hat, ganz gegen die allgemeine Sitte ihres Geschlechts. Das Gift ist sehr kräftig und wirksam. Ein Hund verendet in etwa vierzehn Minuten nach empfangenem Bisse und zwar selbst in der kalten Jahreszeit, in welcher sich bekanntlich das Gift aller Schlangen minder wirksam zeigt als in den heißen Monaten. Die Gefangenen verlangen Wasser, da sie oft trinken und sich regelmäßig baden."
Ein ähnliches Schauspiel, wie es die indischen Schlangenbeschwörer bieten, kann man an jedem Festtage auf öffentlichen Plätzen Kairos sehen. Dumpfe, jedoch schallende Töne, hervorgebracht auf einer großen Muschel, lenken die Aufmerksamkeit einem Manne zu, welcher sich eben anschickt, eine jener unter den Söhnen und Töchtern der "siegreichen Hauptstadt und Mutter der Welt" im höchsten Grade beliebten Schaustellungen zu geben. Bald hat sich ein Kreis rings um den "Haui" gebildet, und die Vorstellung nimmt ihren Anfang. Ein zerlumpter Junge vertritt die Rolle des Bajazo und ergeht sich in plumpen, rohen und gemeinen Scherzen, welche bei den meisten Zuschauern nicht blos volles Verständniß, sondern auch Widerhall finden; ein Mantelpavian zeigt seine Gelehrigkeit, und die Gehilfin des Schaustellers macht sich auf, den kargen Lohn in Gestalt wenig geltender Kupfermünzen einzuheimsen; denn das Wunderbarste steht noch bevor: die offenbare Zauberei des von gar Manchen mit Scheu betrachteten Mannes soll sich erst allmänniglich kund thun.
Geschäftig laufen und springen Schausteller, Bajazo und Asse durch und über einander, zerrend an diesem Gegenstande, herbeischleppend einen anderen. Endlich ergreift der Haui einen der Leder- säcke, in denen er seine sämmtlichen Geräthschaften aufbewahrt, wirft ihn mitten in den Kreis, öffnet die Schleife, welche ihn bis dahin zusammenhielt, nimmt anstatt der Muschel die "Sumara", ein von musikfeindlichen Dämonen erfundenes Werkzeug, und beginnt seine eintönige Weise zu spielen. Jn dem Sacke regt und bewegt es sich, näher und näher zur Oeffnung kriecht es heran, und schließlich wird der kleine eiförmige Kopf einer Schlange sichtbar. Dem Kopfe folgt der Hals und Vorderleib, und sowie er frei, erhebt sich das Thier genau in derselben Weise wie die Brillenschlange, schlängelt sich vollends aus dem Sacke heraus und bewegt sich nun in einem ihr von dem Gaukler gewissermaßen vorgeschriebenen Umkreise langsam auf und nieder, das kleine Köpfchen stolz auf dem gebreiteten Halse wiegend, mit blitzenden Augen jede Bewegung des Mannes verfolgend. Ein allgemeines Entsetzen ergreift die Versammlung: denn Jedermann weiß, daß diese Schlange die mit Recht gefürchtete "Haie" ist; aber kaum ein Einziger hält es für möglich, daß der Gaukler ohne Gefährde ihres Zornes spotten darf, weil er so klug gewesen, ihr die Giftzähne auszubrechen. Der Haui dreht und windet sie, wie bei uns Thierschaubudenbesitzer zu thun pflegen, um ihre Zahmheit zu zeigen, faßt sie am Halse, spuckt sie an oder bespritzt sie mit Wasser und drückt, unmerklich für den Beschauer, plötzlich an einer Stelle des Nackens. Jn demselben Angenblicke streckt sich die Schlange ihrer ganzen Länge nach -- und währ und verständlich wird die alte Geschichte: "Und Aaron warf seinen Stab vor Pharao und seinen Knechten, und er ward zur Schlange. Da forderte Pharao die Weisen und Zauberer. Und die egyptischen Zauberer thaten auch also mit ihrem Beschwören. Ein Jeglicher warf seinen Stab von sich, da wurden Schlangen daraus."
