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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Zunge. Allgemeines über die Flachfische.

Die Flachfische bewohnen alle Meere, in besonders reicher Anzahl an Arten und Einzelwesen
namentlich die des gemäßigten Gürtels, ohne jedoch in denen des heißen Gürtels zu fehlen. Nach
Norden hin nimmt die Artenzahl rasch ab: in den britischen Gewässern werden, laut Yarrell,
sechzehn Arten, im Kattegat nur noch dreizehn, an der Küste von Norwegen zehn, bei Jsland fünf,
bei Grönland drei Arten gefunden. Ueber die fremdländischen Flachfische wissen wir noch viel zu
wenig, als daß wir uns eines auch nur entfernt richtigen Ueberblickes rühmen könnten. Es soll
deshalb nur soviel bemerkt sein, daß die gestaltende Kraft der niederen Breiten auch innerhalb unserer
Familie sich bemerklich macht, daß namentlich die Farbenvertheilung bei vielen der betreffenden Arten
eine ganz andere, dem bunteren Grunde des Meeres vollkommen entsprechende ist. So z. B.
beherbergen die japanesischen Gewässer, welche überhaupt erstaunlich reich an eigenthümlich gestalteten
und farbenprächtigen Fischen sind, eine Zunge, welche treffend Zebrazunge (Aesopia Zebra)
genannt wird, weil sie längs der ganzen Augenseite querüber abwechselnd mit dunklen und lichten
Bändern, welche sich auch über die bei ihr mit der Schwanzflosse verschmolzene Rücken- und After-
flosse fortsetzen, gestreift ist.

Mit Ausnahme des Heiligenbutt lieben alle vorstehend beschriebenen Flachfische seichte, am Liebsten
sandige oder doch nicht schlickige, d. h. mit weichem, tiefen Schlamme bedeckte Stellen des Meeres.
Mehrere Arten, insbesondere der Flunder und die Zunge halten sich gern an Flußmündungen auf;
ersterer unternimmt sogar zuweilen, den Strömen entgegengehend, Reisen bis weit in das Jnnere der
Länder. Jn den englischen Flüssen, in der unteren Elbe und Weser, auch im Rheine bis zur
holländischen Grenze, kommen Flunder regelmäßig vor; man hat sie aber auch schon zu wiederholten
Malen in dem oberen Laufe derselben Flüsse, im Rheine beispielsweise in der Nähe von Mainz, in
der Mosel und im Main gefangen. So träge nämlich die Flachfische zu sein scheinen, so gern
wandern sie. Bei der außerordentlichen Häufigkeit der meisten Arten achtet man hierauf weniger,
als es die Sache verdient. Von dem Heiligenbutt, einem für die Nordländer sehr wichtigen
Nährfische, weiß man, daß er sich während des Winters mehr in der Tiefe aufhält, gegen das Früh-
jahr hin in die Buchten zieht. So erscheint er im Süden und Westen Jslands mit dem Kabeljau
im März, wird im April häufiger und verweilt während des ganzen Sommers in der Nähe des
Landes; im Norden der Jnsel hingegen kommt er erst im Mai, im Osten nicht vor dem Juli
an; auch bei den Faröern und in Norwegen besucht er erst im Mai und Juni die nah dem Land
gelegenen Gründe und verschwindet, wenn die rauhe Jahreszeit eintritt. Jnwiefern die Fortpflanzung
auf diese Wanderungen Einfluß hat, wissen wir noch nicht; es läßt sich ebensowohl annehmen, daß
die Ortsveränderung blos geschieht, um ein an Nahrung reicheres Gebiet auszunutzen.

