sich die Nickhaut seines Auges während dieser Kopfbewegung regelmäßig über mehr als die Hälfte des Augapfels zieht. Daß er aber sieht und hört, unterliegt keinem Zweifel, und ich kann die von Gadamer geschickt angestellte Untersuchung durch eigene Beobachtungen an Gefangenen bestätigen. "Jch besaß", so erzählt letztgenannter Forscher, "einen Auerhahn, welcher zahm war, an vier Jahre lebend und hatte das Vergnügen, ihn jedes Frühjahr balzen zu hören. Nun fiel es mir ein, sein Gehör und Gesicht zu prüfen, wozu mir mein Vater behülflich war. Wie genau der Versuch ausfallen mußte, erhellt daraus, daß der Hahn auch eifrig fortbalzte, wenn man so nahe bei ihm stand, daß man ihn mit der Hand berühren konnte. Jch selbst stellte mich neben ihn und ließ meinen Vater mit geladenem Gewehr an vierzig Schritte weit gehen, doch so, daß er den Beginn des Schleifens genau hören konnte, um im rechten Augenblick den Schuß abzugeben. Als der Hahn schleifte, schoß mein Vater ab. Der Hahn wandte haftig den Kopf der Gegend zu, aus welcher der Schuß gekommen war, und bewies durch sein Benehmen, daß er den Knall wohl gehört hatte, ließ sich aber im Schleifen durchaus nicht stören. Dieser Versuch wurde wohl an zehnmal wiederholt und jedes Mal dieselbe Bewegung seitens des Hahnes bemerkt. Dann ließ ich Kupferhütchen abbrennen: auch diese hörte er. Während der Balzzeit war er sehr bösartig und hieb nach Allem, was sich ihm näherte. Dies gab mir Veranlassung, sein Gesicht zu prüfen. Während er schleifte, streckte ich die Hand aus, als wolle ich seinen Kopf berühren. Jch mußte aber jedes Mal die Hand zurückziehen; denn im vollen Schleifen hieb er nach derselben; ja noch mehr, wenn er schleifte und uns den Rücken zuwendete, kam er sogleich angesprungen, wenn man ihn z. B. am Schwanze greifen wollte."
Die ungewöhnliche Aufregung, in welcher sich der Vogel während der Balze befindet, läßt es einigermaßen erklärlich erscheinen, daß er zuweilen die größten Tollheiten begeht. So berichtet Wildungen von einem Auerhahne, welcher sich plötzlich auf sägende Holzmacher stürzte, sie mit den Flügeln schlug, nach ihnen biß und sich kaum vertreiben ließ. Ein anderer flog, nach Angabe desselben Schriftstellers, sogar auf das Feld heraus, stellte sich den Pferden eines Ackermannes in den Weg und machte diese scheu; ein dritter nahm Jedermann an, welcher sich seinem Standorte näherte, versuchte sogar mit den Pferden der Forstleute anzubinden. "Vor mehreren Jahren", erzählt mein Vater, "lebte eine halbe Meile von meinem Wohnorte ein Auerhahn, welcher die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog. Während und nach der Balzzeit hielt er sich in der Nähe eines ziemlich besuchten Weges auf und zeigte da, daß er alle Furcht vor den Menschen gänzlich abgelegt hatte. Anstatt vor ihnen zu fliehen, näherte er sich ihnen, lief neben ihnen her, biß sie in die Beine, schlug mit den Flügeln und war schwer zu entfernen. Ein Jäger ergriff ihn und trug ihn nach einem zwei Stunden von diesem Wege entfernten Orte. Am andern Tage war er schon wieder an der alten Stelle. Ein Jagdfreund nahm ihn von dem Boden weg und unter den Arm, um ihn dem Oberförster zu überbringen. Der Auerhahn verhielt sich anfangs ruhig; als er sich aber seiner Freiheit beraubt sah, begann er mit den Füßen zu scharren, sodaß er dem Träger den Rock zerfetzte und freigelassen werden mußte. Für abergläubische Menschen war dieser Vogel ein sehr furchtbares Thier. Da er oft Holzdiebe überraschte, so ging in der ganzen Gegend die Sage, die Jäger hätten einen bösen Geist in den Auerhahn gebannt und zwängen ihn, immer da zu erscheinen, wo sie sich nicht selbst einfinden könnten. Dieser Wahn erhielt unserem Vogel, welcher eine ganz besondere Kampflust gegen die Menschen zu haben schien, mehrere Monate das Leben, bis er verschwand, ohne daß man wußte, auf welche Weise. Wahrscheinlich hat ihn ein starker Geist, deren es in unserer Gegend auch gibt, ergriffen und getödtet."