Die Schlange, mit welcher Moses und Aaron vor Pharaon gaukelten, wie heutigentages der Haui, ist die hochberühmte Aspis der Griechen und Römer, die Ara oder Sich-Aufrichtende der alten Egypter, das Sinnbild der Erhabenheit, deren Bildniß man eingemeißelt sieht an den Tempeln zu beiden Seiten der Weltkugel, deren Nachbildung der König als zierendes Abzeichen seiner Hoheit an der Stirne trug, der später nach dem altegyptischen Worte benamsete "Uräus", die berühmteste Schlange der Erde. Was das wunderbare Nilvolk eigentlich bewogen hat, ihr einen so hervor- ragenden Platz unter den anderen Thiergestalten zu gewähren: ob die auffallende Stellung, welche sie zuweilen annimmt, oder der Nutzen, welchen sie dem Ackerbautreibenden durch Aufzehrung der Ratten und Mäuse bringt, oder die entsetzliche Wirkung ihrer Giftzähne, -- Das wissen wir nicht, wohl aber, daß sich Griechen und Römer später ebenso eifrig mit ihr beschäftigten als die Egypter und aus dem im Wunderlande Vernommenen sich die merkwürdigsten Sagen und Geschichten
Die Schlangen. Giftnattern. Schildvipern.
hat, ganz gegen die allgemeine Sitte ihres Geſchlechts. Das Gift iſt ſehr kräftig und wirkſam. Ein Hund verendet in etwa vierzehn Minuten nach empfangenem Biſſe und zwar ſelbſt in der kalten Jahreszeit, in welcher ſich bekanntlich das Gift aller Schlangen minder wirkſam zeigt als in den heißen Monaten. Die Gefangenen verlangen Waſſer, da ſie oft trinken und ſich regelmäßig baden.“
Ein ähnliches Schauſpiel, wie es die indiſchen Schlangenbeſchwörer bieten, kann man an jedem Feſttage auf öffentlichen Plätzen Kairos ſehen. Dumpfe, jedoch ſchallende Töne, hervorgebracht auf einer großen Muſchel, lenken die Aufmerkſamkeit einem Manne zu, welcher ſich eben anſchickt, eine jener unter den Söhnen und Töchtern der „ſiegreichen Hauptſtadt und Mutter der Welt“ im höchſten Grade beliebten Schauſtellungen zu geben. Bald hat ſich ein Kreis rings um den „Haui“ gebildet, und die Vorſtellung nimmt ihren Anfang. Ein zerlumpter Junge vertritt die Rolle des Bajazo und ergeht ſich in plumpen, rohen und gemeinen Scherzen, welche bei den meiſten Zuſchauern nicht blos volles Verſtändniß, ſondern auch Widerhall finden; ein Mantelpavian zeigt ſeine Gelehrigkeit, und die Gehilfin des Schauſtellers macht ſich auf, den kargen Lohn in Geſtalt wenig geltender Kupfermünzen einzuheimſen; denn das Wunderbarſte ſteht noch bevor: die offenbare Zauberei des von gar Manchen mit Scheu betrachteten Mannes ſoll ſich erſt allmänniglich kund thun.
Geſchäftig laufen und ſpringen Schauſteller, Bajazo und Aſſe durch und über einander, zerrend an dieſem Gegenſtande, herbeiſchleppend einen anderen. Endlich ergreift der Haui einen der Leder- ſäcke, in denen er ſeine ſämmtlichen Geräthſchaften aufbewahrt, wirft ihn mitten in den Kreis, öffnet die Schleife, welche ihn bis dahin zuſammenhielt, nimmt anſtatt der Muſchel die „Sumara“, ein von muſikfeindlichen Dämonen erfundenes Werkzeug, und beginnt ſeine eintönige Weiſe zu ſpielen. Jn dem Sacke regt und bewegt es ſich, näher und näher zur Oeffnung kriecht es heran, und ſchließlich wird der kleine eiförmige Kopf einer Schlange ſichtbar. Dem Kopfe folgt der Hals und Vorderleib, und ſowie er frei, erhebt ſich das Thier genau in derſelben Weiſe wie die Brillenſchlange, ſchlängelt ſich vollends aus dem Sacke heraus und bewegt ſich nun in einem ihr von dem Gaukler gewiſſermaßen vorgeſchriebenen Umkreiſe langſam auf und nieder, das kleine Köpfchen ſtolz auf dem gebreiteten Halſe wiegend, mit blitzenden Augen jede