Jn den Sitten und Gewohnheiten, insbesondere in der Art und Weise, sich zu bewegen, ähneln
sich die Flachfische durchaus; man hat wenigstens bis jetzt noch Nichts beobachtet, welches dieser
Behauptung widerspräche. Sie liegen auf dem Grunde ihres Aufenthaltsortes, bis auf die Augen
mehr oder weniger im Sande versteckt und, mit Ausnahme der Augen, bewegungslos, bis eine Beute
sie hervorlockt oder ein Raubfisch sie vertreibt. Das Eingraben geschieht mit einer merkwürdigen
Schnelligkeit durch wellenförmige Bewegungen ihrer Rücken- und Afterflossen, wodurch sehr bald ein
flaches Loch ausgegraben und gleichzeitig die Rücken- und Bauchseite leicht mit Sand bedeckt wird.
Eine einzige kräftige Bewegung genügt dann, die Sanddecke abzuschütteln und den Leib in die Höhe
zu heben, worauf der Flachfisch unter fortgesetzten wellenförmigen Bewegungen seiner beiden Haupt-
flossen, und insbesondere der kräftigen Schwanzflosse weiter schwimmt, so, daß die Blindseite nach
unten, die Rückenseite nach oben gerichtet ist. Wenn er eine jähe Bewegung ausführen will, tritt die
Schwanzflosse ebenfalls in Wirksamkeit, und er schießt dann, getrieben von den kräftigen Schlägen
dieses hauptsächlichsten Bewegungswerkzeuges und geleitet durch After- und Rückenflosse, sehr rasch
durch das Wasser. Alle Gefangenen, welche ich beobachten konnte, bewegten sich stets in dieser Weise,
also eigentlich seitlich. Yarrell behauptet, daß auch zuweilen das Entgegengesetzte vorkomme, ein
Flachfisch nämlich sich plötzlich drehe, mit der Breitseite senkrecht in das Wasser stelle und nun wie

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Zunge. Allgemeines über die Flachfiſche.

Die Flachfiſche bewohnen alle Meere, in beſonders reicher Anzahl an Arten und Einzelweſen
namentlich die des gemäßigten Gürtels, ohne jedoch in denen des heißen Gürtels zu fehlen. Nach
Norden hin nimmt die Artenzahl raſch ab: in den britiſchen Gewäſſern werden, laut Yarrell,
ſechzehn Arten, im Kattegat nur noch dreizehn, an der Küſte von Norwegen zehn, bei Jsland fünf,
bei Grönland drei Arten gefunden. Ueber die fremdländiſchen Flachfiſche wiſſen wir noch viel zu
wenig, als daß wir uns eines auch nur entfernt richtigen Ueberblickes rühmen könnten. Es ſoll
deshalb nur ſoviel bemerkt ſein, daß die geſtaltende Kraft der niederen Breiten auch innerhalb unſerer
Familie ſich bemerklich macht, daß namentlich die Farbenvertheilung bei vielen der betreffenden Arten
eine ganz andere, dem bunteren Grunde des Meeres vollkommen entſprechende iſt. So z. B.
beherbergen die japaneſiſchen Gewäſſer, welche überhaupt erſtaunlich reich an eigenthümlich geſtalteten
und farbenprächtigen Fiſchen ſind, eine Zunge, welche treffend Zebrazunge (Aesopia Zebra)
genannt wird, weil ſie längs der ganzen Augenſeite querüber abwechſelnd mit dunklen und lichten
Bändern, welche ſich auch über die bei ihr mit der Schwanzfloſſe verſchmolzene Rücken- und After-
floſſe fortſetzen, geſtreift iſt.

Mit Ausnahme des Heiligenbutt lieben alle vorſtehend beſchriebenen Flachfiſche ſeichte, am Liebſten
ſandige oder doch nicht ſchlickige, d. h. mit weichem, tiefen Schlamme bedeckte Stellen des Meeres.
Mehrere Arten, insbeſondere der Flunder und die Zunge halten ſich gern an Flußmündungen auf;
erſterer unternimmt ſogar zuweilen, den Strömen entgegengehend, Reiſen bis weit in das Jnnere der
Länder. Jn den engliſchen Flüſſen, in der unteren Elbe und Weſer, auch im Rheine bis zur
holländiſchen Grenze, kommen Flunder regelmäßig vor; man hat ſie aber auch ſchon zu wiederholten
Malen in dem oberen Laufe derſelben Flüſſe, im Rheine beiſpielsweiſe in der Nähe von Mainz, in
der Moſel und im Main gefangen. So träge nämlich die Flachfiſche zu ſein ſcheinen, ſo gern
wandern ſie. Bei der außerordentlichen Häufigkeit der meiſten Arten achtet man hierauf weniger,
als es die Sache verdient. Von dem Heiligenbutt, einem für die Nordländer ſehr wichtigen
Nährfiſche, weiß man, daß er ſich während des Winters mehr in der Tiefe aufhält, gegen das Früh-
jahr hin in die Buchten zieht. So erſcheint er im Süden und Weſten Jslands mit dem Kabeljau
im März, wird im April häufiger und verweilt während des ganzen Sommers in der Nähe des
Landes; im Norden der Jnſel hingegen kommt er erſt im Mai, im Oſten nicht vor dem Juli
an; auch bei den Faröern und in Norwegen beſucht er erſt im Mai und Juni die nah dem Land
gelegenen Gründe und verſchwindet, wenn die rauhe Jahreszeit eintritt. Jnwiefern die Fortpflanzung
auf dieſe Wanderungen Einfluß hat, wiſſen wir noch nicht; es läßt ſich ebenſowohl annehmen, daß
die Ortsveränderung blos geſchieht, um ein an Nahrung reicheres Gebiet auszunutzen.

