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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Verbreitung der Auster.
sehr ergeben waren und die See-Austern an den Küsten Jtaliens, wie wir oben berichteten,
weniger schmackhaft sind als Austern aus einem mehr gemilderten Wasser. Es wäre möglich,
daß die Austern-Zucht noch älter ist; denn schon in den Werken des Aristoteles wird einer
Versetzung von Austern erwähnt, wie einer bekannten Erfahrung, doch ohne darauf Gewicht zu
legen und nur im Vorbeigehen. Dagegen war in der Zeit der römischen Kaiser die Austern-
Zucht ein wichtiger und vielbesprochener Gegenstand der Oekonomie."

"Seit den Zeiten der Römer ist die Austernzucht wahrscheinlich nie verloren gegaugen,
obgleich wir aus dem Mittelalter wenige Nachrichten darüber haben. Das kommt nur daher,
daß die Naturwissenschaften sehr vernachlässigt wurden, und man nur etwa von großen Jagd-
thieren gelegentlich sprach. Die Schriftsteller waren zum großen Theil Geistliche, welche außer
den Schicksalen der Kirche auch die Thaten der Fürsten oder einbrechender Feinde beschrieben.
Aber die Mönche waren dabei sehr eifrige Verpflanzer von Thieren, welche zur Fastenzeit als
Nahrung dienen konnten. Das hat man ihnen in neuester Zeit in Bezug auf die größern Land-
schnecken und auf viele Fische, z. B. Karpfen, nachgewiesen. Auch das sogenannte "Säen der
Austern", oder das Ansetzen junger Brut an Stellen, wo sie vorher fehlten, muß nicht aufgehört
haben, denn Pontoppidan berichtet, es gehe in Dänemark die Sage, die Austernbänke an der
Westküste Schleswigs seien im Jahre 1040 künstlich bepflanzt. Obgleich diese Sage wohl nicht
begründet sein mag, denn die Austern konnten sich ganz natürlich hierher verbreiten, da wir mit
Sicherheit wissen, daß in viel älterer Zeit Austern an den dänischen Küsten waren, so lehrt doch
die Sage, daß dem Volke die Vorstellung von künstlicher Austernverpflanzung keineswegs fremd
war. Jm Hellespont und um Konstantinopel "fäete" man nach den Berichten mehrerer Reisenden
des vorigen Jahrhunderts Austern. Die Türken haben diese Sitte sicher nicht eingeführt. Sie
wird also wohl noch von der Zeit der Byzantiner sich erhalten haben. Auch sagt Petrus
Gyllius,
ein Schriftsteller des 16. Jahrhunderts, der eine ausführliche Beschreibung des Bosporus
thracieus
herausgegeben hat, daß man dort seit unbekannten Zeiten Austern pflanze. -- Daß die
Austern-Zucht im Westen nie ganz aufgehört habe, geht aus einem Gesetz hervor, das im Jahre
1375 unter Eduard III. gegeben wurde, und welches verbot, Austern-Brut zu jeder anderen
Zeit zu sammeln und zu versetzen, als im Mai. Zu jeder andern Zeit durfte man nur solche
Austern ablösen, die groß genug waren, daß ein Shilling in den Schalen klappern konnte."