Bewegung des Mannes verfolgend. Ein allgemeines Entſetzen ergreift die Verſammlung: denn Jedermann weiß, daß dieſe Schlange die mit Recht gefürchtete „Haie“ iſt; aber kaum ein Einziger hält es für möglich, daß der Gaukler ohne Gefährde ihres Zornes ſpotten darf, weil er ſo klug geweſen, ihr die Giftzähne auszubrechen. Der Haui dreht und windet ſie, wie bei uns Thierſchaubudenbeſitzer zu thun pflegen, um ihre Zahmheit zu zeigen, faßt ſie am Halſe, ſpuckt ſie an oder beſpritzt ſie mit Waſſer und drückt, unmerklich für den Beſchauer, plötzlich an einer Stelle des Nackens. Jn demſelben Angenblicke ſtreckt ſich die Schlange ihrer ganzen Länge nach — und währ und verſtändlich wird die alte Geſchichte: „Und Aaron warf ſeinen Stab vor Pharao und ſeinen Knechten, und er ward zur Schlange. Da forderte Pharao die Weiſen und Zauberer. Und die egyptiſchen Zauberer thaten auch alſo mit ihrem Beſchwören. Ein Jeglicher warf ſeinen Stab von ſich, da wurden Schlangen daraus.“
Die Schlange, mit welcher Moſes und Aaron vor Pharaon gaukelten, wie heutigentages der Haui, iſt die hochberühmte Aſpis der Griechen und Römer, die Ara oder Sich-Aufrichtende der alten Egypter, das Sinnbild der Erhabenheit, deren Bildniß man eingemeißelt ſieht an den Tempeln zu beiden Seiten der Weltkugel, deren Nachbildung der König als zierendes Abzeichen ſeiner Hoheit an der Stirne trug, der ſpäter nach dem altegyptiſchen Worte benamſete „Uräus“, die berühmteſte Schlange der Erde. Was das wunderbare Nilvolk eigentlich bewogen hat, ihr einen ſo hervor- ragenden Platz unter den anderen Thiergeſtalten zu gewähren: ob die auffallende Stellung, welche ſie zuweilen annimmt, oder der Nutzen, welchen ſie dem Ackerbautreibenden durch Aufzehrung der Ratten und Mäuſe bringt, oder die entſetzliche Wirkung ihrer Giftzähne, — Das wiſſen wir nicht, wohl aber, daß ſich Griechen und Römer ſpäter ebenſo eifrig mit ihr beſchäftigten als die Egypter und aus dem im Wunderlande Vernommenen ſich die merkwürdigſten Sagen und Geſchichten
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Die Schlangen. Giftnattern. Schildvipern.
hat, ganz gegen die allgemeine Sitte ihres Geſchlechts. Das Gift iſt ſehr kräftig und wirkſam.
Ein Hund verendet in etwa vierzehn Minuten nach empfangenem Biſſe und zwar ſelbſt in der kalten
Jahreszeit, in welcher ſich bekanntlich das Gift aller Schlangen minder wirkſam zeigt als in den
heißen Monaten. Die Gefangenen verlangen Waſſer, da ſie oft trinken und ſich regelmäßig baden.“
Ein ähnliches Schauſpiel, wie es die indiſchen Schlangenbeſchwörer bieten, kann man an jedem
Feſttage auf öffentlichen Plätzen Kairos ſehen. Dumpfe, jedoch ſchallende Töne, hervorgebracht
auf einer großen Muſchel, lenken die Aufmerkſamkeit einem Manne zu, welcher ſich eben anſchickt, eine
jener unter den Söhnen und Töchtern der „ſiegreichen Hauptſtadt und Mutter der Welt“ im höchſten
Grade beliebten Schauſtellungen zu geben. Bald hat ſich ein Kreis rings um den „Haui“ gebildet,
und die Vorſtellung nimmt ihren Anfang. Ein zerlumpter Junge vertritt die Rolle des Bajazo
und ergeht ſich in plumpen, rohen und gemeinen Scherzen, welche bei den meiſten Zuſchauern nicht
blos volles Verſtändniß, ſondern auch Widerhall finden; ein Mantelpavian zeigt ſeine Gelehrigkeit,
und die Gehilfin des Schauſtellers macht ſich auf, den kargen Lohn in Geſtalt wenig geltender
Kupfermünzen einzuheimſen; denn das Wunderbarſte ſteht noch bevor: die offenbare Zauberei des
von gar Manchen mit Scheu betrachteten Mannes ſoll ſich erſt allmänniglich kund thun.