Jn der Regel versteigt sich der Muth des Auerhahns nicht so hoch; eine gewisse Kampflust aber zeigt er während seiner Balze unter allen Umständen. Ein alter Hahn duldet keinen jungen in einem Umkreise von ungefähr dreihundert Schritten, gibt es auch nicht zu, daß ein junger balzt, und kämpft mit jedem Nebenbuhler, welcher sich widersetzt, nach Ritterart auf Leben und Tod. Jm günstigsten Falle bringt einer dem andern schwere Verwundungen am Kopfe bei; gar nicht selten aber bleibt
Auerhuhn.
ſich die Nickhaut ſeines Auges während dieſer Kopfbewegung regelmäßig über mehr als die Hälfte des Augapfels zieht. Daß er aber ſieht und hört, unterliegt keinem Zweifel, und ich kann die von Gadamer geſchickt angeſtellte Unterſuchung durch eigene Beobachtungen an Gefangenen beſtätigen. „Jch beſaß“, ſo erzählt letztgenannter Forſcher, „einen Auerhahn, welcher zahm war, an vier Jahre lebend und hatte das Vergnügen, ihn jedes Frühjahr balzen zu hören. Nun fiel es mir ein, ſein Gehör und Geſicht zu prüfen, wozu mir mein Vater behülflich war. Wie genau der Verſuch ausfallen mußte, erhellt daraus, daß der Hahn auch eifrig fortbalzte, wenn man ſo nahe bei ihm ſtand, daß man ihn mit der Hand berühren konnte. Jch ſelbſt ſtellte mich neben ihn und ließ meinen Vater mit geladenem Gewehr an vierzig Schritte weit gehen, doch ſo, daß er den Beginn des Schleifens genau hören konnte, um im rechten Augenblick den Schuß abzugeben. Als der Hahn ſchleifte, ſchoß mein Vater ab. Der Hahn wandte haftig den Kopf der Gegend zu, aus welcher der Schuß gekommen war, und bewies durch ſein Benehmen, daß er den Knall wohl gehört hatte, ließ ſich aber im Schleifen durchaus nicht ſtören. Dieſer Verſuch wurde wohl an zehnmal wiederholt und jedes Mal dieſelbe Bewegung ſeitens des Hahnes bemerkt. Dann ließ ich Kupferhütchen abbrennen: auch dieſe hörte er. Während der Balzzeit war er ſehr bösartig und hieb nach Allem, was ſich ihm näherte. Dies gab mir Veranlaſſung, ſein Geſicht zu prüfen. Während er ſchleifte, ſtreckte ich die Hand aus, als wolle ich ſeinen Kopf berühren. Jch mußte aber jedes Mal die Hand zurückziehen; denn im vollen Schleifen hieb er nach derſelben; ja noch mehr, wenn er ſchleifte und uns den Rücken zuwendete, kam er ſogleich angeſprungen, wenn man ihn z. B. am Schwanze greifen wollte.“
Die ungewöhnliche Aufregung, in welcher ſich der Vogel während der Balze befindet, läßt es einigermaßen erklärlich erſcheinen, daß er zuweilen die größten Tollheiten begeht. So berichtet Wildungen von einem Auerhahne, welcher ſich plötzlich auf ſägende Holzmacher ſtürzte, ſie mit den Flügeln ſchlug, nach ihnen biß und ſich kaum vertreiben ließ. Ein anderer flog, nach Angabe deſſelben Schriftſtellers, ſogar auf das Feld heraus, ſtellte ſich den Pferden eines Ackermannes in den Weg und machte dieſe ſcheu; ein dritter nahm Jedermann an, welcher ſich ſeinem Standorte näherte, verſuchte ſogar mit den Pferden der Forſtleute anzubinden. „Vor mehreren Jahren“, erzählt mein Vater, „lebte eine halbe Meile von meinem Wohnorte ein Auerhahn, welcher die allgemeine Aufmerkſamkeit auf ſich zog. Während und nach der Balzzeit hielt er ſich in der Nähe eines ziemlich beſuchten Weges auf und