"Man fand daher, als die naturhistorische Literatur wieder erweckt wurde und besonders, als
man anfing, nicht allein die alten Schriftsteller zu kopiren, sondern die Vorkommnisse in der
eigenen Umgebung zu beschreiben, daß fast überall, wo Austern gedeihen, und ihr Fang ein
Gegenstand des Gewerbes bildete, man auch mehr oder weniger Sorgfalt auf Verpflanzung,
Hegung und Erziehung verwendete. Am meisten geschah das, wie es scheint, in England,
wenigstens lassen sich aus England am meisten Nachrichten darüber sammeln. Die stark anwachsende
Hauptstadt, in welcher sich aus allen Meeren die Geldmittel sammelten und der Luxus sich ent-
wickelte, hatte bald den Austern einen so guten Absatz verschafft, daß man darauf bedacht war,
in der Nähe immer einen gehörigen Vorrath zu haben, sie aus weiterer Ferne brachte und zur
Seite der Themsemündungen künstliche Bänke von ihnen anlegte. Da es sich nun fand, daß bei
einer Milderung des Seewassers durch mäßigen Zutritt von Flußwasser die Austern bei den
Kennern noch beliebter wurden, so wird diese Art halbkünstlicher Austernzucht, deren Ursprung
man nicht sicher anzugeben weiß, obgleich die Austernsischer von Kent und Susser behaupten, daß
ihre Vorfahren um das Jahr 1700 diese Bänke angelegt haben, jetzt in sehr großem Maßstabe
getrieben. Man bringt die Austern aus dem Süden und aus dem Norden in die Nähe der
Mündungen der Themse und des Modway, um sie auf den künstlichen Bänken einige Zeit zu
mästen. Allein aus dem Meerbusen, an welchem Edinburg liegt, aus dem Frith of Forth, bringt
man jetzt, wie Johnston berichtet, 30 Ladungen, jede zu 320 Fässern und jedes Faß mit 1200
verkäuflichen Austern, also 11,520,000 Stück in diese künstlichen Fütterungsanstalten. Wie viele

Verbreitung der Auſter.
ſehr ergeben waren und die See-Auſtern an den Küſten Jtaliens, wie wir oben berichteten,
weniger ſchmackhaft ſind als Auſtern aus einem mehr gemilderten Waſſer. Es wäre möglich,
daß die Auſtern-Zucht noch älter iſt; denn ſchon in den Werken des Ariſtoteles wird einer
Verſetzung von Auſtern erwähnt, wie einer bekannten Erfahrung, doch ohne darauf Gewicht zu
legen und nur im Vorbeigehen. Dagegen war in der Zeit der römiſchen Kaiſer die Auſtern-
Zucht ein wichtiger und vielbeſprochener Gegenſtand der Oekonomie.“

„Seit den Zeiten der Römer iſt die Auſternzucht wahrſcheinlich nie verloren gegaugen,
obgleich wir aus dem Mittelalter wenige Nachrichten darüber haben. Das kommt nur daher,
daß die Naturwiſſenſchaften ſehr vernachläſſigt wurden, und man nur etwa von großen Jagd-
thieren gelegentlich ſprach. Die Schriftſteller waren zum großen Theil Geiſtliche, welche außer
den Schickſalen der Kirche auch die Thaten der Fürſten oder einbrechender Feinde beſchrieben.
Aber die Mönche waren dabei ſehr eifrige Verpflanzer von Thieren, welche zur Faſtenzeit als
Nahrung dienen konnten. Das hat man ihnen in neueſter Zeit in Bezug auf die größern Land-
ſchnecken und auf viele Fiſche, z. B. Karpfen, nachgewieſen. Auch das ſogenannte „Säen der
Auſtern“, oder das Anſetzen junger Brut an Stellen, wo ſie vorher fehlten, muß nicht aufgehört
haben, denn Pontoppidan berichtet, es gehe in Dänemark die Sage, die Auſternbänke an der
Weſtküſte Schleswigs ſeien im Jahre 1040 künſtlich bepflanzt. Obgleich dieſe Sage wohl nicht
begründet ſein mag, denn die Auſtern konnten ſich ganz natürlich hierher verbreiten, da wir mit
Sicherheit wiſſen, daß in viel älterer Zeit Auſtern an den däniſchen Küſten waren, ſo lehrt doch
die Sage, daß dem Volke die Vorſtellung von künſtlicher Auſternverpflanzung keineswegs fremd
war. Jm Hellespont und um Konſtantinopel „fäete“ man nach den Berichten mehrerer Reiſenden
des vorigen Jahrhunderts Auſtern. Die Türken haben dieſe Sitte ſicher nicht eingeführt. Sie
wird alſo wohl noch von der Zeit der Byzantiner ſich erhalten haben. Auch ſagt Petrus
Gyllius,
ein Schriftſteller des 16. Jahrhunderts, der eine ausführliche Beſchreibung des Bosporus
thracieus
herausgegeben hat, daß man dort ſeit unbekannten Zeiten Auſtern pflanze. — Daß die
Auſtern-Zucht im Weſten nie ganz aufgehört habe, geht aus einem Geſetz hervor, das im Jahre
1375 unter Eduard III. gegeben wurde, und welches verbot, Auſtern-Brut zu jeder anderen
Zeit zu ſammeln und zu verſetzen, als im Mai. Zu jeder andern Zeit durfte man nur ſolche
Auſtern ablöſen, die groß genug waren, daß ein Shilling in den Schalen klappern konnte.“