Geſchäftig laufen und ſpringen Schauſteller, Bajazo und Aſſe durch und über einander, zerrend
an dieſem Gegenſtande, herbeiſchleppend einen anderen. Endlich ergreift der Haui einen der Leder-
ſäcke, in denen er ſeine ſämmtlichen Geräthſchaften aufbewahrt, wirft ihn mitten in den Kreis, öffnet
die Schleife, welche ihn bis dahin zuſammenhielt, nimmt anſtatt der Muſchel die „Sumara“, ein von
muſikfeindlichen Dämonen erfundenes Werkzeug, und beginnt ſeine eintönige Weiſe zu ſpielen. Jn
dem Sacke regt und bewegt es ſich, näher und näher zur Oeffnung kriecht es heran, und ſchließlich
wird der kleine eiförmige Kopf einer Schlange ſichtbar. Dem Kopfe folgt der Hals und Vorderleib,
und ſowie er frei, erhebt ſich das Thier genau in derſelben Weiſe wie die Brillenſchlange, ſchlängelt
ſich vollends aus dem Sacke heraus und bewegt ſich nun in einem ihr von dem Gaukler gewiſſermaßen
vorgeſchriebenen Umkreiſe langſam auf und nieder, das kleine Köpfchen ſtolz auf dem gebreiteten Halſe
wiegend, mit blitzenden Augen jede Bewegung des Mannes verfolgend. Ein allgemeines Entſetzen
ergreift die Verſammlung: denn Jedermann weiß, daß dieſe Schlange die mit Recht gefürchtete
„Haie“ iſt; aber kaum ein Einziger hält es für möglich, daß der Gaukler ohne Gefährde ihres Zornes
ſpotten darf, weil er ſo klug geweſen, ihr die Giftzähne auszubrechen. Der Haui dreht und windet ſie,
wie bei uns Thierſchaubudenbeſitzer zu thun pflegen, um ihre Zahmheit zu zeigen, faßt ſie am Halſe,
ſpuckt ſie an oder beſpritzt ſie mit Waſſer und drückt, unmerklich für den Beſchauer, plötzlich an einer
Stelle des Nackens. Jn demſelben Angenblicke ſtreckt ſich die Schlange ihrer ganzen Länge nach — und
währ und verſtändlich wird die alte Geſchichte: „Und Aaron warf ſeinen Stab vor Pharao und
ſeinen Knechten, und er ward zur Schlange. Da forderte Pharao die Weiſen und Zauberer. Und
die egyptiſchen Zauberer thaten auch alſo mit ihrem Beſchwören. Ein Jeglicher warf ſeinen Stab
von ſich, da wurden Schlangen daraus.“
Die Schlange, mit welcher Moſes und Aaron vor Pharaon gaukelten, wie heutigentages der
Haui, iſt die hochberühmte Aſpis der Griechen und Römer, die Ara oder Sich-Aufrichtende der alten
Egypter, das Sinnbild der Erhabenheit, deren Bildniß man eingemeißelt ſieht an den Tempeln zu
beiden Seiten der Weltkugel, deren Nachbildung der König als zierendes Abzeichen ſeiner Hoheit an
der Stirne trug, der ſpäter nach dem altegyptiſchen Worte benamſete „Uräus“, die berühmteſte
Schlange der Erde. Was das wunderbare Nilvolk eigentlich bewogen hat, ihr einen ſo hervor-
ragenden Platz unter den anderen Thiergeſtalten zu gewähren: ob die auffallende Stellung, welche
ſie zuweilen annimmt, oder der Nutzen, welchen ſie dem Ackerbautreibenden durch Aufzehrung
der Ratten und Mäuſe bringt, oder die entſetzliche Wirkung ihrer Giftzähne, — Das wiſſen wir
nicht, wohl aber, daß ſich Griechen und Römer ſpäter ebenſo eifrig mit ihr beſchäftigten als die
Egypter und aus dem im Wunderlande Vernommenen ſich die merkwürdigſten Sagen und Geſchichten
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/298>, abgerufen am 22.12.2024.
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