zeigte da, daß er alle Furcht vor den Menſchen gänzlich abgelegt hatte. Anſtatt vor ihnen zu fliehen, näherte er ſich ihnen, lief neben ihnen her, biß ſie in die Beine, ſchlug mit den Flügeln und war ſchwer zu entfernen. Ein Jäger ergriff ihn und trug ihn nach einem zwei Stunden von dieſem Wege entfernten Orte. Am andern Tage war er ſchon wieder an der alten Stelle. Ein Jagdfreund nahm ihn von dem Boden weg und unter den Arm, um ihn dem Oberförſter zu überbringen. Der Auerhahn verhielt ſich anfangs ruhig; als er ſich aber ſeiner Freiheit beraubt ſah, begann er mit den Füßen zu ſcharren, ſodaß er dem Träger den Rock zerfetzte und freigelaſſen werden mußte. Für abergläubiſche Menſchen war dieſer Vogel ein ſehr furchtbares Thier. Da er oft Holzdiebe überraſchte, ſo ging in der ganzen Gegend die Sage, die Jäger hätten einen böſen Geiſt in den Auerhahn gebannt und zwängen ihn, immer da zu erſcheinen, wo ſie ſich nicht ſelbſt einfinden könnten. Dieſer Wahn erhielt unſerem Vogel, welcher eine ganz beſondere Kampfluſt gegen die Menſchen zu haben ſchien, mehrere Monate das Leben, bis er verſchwand, ohne daß man wußte, auf welche Weiſe. Wahrſcheinlich hat ihn ein ſtarker Geiſt, deren es in unſerer Gegend auch gibt, ergriffen und getödtet.“
Jn der Regel verſteigt ſich der Muth des Auerhahns nicht ſo hoch; eine gewiſſe Kampfluſt aber zeigt er während ſeiner Balze unter allen Umſtänden. Ein alter Hahn duldet keinen jungen in einem Umkreiſe von ungefähr dreihundert Schritten, gibt es auch nicht zu, daß ein junger balzt, und kämpft mit jedem Nebenbuhler, welcher ſich widerſetzt, nach Ritterart auf Leben und Tod. Jm günſtigſten Falle bringt einer dem andern ſchwere Verwundungen am Kopfe bei; gar nicht ſelten aber bleibt
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[341/0369]
Auerhuhn.
ſich die Nickhaut ſeines Auges während dieſer Kopfbewegung regelmäßig über mehr als die Hälfte
des Augapfels zieht. Daß er aber ſieht und hört, unterliegt keinem Zweifel, und ich kann die von
Gadamer geſchickt angeſtellte Unterſuchung durch eigene Beobachtungen an Gefangenen beſtätigen.
„Jch beſaß“, ſo erzählt letztgenannter Forſcher, „einen Auerhahn, welcher zahm war, an vier Jahre
lebend und hatte das Vergnügen, ihn jedes Frühjahr balzen zu hören. Nun fiel es mir ein, ſein
Gehör und Geſicht zu prüfen, wozu mir mein Vater behülflich war. Wie genau der Verſuch
ausfallen mußte, erhellt daraus, daß der Hahn auch eifrig fortbalzte, wenn man ſo nahe bei ihm
ſtand, daß man ihn mit der Hand berühren konnte. Jch ſelbſt ſtellte mich neben ihn und ließ meinen
Vater mit geladenem Gewehr an vierzig Schritte weit gehen, doch ſo, daß er den Beginn des
Schleifens genau hören konnte, um im rechten Augenblick den Schuß abzugeben. Als der Hahn
ſchleifte, ſchoß mein Vater ab. Der Hahn wandte haftig den Kopf der Gegend zu, aus welcher der
Schuß gekommen war, und bewies durch ſein Benehmen, daß er den Knall wohl gehört hatte, ließ
ſich aber im Schleifen durchaus nicht ſtören. Dieſer Verſuch wurde wohl an zehnmal wiederholt
und jedes Mal dieſelbe Bewegung ſeitens des Hahnes bemerkt. Dann ließ ich Kupferhütchen
abbrennen: auch dieſe hörte er. Während der Balzzeit war er ſehr bösartig und hieb nach Allem,