Jn den Sitten und Gewohnheiten, insbeſondere in der Art und Weiſe, ſich zu bewegen, ähneln
ſich die Flachfiſche durchaus; man hat wenigſtens bis jetzt noch Nichts beobachtet, welches dieſer
Behauptung widerſpräche. Sie liegen auf dem Grunde ihres Aufenthaltsortes, bis auf die Augen
mehr oder weniger im Sande verſteckt und, mit Ausnahme der Augen, bewegungslos, bis eine Beute
ſie hervorlockt oder ein Raubfiſch ſie vertreibt. Das Eingraben geſchieht mit einer merkwürdigen
Schnelligkeit durch wellenförmige Bewegungen ihrer Rücken- und Afterfloſſen, wodurch ſehr bald ein
flaches Loch ausgegraben und gleichzeitig die Rücken- und Bauchſeite leicht mit Sand bedeckt wird.
Eine einzige kräftige Bewegung genügt dann, die Sanddecke abzuſchütteln und den Leib in die Höhe
zu heben, worauf der Flachfiſch unter fortgeſetzten wellenförmigen Bewegungen ſeiner beiden Haupt-
floſſen, und insbeſondere der kräftigen Schwanzfloſſe weiter ſchwimmt, ſo, daß die Blindſeite nach
unten, die Rückenſeite nach oben gerichtet iſt. Wenn er eine jähe Bewegung ausführen will, tritt die
Schwanzfloſſe ebenfalls in Wirkſamkeit, und er ſchießt dann, getrieben von den kräftigen Schlägen
dieſes hauptſächlichſten Bewegungswerkzeuges und geleitet durch After- und Rückenfloſſe, ſehr raſch
durch das Waſſer. Alle Gefangenen, welche ich beobachten konnte, bewegten ſich ſtets in dieſer Weiſe,
alſo eigentlich ſeitlich. Yarrell behauptet, daß auch zuweilen das Entgegengeſetzte vorkomme, ein
Flachfiſch nämlich ſich plötzlich drehe, mit der Breitſeite ſenkrecht in das Waſſer ſtelle und nun wie

