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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Geierfalken.
widrige Lebensweise Jedem auffallen müssen, der blos an die Vögel des nördlichen Europas gewöhnt
ist. Sie ersetzen nicht blos die Geier, sondern auch die Raben, Krähen und Elstern, eine Gruppe
von Vögeln, welche in Südamerika gänzlich fehlt". Eine Art von ihnen dehnt ihre Heimat über
außerordentlich große Länderstrecken aus: sie findet sich von Florida an durch ganz Südamerika bis
gegen die Magelhaensstraße hin und von den Küsten des atlantischen bis zum stillen Weltmeere;
andere Arten sind ebenfalls weit verbreitet, bewohnen aber doch nur gewisse Länderstrecken und werden
in den benachbarten durch andere ersetzt. Wo man aber auch seinen Fuß hinsetzen mag in Süd-
amerika, vom Meeresgestade an bis zu den Hochbergen der Anden hinauf, überall wird und muß man
diesen Vögeln begegnen; denn sie drängen sich dem Menschen förmlich auf. Sie theilen nicht nur seine
Wohnplätze mit ihm, sondern verfolgen ihn auch auf seinen Reisen. Von ihnen spricht jeder Europäer,
welcher Brasilien bereiste, von ihnen weiß auch der unkundigste Laie zu berichten, und es ist mehr
als wunderbar, daß "ein Naturforscher", dessen Name Nichts zur Sache thut, auf seinen mehrjährigen
Reisen in Südamerika die Geierfalken vollständig übersehen zu haben scheint und in einer von ihm
herausgegebenen Naturgeschichte des Thierreichs andere Beobachtungen an die Stelle der seinigen
setzen muß.

"Die Geierfalken", sagt d'Orbigny, "sind die aufdringlichsten Schmarotzer des Menschen in
den verschiedenen Stufen seiner Gesittung. Treue Gefährten des wilden Wanderers begleiten sie ihn
von einem Saume des Waldes zu dem andern, längs der Ufer der Flüsse dahin oder durch die Ebene
und nehmen ihren zufälligen Aufenthalt da, wo der Mensch sich niederläßt. Wo letzterer auch auf
einige Zeit verweilen mag, wo er eine Hütte aufschlägt, erscheint der Geierfalk, um sich auf ihr nieder-
zulassen, gleichsam als wolle er zuerst Besitz nehmen; er umschweift sie, bereit, die weggeworfenen
Nahrungsreste des vereinsamten Ansiedlers aufzunehmen. Wenn der Mensch einen Weiler gründet,
folgt ihm der Geierfalk auch dahin, nimmt in der Nachbarschaft seinen Stand und streift nun ohne
Unterlaß zwischen den Häusern umher, welche ihm reichliche und leicht zu gewinnende Nahrung ver-
sprechen. Wenn endlich der Mensch sich anschickt, Ländereien urbar zu machen und sich mit einer
großen Zahl von Hausthieren umgibt, scheint sich die nie ermattende Beschäftigung des Geierfalken
noch zu vermehren. Sein Leben wird jetzt gesichert; denn der Vogel fürchtet sich nicht, selbst inmitten
der Ortschaften sein Wesen zu treiben und hier aus der Nachlässigkeit der Bewohner Vortheil zu
ziehen, sei es, indem er ein junges Hühnchen erhebt, oder sei es, indem er von den zum Trocknen auf-
gehängten Fleischstücken eins oder das andere sich wegstiehlt. Wie der Geier, muß auch er der Fahr-
lässigkeit der Dörfer- und Städtebewohner abhelfen, indem er die Thierleichen und den Unflat
verschlingt." Zwei Arten der Familie finden sich stets vor den Thüren der Wohnungen in der Tiefe
oder nahe der Wälder, andere umschwärmen in derselben Absicht das Haus im Gebirge. Wieder
andere bewohnen die ausgedehnten Waldungen, und einige endlich finden sich längs der Seeküste; denn
nicht blos Aas und Unflat bilden die Nahrung dieser merkwürdigen Vögel: sie fressen vielmehr alles
Genießbare, welches das Thierreich ihnen bietet, ohne daß sie sich darum mühen müssen. Ja, eine Art
von ihnen nährt sich sogar vorzugsweise von Früchten des Waldes. Doch bildet Aas und Unrath
immer ihre hauptsächlichste Speise, und da, wo eine Thierleiche liegt, finden diese Vögel zu
Hunderten sich ein.