was ſich ihm näherte. Dies gab mir Veranlaſſung, ſein Geſicht zu prüfen. Während er ſchleifte,
ſtreckte ich die Hand aus, als wolle ich ſeinen Kopf berühren. Jch mußte aber jedes Mal
die Hand zurückziehen; denn im vollen Schleifen hieb er nach derſelben; ja noch mehr, wenn er
ſchleifte und uns den Rücken zuwendete, kam er ſogleich angeſprungen, wenn man ihn z. B. am
Schwanze greifen wollte.“
Die ungewöhnliche Aufregung, in welcher ſich der Vogel während der Balze befindet, läßt
es einigermaßen erklärlich erſcheinen, daß er zuweilen die größten Tollheiten begeht. So berichtet
Wildungen von einem Auerhahne, welcher ſich plötzlich auf ſägende Holzmacher ſtürzte, ſie mit
den Flügeln ſchlug, nach ihnen biß und ſich kaum vertreiben ließ. Ein anderer flog, nach Angabe
deſſelben Schriftſtellers, ſogar auf das Feld heraus, ſtellte ſich den Pferden eines Ackermannes in
den Weg und machte dieſe ſcheu; ein dritter nahm Jedermann an, welcher ſich ſeinem Standorte
näherte, verſuchte ſogar mit den Pferden der Forſtleute anzubinden. „Vor mehreren Jahren“,
erzählt mein Vater, „lebte eine halbe Meile von meinem Wohnorte ein Auerhahn, welcher die
allgemeine Aufmerkſamkeit auf ſich zog. Während und nach der Balzzeit hielt er ſich in der Nähe
eines ziemlich beſuchten Weges auf und zeigte da, daß er alle Furcht vor den Menſchen gänzlich
abgelegt hatte. Anſtatt vor ihnen zu fliehen, näherte er ſich ihnen, lief neben ihnen her, biß ſie in
die Beine, ſchlug mit den Flügeln und war ſchwer zu entfernen. Ein Jäger ergriff ihn und trug ihn
nach einem zwei Stunden von dieſem Wege entfernten Orte. Am andern Tage war er ſchon wieder
an der alten Stelle. Ein Jagdfreund nahm ihn von dem Boden weg und unter den Arm, um ihn
dem Oberförſter zu überbringen. Der Auerhahn verhielt ſich anfangs ruhig; als er ſich aber ſeiner
Freiheit beraubt ſah, begann er mit den Füßen zu ſcharren, ſodaß er dem Träger den Rock zerfetzte
und freigelaſſen werden mußte. Für abergläubiſche Menſchen war dieſer Vogel ein ſehr furchtbares
Thier. Da er oft Holzdiebe überraſchte, ſo ging in der ganzen Gegend die Sage, die Jäger hätten
einen böſen Geiſt in den Auerhahn gebannt und zwängen ihn, immer da zu erſcheinen, wo ſie ſich
nicht ſelbſt einfinden könnten. Dieſer Wahn erhielt unſerem Vogel, welcher eine ganz beſondere
Kampfluſt gegen die Menſchen zu haben ſchien, mehrere Monate das Leben, bis er verſchwand, ohne
daß man wußte, auf welche Weiſe. Wahrſcheinlich hat ihn ein ſtarker Geiſt, deren es in unſerer
Gegend auch gibt, ergriffen und getödtet.“
Jn der Regel verſteigt ſich der Muth des Auerhahns nicht ſo hoch; eine gewiſſe Kampfluſt aber
zeigt er während ſeiner Balze unter allen Umſtänden. Ein alter Hahn duldet keinen jungen in einem
Umkreiſe von ungefähr dreihundert Schritten, gibt es auch nicht zu, daß ein junger balzt, und kämpft
mit jedem Nebenbuhler, welcher ſich widerſetzt, nach Ritterart auf Leben und Tod. Jm günſtigſten
Falle bringt einer dem andern ſchwere Verwundungen am Kopfe bei; gar nicht ſelten aber bleibt
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/369>, abgerufen am 22.11.2024.
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