahrſprüche an dem „Biereſel‟ ein ganz abſonderliches Wohlgefallen zu haben. Jn Thüringen weiß man von derartigen Redensarten Nichts; demungeachtet iſt der Pirol ein überall gern geſehener, will- kommener Vogel. Er gehört zu den fleißigſten Sängern unſeres Waldes. Man hört ihn bereits vor Sonnenaufgang und mit wenig Unterbrechung bis gegen Mittag hin und vernimmt ihn von neuem, wenn die Sonne ſich neigt. Aber auch an ſchwülen Tagen iſt er, abweichend von andern Vögeln, rege und laut. Ein einziges Pirolpaar iſt fähig, einen ganzen Wald zu beleben; denn es iſt im höchſten Grade unruhig und das Männchen läßt ſeine Stimme bald von dieſem, bald von jenem Baume erſchallen. Wenige Tage nach ſeiner Ankunft beginnt der Pirol mit dem Bau ſeines künſtlichen Neſtes, welches ſtets in der Gabel eines ſchlanken Zweiges aufgehängt wird. Es beſteht aus halbtrockenen Grasblättern, Halmen, Ranken, aus Neſſelbaſt, Werg, Wolle, Birkenſchale, Mos, Spinnengewebe, Raupengeſpinnſt und ähnlichen Stoſſen, iſt tief napfförmig und wird inwendig mit feinen Grasriſpen oder mit Wolle und Federn ausgepolſtert. Jn der Regel wählt der Pirol einen höheren Baum zur Anlage deſſelben; nach Päßler’s Erfahrung kommt es aber auch vor, daß er kleine niedrige Bäum- chen ausſucht. Die langen Fäden werden mit dem Speichel auf den Aſt geklebt und mehrere Male um denſelben gewickelt, bis die Grundlage des Baues hergeſtellt worden iſt. Dann wird das Uebrige dazwiſchen geflochten und gewebt. Beide Geſchlechter ſind in gleicher Weiſe am Baue thätig; nur die innere Auspolſterung ſcheint vom Weibchen allein beſorgt zu werden Anfangs Juni hat das Weib- chen ſeine vier bis fünf glattſchaligen und glänzenden Eier, welche auf hellweißem Grunde mit aſch- grauen und röthlichſchwarzbraunen Punkten und Flecken gezeichnet ſind, gelegt und beginnt nun eifrig zu brüten. Es läßt ſich ſchwer vertreiben; denn beide Geſchlechter lieben die Brut außerordentlich. „Jch beſuchte‟, ſagt Päßler, „ein Neſt täglich, jagte das Weibchen vom Neſte und bog die Zweige herab, um bequemer in das Jnnere ſehen zu können. Da ſtieß das Weibchen ein lang gehaltenes, kreiſchendes Geſchrei, ein wahres Kampfgeſchrei aus, ſtürzte ſich von dem naheſtehenden Baum auf mich hernieder, flog dicht an meinem Kopfe vorbei und ſetzte ſich auf einen nahen, mir im Rücken ſtehenden Baum. Das Männchen eilte herzu: — derſelbe Schrei, derſelbe Verſuch, mich zu vertreiben. Beide zeigten ſich gleich muthig, beide gleich beſorgt um Neſt und Eier.‟ Jn den Mittagsſtunden löſt das Männchen das brütende Weibchen ab, und dieſes eilt nun förmlich durch ſein Gebiet, um ſich ſo ſchnell als möglich mit der nöthigen Nahrung zu verſorgen. Nach vierzehn bis funfzehn Tagen ſind die Jungen ausgebrütet und verlangen nun mit einem eigenthümlichen „Juddi, juddi‟ nach Nahrung. Sie wachſen raſch heran und mauſern ſich bereits im Neſte, entfliegen demſelben alſo nicht in dem

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/343>, abgerufen am 22.11.2024.