Die Geierfalken haben einen Flug, welcher sie von weitem kenntlich macht. Jhr Flügel sieht
viereckig zugestutzt aus, weil die ausgebreiteten Schwingen an Länge gleich zu sein scheinen, und auch
die Schwanzfedern sind im Fluge weit ausgebreitet. Der Flug selbst ist schnell, wenn der Vogel eilig
ist; gewöhnlich aber scheint Dies nicht der Fall zu sein, und der Geierfalk schwebt dann langsam und
ziemlich niedrig über der Erde dahin. Der Gang unterscheidet diese Vögel von allen übrigen Falken.
Man sieht sie sich auf dem Boden ergehen, mit langsamen Schritten, auscheinend ohne alle Beschwerde,
mehr nach Art der Geier, als in der ungeschickten Weise anderer Raubvögel. Eine Art ist so sehr
auf dem Boden zu Hause, daß sie niemals Bäume, sondern immer Felsblöcke zu ihren Ruheplätzen
erwählt, wie viele Geier es zu thun pflegen. Unter den Sinnen steht das Auge obenan; das Gehör

Die Fänger. Raubvögel. Geierfalken.
widrige Lebensweiſe Jedem auffallen müſſen, der blos an die Vögel des nördlichen Europas gewöhnt
iſt. Sie erſetzen nicht blos die Geier, ſondern auch die Raben, Krähen und Elſtern, eine Gruppe
von Vögeln, welche in Südamerika gänzlich fehlt‟. Eine Art von ihnen dehnt ihre Heimat über
außerordentlich große Länderſtrecken aus: ſie findet ſich von Florida an durch ganz Südamerika bis
gegen die Magelhaensſtraße hin und von den Küſten des atlantiſchen bis zum ſtillen Weltmeere;
andere Arten ſind ebenfalls weit verbreitet, bewohnen aber doch nur gewiſſe Länderſtrecken und werden
in den benachbarten durch andere erſetzt. Wo man aber auch ſeinen Fuß hinſetzen mag in Süd-
amerika, vom Meeresgeſtade an bis zu den Hochbergen der Anden hinauf, überall wird und muß man
dieſen Vögeln begegnen; denn ſie drängen ſich dem Menſchen förmlich auf. Sie theilen nicht nur ſeine
Wohnplätze mit ihm, ſondern verfolgen ihn auch auf ſeinen Reiſen. Von ihnen ſpricht jeder Europäer,
welcher Braſilien bereiſte, von ihnen weiß auch der unkundigſte Laie zu berichten, und es iſt mehr
als wunderbar, daß „ein Naturforſcher‟, deſſen Name Nichts zur Sache thut, auf ſeinen mehrjährigen
Reiſen in Südamerika die Geierfalken vollſtändig überſehen zu haben ſcheint und in einer von ihm
herausgegebenen Naturgeſchichte des Thierreichs andere Beobachtungen an die Stelle der ſeinigen
ſetzen muß.

„Die Geierfalken‟, ſagt d’Orbigny, „ſind die aufdringlichſten Schmarotzer des Menſchen in
den verſchiedenen Stufen ſeiner Geſittung. Treue Gefährten des wilden Wanderers begleiten ſie ihn
von einem Saume des Waldes zu dem andern, längs der Ufer der Flüſſe dahin oder durch die Ebene
und nehmen ihren zufälligen Aufenthalt da, wo der Menſch ſich niederläßt. Wo letzterer auch auf
einige Zeit verweilen mag, wo er eine Hütte aufſchlägt, erſcheint der Geierfalk, um ſich auf ihr nieder-
zulaſſen, gleichſam als wolle er zuerſt Beſitz nehmen; er umſchweift ſie, bereit, die weggeworfenen
Nahrungsreſte des vereinſamten Anſiedlers aufzunehmen. Wenn der Menſch einen Weiler gründet,
folgt ihm der Geierfalk auch dahin, nimmt in der Nachbarſchaft ſeinen Stand und ſtreift nun ohne
Unterlaß zwiſchen den Häuſern umher, welche ihm reichliche und leicht zu gewinnende Nahrung ver-
ſprechen. Wenn endlich der Menſch ſich anſchickt, Ländereien urbar zu machen und ſich mit einer
großen Zahl von Hausthieren umgibt, ſcheint ſich die nie ermattende Beſchäftigung des Geierfalken