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[611/0649] Zunge. Allgemeines über die Flachfiſche. Die Flachfiſche bewohnen alle Meere, in beſonders reicher Anzahl an Arten und Einzelweſen namentlich die des gemäßigten Gürtels, ohne jedoch in denen des heißen Gürtels zu fehlen. Nach Norden hin nimmt die Artenzahl raſch ab: in den britiſchen Gewäſſern werden, laut Yarrell, ſechzehn Arten, im Kattegat nur noch dreizehn, an der Küſte von Norwegen zehn, bei Jsland fünf, bei Grönland drei Arten gefunden. Ueber die fremdländiſchen Flachfiſche wiſſen wir noch viel zu wenig, als daß wir uns eines auch nur entfernt richtigen Ueberblickes rühmen könnten. Es ſoll deshalb nur ſoviel bemerkt ſein, daß die geſtaltende Kraft der niederen Breiten auch innerhalb unſerer Familie ſich bemerklich macht, daß namentlich die Farbenvertheilung bei vielen der betreffenden Arten eine ganz andere, dem bunteren Grunde des Meeres vollkommen entſprechende iſt. So z. B. beherbergen die japaneſiſchen Gewäſſer, welche überhaupt erſtaunlich reich an eigenthümlich geſtalteten und farbenprächtigen Fiſchen ſind, eine Zunge, welche treffend Zebrazunge (Aesopia Zebra) genannt wird, weil ſie längs der ganzen Augenſeite querüber abwechſelnd mit dunklen und lichten Bändern, welche ſich auch über die bei ihr mit der Schwanzfloſſe verſchmolzene Rücken- und After- floſſe fortſetzen, geſtreift iſt. Mit Ausnahme des Heiligenbutt lieben alle vorſtehend beſchriebenen Flachfiſche ſeichte, am Liebſten ſandige oder doch nicht ſchlickige, d. h. mit weichem, tiefen Schlamme bedeckte Stellen des Meeres. Mehrere Arten, insbeſondere der Flunder und die Zunge halten ſich gern an Flußmündungen auf; erſterer unternimmt ſogar zuweilen, den Strömen entgegengehend, Reiſen bis weit in das Jnnere der Länder. Jn den engliſchen Flüſſen, in der unteren Elbe und Weſer, auch im Rheine bis zur holländiſchen Grenze, kommen Flunder regelmäßig vor; man hat ſie aber auch ſchon zu wiederholten Malen in dem oberen Laufe derſelben Flüſſe, im Rheine beiſpielsweiſe in der Nähe von Mainz, in der Moſel und im Main gefangen. So träge nämlich die Flachfiſche zu ſein ſcheinen, ſo gern wandern ſie. Bei der außerordentlichen Häufigkeit der meiſten Arten achtet man hierauf weniger, als es die Sache verdient. Von dem Heiligenbutt, einem für die Nordländer ſehr wichtigen Nährfiſche, weiß man, daß er ſich während des Winters mehr in der Tiefe aufhält, gegen das Früh- jahr hin in die Buchten zieht. So erſcheint er im Süden und Weſten Jslands mit dem Kabeljau im März, wird im April häufiger und verweilt während des ganzen Sommers in der Nähe des Landes; im Norden der Jnſel hingegen kommt er erſt im Mai, im Oſten nicht vor dem Juli an; auch bei den Faröern und in Norwegen beſucht er erſt im Mai und Juni die nah dem Land gelegenen Gründe und verſchwindet, wenn die rauhe Jahreszeit eintritt. Jnwiefern die Fortpflanzung auf dieſe Wanderungen Einfluß hat, wiſſen wir noch nicht; es läßt ſich ebenſowohl annehmen, daß die Ortsveränderung blos geſchieht, um ein an Nahrung reicheres Gebiet auszunutzen. Jn den Sitten und Gewohnheiten, insbeſondere in der Art und Weiſe, ſich zu bewegen, ähneln ſich die Flachfiſche durchaus; man hat wenigſtens bis jetzt noch Nichts beobachtet, welches dieſer Behauptung widerſpräche. Sie liegen auf dem Grunde ihres Aufenthaltsortes, bis auf die Augen mehr oder weniger im Sande verſteckt und, mit Ausnahme der Augen, bewegungslos, bis eine Beute ſie hervorlockt oder ein Raubfiſch ſie vertreibt. Das Eingraben geſchieht mit einer merkwürdigen Schnelligkeit durch wellenförmige Bewegungen ihrer Rücken- und Afterfloſſen, wodurch ſehr bald ein flaches Loch ausgegraben und gleichzeitig die Rücken- und Bauchſeite leicht mit Sand bedeckt wird. Eine einzige kräftige Bewegung genügt dann, die Sanddecke abzuſchütteln und den Leib in die Höhe zu heben, worauf der Flachfiſch unter fortgeſetzten wellenförmigen Bewegungen ſeiner beiden Haupt- floſſen, und insbeſondere der kräftigen Schwanzfloſſe weiter ſchwimmt, ſo, daß die Blindſeite nach unten, die Rückenſeite nach oben gerichtet iſt. Wenn er eine jähe Bewegung ausführen will, tritt die Schwanzfloſſe ebenfalls in Wirkſamkeit, und er ſchießt dann, getrieben von den kräftigen Schlägen dieſes hauptſächlichſten Bewegungswerkzeuges und geleitet durch After- und Rückenfloſſe, ſehr raſch durch das Waſſer. Alle Gefangenen, welche ich beobachten konnte, bewegten ſich ſtets in dieſer Weiſe, alſo eigentlich ſeitlich. Yarrell behauptet, daß auch zuweilen das Entgegengeſetzte vorkomme, ein Flachfiſch nämlich ſich plötzlich drehe, mit der Breitſeite ſenkrecht in das Waſſer ſtelle und nun wie 39*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/649>, abgerufen am 23.12.2024.