„Man fand daher, als die naturhiſtoriſche Literatur wieder erweckt wurde und beſonders, als
man anfing, nicht allein die alten Schriftſteller zu kopiren, ſondern die Vorkommniſſe in der
eigenen Umgebung zu beſchreiben, daß faſt überall, wo Auſtern gedeihen, und ihr Fang ein
Gegenſtand des Gewerbes bildete, man auch mehr oder weniger Sorgfalt auf Verpflanzung,
Hegung und Erziehung verwendete. Am meiſten geſchah das, wie es ſcheint, in England,
wenigſtens laſſen ſich aus England am meiſten Nachrichten darüber ſammeln. Die ſtark anwachſende
Hauptſtadt, in welcher ſich aus allen Meeren die Geldmittel ſammelten und der Luxus ſich ent-
wickelte, hatte bald den Auſtern einen ſo guten Abſatz verſchafft, daß man darauf bedacht war,
in der Nähe immer einen gehörigen Vorrath zu haben, ſie aus weiterer Ferne brachte und zur
Seite der Themſemündungen künſtliche Bänke von ihnen anlegte. Da es ſich nun fand, daß bei
einer Milderung des Seewaſſers durch mäßigen Zutritt von Flußwaſſer die Auſtern bei den
Kennern noch beliebter wurden, ſo wird dieſe Art halbkünſtlicher Auſternzucht, deren Urſprung
man nicht ſicher anzugeben weiß, obgleich die Auſternſiſcher von Kent und Suſſer behaupten, daß
ihre Vorfahren um das Jahr 1700 dieſe Bänke angelegt haben, jetzt in ſehr großem Maßſtabe
getrieben. Man bringt die Auſtern aus dem Süden und aus dem Norden in die Nähe der
Mündungen der Themſe und des Modway, um ſie auf den künſtlichen Bänken einige Zeit zu
mäſten. Allein aus dem Meerbuſen, an welchem Edinburg liegt, aus dem Frith of Forth, bringt
man jetzt, wie Johnſton berichtet, 30 Ladungen, jede zu 320 Fäſſern und jedes Faß mit 1200
verkäuflichen Auſtern, alſo 11,520,000 Stück in dieſe künſtlichen Fütterungsanſtalten. Wie viele