noch zu vermehren. Sein Leben wird jetzt geſichert; denn der Vogel fürchtet ſich nicht, ſelbſt inmitten
der Ortſchaften ſein Weſen zu treiben und hier aus der Nachläſſigkeit der Bewohner Vortheil zu
ziehen, ſei es, indem er ein junges Hühnchen erhebt, oder ſei es, indem er von den zum Trocknen auf-
gehängten Fleiſchſtücken eins oder das andere ſich wegſtiehlt. Wie der Geier, muß auch er der Fahr-
läſſigkeit der Dörfer- und Städtebewohner abhelfen, indem er die Thierleichen und den Unflat
verſchlingt.‟ Zwei Arten der Familie finden ſich ſtets vor den Thüren der Wohnungen in der Tiefe
oder nahe der Wälder, andere umſchwärmen in derſelben Abſicht das Haus im Gebirge. Wieder
andere bewohnen die ausgedehnten Waldungen, und einige endlich finden ſich längs der Seeküſte; denn
nicht blos Aas und Unflat bilden die Nahrung dieſer merkwürdigen Vögel: ſie freſſen vielmehr alles
Genießbare, welches das Thierreich ihnen bietet, ohne daß ſie ſich darum mühen müſſen. Ja, eine Art
von ihnen nährt ſich ſogar vorzugsweiſe von Früchten des Waldes. Doch bildet Aas und Unrath
immer ihre hauptſächlichſte Speiſe, und da, wo eine Thierleiche liegt, finden dieſe Vögel zu
Hunderten ſich ein.

Die Geierfalken haben einen Flug, welcher ſie von weitem kenntlich macht. Jhr Flügel ſieht
viereckig zugeſtutzt aus, weil die ausgebreiteten Schwingen an Länge gleich zu ſein ſcheinen, und auch
die Schwanzfedern ſind im Fluge weit ausgebreitet. Der Flug ſelbſt iſt ſchnell, wenn der Vogel eilig
iſt; gewöhnlich aber ſcheint Dies nicht der Fall zu ſein, und der Geierfalk ſchwebt dann langſam und
ziemlich niedrig über der Erde dahin. Der Gang unterſcheidet dieſe Vögel von allen übrigen Falken.
Man ſieht ſie ſich auf dem Boden ergehen, mit langſamen Schritten, auſcheinend ohne alle Beſchwerde,
mehr nach Art der Geier, als in der ungeſchickten Weiſe anderer Raubvögel. Eine Art iſt ſo ſehr
auf dem Boden zu Hauſe, daß ſie niemals Bäume, ſondern immer Felsblöcke zu ihren Ruheplätzen
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[522/0554] Die Fänger. Raubvögel. Geierfalken. widrige Lebensweiſe Jedem auffallen müſſen, der blos an die Vögel des nördlichen Europas gewöhnt iſt. Sie erſetzen nicht blos die Geier, ſondern auch die Raben, Krähen und Elſtern, eine Gruppe von Vögeln, welche in Südamerika gänzlich fehlt‟. Eine Art von ihnen dehnt ihre Heimat über außerordentlich große Länderſtrecken aus: ſie findet ſich von Florida an durch ganz Südamerika bis gegen die Magelhaensſtraße hin und von den Küſten des atlantiſchen bis zum ſtillen Weltmeere; andere Arten ſind ebenfalls weit verbreitet, bewohnen aber doch nur gewiſſe Länderſtrecken und werden in den benachbarten durch andere erſetzt. Wo man aber auch ſeinen Fuß hinſetzen mag in Süd- amerika, vom Meeresgeſtade an bis zu den Hochbergen der Anden hinauf, überall wird und muß man dieſen Vögeln begegnen; denn ſie drängen ſich dem Menſchen förmlich auf. Sie theilen nicht nur ſeine Wohnplätze mit ihm, ſondern verfolgen ihn auch auf ſeinen Reiſen. Von ihnen ſpricht jeder Europäer, welcher Braſilien bereiſte, von ihnen weiß auch der unkundigſte Laie zu berichten, und es iſt mehr als wunderbar, daß „ein Naturforſcher‟, deſſen Name Nichts zur Sache thut, auf ſeinen mehrjährigen Reiſen in Südamerika die Geierfalken vollſtändig überſehen zu haben ſcheint und in