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[953/1001] Verbreitung der Auſter. ſehr ergeben waren und die See-Auſtern an den Küſten Jtaliens, wie wir oben berichteten, weniger ſchmackhaft ſind als Auſtern aus einem mehr gemilderten Waſſer. Es wäre möglich, daß die Auſtern-Zucht noch älter iſt; denn ſchon in den Werken des Ariſtoteles wird einer Verſetzung von Auſtern erwähnt, wie einer bekannten Erfahrung, doch ohne darauf Gewicht zu legen und nur im Vorbeigehen. Dagegen war in der Zeit der römiſchen Kaiſer die Auſtern- Zucht ein wichtiger und vielbeſprochener Gegenſtand der Oekonomie.“ „Seit den Zeiten der Römer iſt die Auſternzucht wahrſcheinlich nie verloren gegaugen, obgleich wir aus dem Mittelalter wenige Nachrichten darüber haben. Das kommt nur daher, daß die Naturwiſſenſchaften ſehr vernachläſſigt wurden, und man nur etwa von großen Jagd- thieren gelegentlich ſprach. Die Schriftſteller waren zum großen Theil Geiſtliche, welche außer den Schickſalen der Kirche auch die Thaten der Fürſten oder einbrechender Feinde beſchrieben. Aber die Mönche waren dabei ſehr eifrige Verpflanzer von Thieren, welche zur Faſtenzeit als Nahrung dienen konnten. Das hat man ihnen in neueſter Zeit in Bezug auf die größern Land- ſchnecken und auf viele Fiſche, z. B. Karpfen, nachgewieſen. Auch das ſogenannte „Säen der Auſtern“, oder das Anſetzen junger Brut an Stellen, wo ſie vorher fehlten, muß nicht aufgehört haben, denn Pontoppidan berichtet, es gehe in Dänemark die Sage, die Auſternbänke an der Weſtküſte Schleswigs ſeien im Jahre 1040 künſtlich bepflanzt. Obgleich dieſe Sage wohl nicht begründet ſein mag, denn die Auſtern konnten ſich ganz natürlich hierher verbreiten, da wir mit Sicherheit wiſſen, daß in viel älterer Zeit Auſtern an den däniſchen Küſten waren, ſo lehrt doch die Sage, daß dem Volke die Vorſtellung von künſtlicher Auſternverpflanzung keineswegs fremd war. Jm Hellespont und um Konſtantinopel „fäete“ man nach den Berichten mehrerer Reiſenden des vorigen Jahrhunderts Auſtern. Die Türken haben dieſe Sitte ſicher nicht eingeführt. Sie wird alſo wohl noch von der Zeit der Byzantiner ſich erhalten haben. Auch ſagt Petrus Gyllius, ein Schriftſteller des 16. Jahrhunderts, der eine ausführliche Beſchreibung des Bosporus thracieus herausgegeben hat, daß man dort ſeit unbekannten Zeiten Auſtern pflanze. — Daß die Auſtern-Zucht im Weſten nie ganz aufgehört habe, geht aus einem Geſetz hervor, das im Jahre 1375 unter Eduard III. gegeben wurde, und welches verbot, Auſtern-Brut zu jeder anderen Zeit zu ſammeln und zu verſetzen, als im Mai. Zu jeder andern Zeit durfte man nur ſolche Auſtern ablöſen, die groß genug waren, daß ein Shilling in den Schalen klappern konnte.“ „Man fand daher, als die naturhiſtoriſche Literatur wieder erweckt wurde und beſonders, als man anfing, nicht allein die alten Schriftſteller zu kopiren, ſondern die Vorkommniſſe in der eigenen Umgebung zu beſchreiben, daß faſt überall, wo Auſtern gedeihen, und ihr Fang ein Gegenſtand des Gewerbes bildete, man auch mehr oder weniger Sorgfalt auf Verpflanzung, Hegung und Erziehung verwendete. Am meiſten geſchah das, wie es ſcheint, in England, wenigſtens laſſen ſich aus England am meiſten Nachrichten darüber ſammeln. Die ſtark anwachſende Hauptſtadt, in welcher ſich aus allen Meeren die Geldmittel ſammelten und der Luxus ſich ent- wickelte, hatte bald den Auſtern einen ſo guten Abſatz verſchafft, daß man darauf bedacht war, in der Nähe immer einen gehörigen Vorrath zu haben, ſie aus weiterer Ferne brachte und zur Seite der Themſemündungen künſtliche Bänke von ihnen anlegte. Da es ſich nun fand, daß bei einer Milderung des Seewaſſers durch mäßigen Zutritt von Flußwaſſer die Auſtern bei den Kennern noch beliebter wurden, ſo wird dieſe Art halbkünſtlicher Auſternzucht, deren Urſprung man nicht ſicher anzugeben weiß, obgleich die Auſternſiſcher von Kent und Suſſer behaupten, daß ihre Vorfahren um das Jahr 1700 dieſe Bänke angelegt haben, jetzt in ſehr großem Maßſtabe getrieben. Man bringt die Auſtern aus dem Süden und aus dem Norden in die Nähe der Mündungen der Themſe und des Modway, um ſie auf den künſtlichen Bänken einige Zeit zu mäſten. Allein aus dem Meerbuſen, an welchem Edinburg liegt, aus dem Frith of Forth, bringt man jetzt, wie Johnſton berichtet, 30 Ladungen, jede zu 320 Fäſſern und jedes Faß mit 1200 verkäuflichen Auſtern, alſo 11,520,000 Stück in dieſe künſtlichen Fütterungsanſtalten. Wie viele

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 953. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1001>, abgerufen am 23.11.2024.