einer von ihm herausgegebenen Naturgeſchichte des Thierreichs andere Beobachtungen an die Stelle der ſeinigen ſetzen muß. „Die Geierfalken‟, ſagt d’Orbigny, „ſind die aufdringlichſten Schmarotzer des Menſchen in den verſchiedenen Stufen ſeiner Geſittung. Treue Gefährten des wilden Wanderers begleiten ſie ihn von einem Saume des Waldes zu dem andern, längs der Ufer der Flüſſe dahin oder durch die Ebene und nehmen ihren zufälligen Aufenthalt da, wo der Menſch ſich niederläßt. Wo letzterer auch auf einige Zeit verweilen mag, wo er eine Hütte aufſchlägt, erſcheint der Geierfalk, um ſich auf ihr nieder- zulaſſen, gleichſam als wolle er zuerſt Beſitz nehmen; er umſchweift ſie, bereit, die weggeworfenen Nahrungsreſte des vereinſamten Anſiedlers aufzunehmen. Wenn der Menſch einen Weiler gründet, folgt ihm der Geierfalk auch dahin, nimmt in der Nachbarſchaft ſeinen Stand und ſtreift nun ohne Unterlaß zwiſchen den Häuſern umher, welche ihm reichliche und leicht zu gewinnende Nahrung ver- ſprechen. Wenn endlich der Menſch ſich anſchickt, Ländereien urbar zu machen und ſich mit einer großen Zahl von Hausthieren umgibt, ſcheint ſich die nie ermattende Beſchäftigung des Geierfalken noch zu vermehren. Sein Leben wird jetzt geſichert; denn der Vogel fürchtet ſich nicht, ſelbſt inmitten der Ortſchaften ſein Weſen zu treiben und hier aus der Nachläſſigkeit der Bewohner Vortheil zu ziehen, ſei es, indem er ein junges Hühnchen erhebt, oder ſei es, indem er von den zum Trocknen auf- gehängten Fleiſchſtücken eins oder das andere ſich wegſtiehlt. Wie der Geier, muß auch er der Fahr- läſſigkeit der Dörfer- und Städtebewohner abhelfen, indem er die Thierleichen und den Unflat verſchlingt.‟ Zwei Arten der Familie finden ſich ſtets vor den Thüren der Wohnungen in der Tiefe oder nahe der Wälder, andere umſchwärmen in derſelben Abſicht das Haus im Gebirge. Wieder andere bewohnen die ausgedehnten Waldungen, und einige endlich finden ſich längs der Seeküſte; denn nicht blos Aas und Unflat bilden die Nahrung dieſer merkwürdigen Vögel: ſie freſſen vielmehr alles Genießbare, welches das Thierreich ihnen bietet, ohne daß ſie ſich darum mühen müſſen. Ja, eine Art von ihnen nährt ſich ſogar vorzugsweiſe von Früchten des Waldes. Doch bildet Aas und Unrath immer ihre hauptſächlichſte Speiſe, und da, wo eine Thierleiche liegt, finden dieſe Vögel zu Hunderten ſich ein. Die Geierfalken haben einen Flug, welcher ſie von weitem kenntlich macht. Jhr Flügel ſieht viereckig zugeſtutzt aus, weil die ausgebreiteten Schwingen an Länge gleich zu ſein ſcheinen, und auch die Schwanzfedern ſind im Fluge weit ausgebreitet. Der Flug ſelbſt iſt ſchnell, wenn der Vogel eilig iſt; gewöhnlich aber ſcheint Dies nicht der Fall zu ſein, und der Geierfalk ſchwebt dann langſam und ziemlich niedrig über der Erde dahin. Der Gang unterſcheidet dieſe Vögel von allen übrigen Falken. Man ſieht ſie ſich auf dem Boden ergehen, mit langſamen Schritten, auſcheinend ohne alle Beſchwerde, mehr nach Art der Geier, als in der ungeſchickten Weiſe anderer Raubvögel. Eine Art iſt ſo ſehr auf dem Boden zu Hauſe, daß ſie niemals Bäume, ſondern immer Felsblöcke zu ihren Ruheplätzen erwählt, wie viele Geier es zu thun pflegen. Unter den Sinnen ſteht das Auge obenan; das Gehör

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/554>, abgerufen am 22.11.2024.