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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Gemeine Krenzspinne.
Auf dem Rücken des Vorderleibes verkürzt sich jederseits ein gebogener, in der Mitte ein gerader
Streifen, alle drei von braunschwarzer Färbung. Beim bedeutend kleineren, nur 5 Linien
messenden Männchen erscheinen die Schienen des zweiten Beinpaares verdickt. Alle Arten der
in Europa stark vertretenen Gattung Epeira tragen die Augen in der hier abgebildeten Weise,
die Paare jedoch in gleicher Größe, was der Holzschnitt weniger getreu wiedergibt; das dritte
Beinpaar erreicht mehr als die halbe Länge des ersten und beim Männchen hat der kurze und
breite Samenüberträger eine napfförmige Gestalt. Die Epeiren spinnen aus sechs Warzen mit
sehr zahlreichen Röhren; das vorderste Paar jener ist stumpfkegelförmig von Gestalt, das hinterste
etwas kürzer und mit dem Siebe nach innen gerichtet, das dreieckige mittlere von den Seiten
zusammengedrückt und gleichfalls mit dem Siebtheile schräg nach innen geneigt.

Die gemeine Kreuzspinne lebt in Gärten, Gebüschen, Vorhölzern und lichten Nadelwaldungen
des größten Theils von Europa und hält sich meist einen bis fünf Fuß über der Erde, am
liebsten in der Nähe von Gräben, Sümpfen, Seen und überhaupt an solchen Orten auf, welche
einen reichen Zuspruch von Fliegen und Mücken erwarten lassen.

[Abbildung] a Weibchen der gemeinen Kreuzspinne
(Epeira diadema). b Die Augen von
vorn gesehen und vergrößert.
Anfangs Mai schlüpfen die Jungen aus den Eiern und bleiben
ungefähr acht Tage lang als sich auflösender und wieder bildender
Knäul noch beisammen. Zunächst sind sie an Kopf und Beinen
halb durchsichtig und weiß, am hintern Körpertheile zeichnungslos
röthlichgelb; die Augen sind von röthlichen Ringen umgeben, die
Füße fein behaart. Mit den verschiedenen Häutungen kommen
allmälig die Zeichnungen zum Vorschein, welche die erwachsenen
Spinnen zu den schönsten unserer Gegenden machen. Sobald
sich die jungen Kreuzspinnen zerstreut haben, spinnt jede ihr
Nestchen, das freilich in Folge seiner Kleinheit weniger in die
Augen fällt als die einen Fuß und mehr im Durchmesser halten-
den Räder der erwachsenen Jndividuen in späterer Jahreszeit.
Die Auswahl des Ortes, an welchem die Ansiedelung erfolgen
soll, scheint der Spinne einige Sorge zu bereiten; denn sie läuft
lange an den Gegenständen hin und her, ehe sie mit dem Werke
beginnt, und in der That bedarf es auch einer gewissen Ueber-
legung, weil sie hier anders zu Werke gehen muß, als dort, bevor
der Rahmen für das ganze Gewebe, die äußern Fäden, im Viereck oder Dreieck ausgespannt sind.
Von besonderer Wichtigkeit ist der oberste Querfaden; um ihn wie ein straffes Seil anzuspannen
zwischen zwei, vielleicht drei Fuß von einander entfernten, Kiefernstämmen oder in der Ecke einer
alten, nicht gangbaren Thür, muß die Spinne auf zwei sehr verschiedenen Wegen zu ihrem Zwecke
zu gelangen suchen. Jm letzteren Falle ist der zweite Endpunkt für die Anheftung des Fadens
zu Fuße zu erreichen, im ersteren durch einen großen Umweg vielleicht auch, doch dabei würde
der Faden eine viel zu große Länge bekommen. Es ist bekannt, daß gewisse Spinnen Fäden aus
den Spinnwarzen ausschießen und dann an ihnen fortfliegen; ob nicht die Kreuzspinne einen
solchen gleichfalls ausschießen und abwarten kann, bis er sich mit seinem losen Ende an einen
entfernten Gegenstand anhängt? Kirby theilt einen interessanten Versuch mit, welchen er anstellte,
um in dieser Hinsicht Gewißheit zu erlangen. Er setzte nämlich eine Kreuzspinne an einen etwa
vier Fuß langen Stock und diesen mitten in ein Gefäß mit Wasser. Die Spinne kroch, einen
Faden hinter sich ziehend, am Stocke hinab, als sie aber mit den Vorderfüßen das Wasser fühlte,
kehrte sie um und kletterte an dem Faden wieder in die Höhe. Dies wiederholte sie die ver-
schiedensten Male und ermüdete dadurch den Beobachter, so daß er sie auf einige Stunden verließ.
Bei seiner Rückkehr fand er sie nicht mehr am Stocke, wohl aber von dessen Spitze einen Faden
nach einem etwa 8 Zoll entfernt stehenden Schranke gezogen, welcher der Entwichenen als Brücke

Taschenberg, wirbellose Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 37

Gemeine Krenzſpinne.
Auf dem Rücken des Vorderleibes verkürzt ſich jederſeits ein gebogener, in der Mitte ein gerader
Streifen, alle drei von braunſchwarzer Färbung. Beim bedeutend kleineren, nur 5 Linien
meſſenden Männchen erſcheinen die Schienen des zweiten Beinpaares verdickt. Alle Arten der
in Europa ſtark vertretenen Gattung Epeira tragen die Augen in der hier abgebildeten Weiſe,
die Paare jedoch in gleicher Größe, was der Holzſchnitt weniger getreu wiedergibt; das dritte
Beinpaar erreicht mehr als die halbe Länge des erſten und beim Männchen hat der kurze und
breite Samenüberträger eine napfförmige Geſtalt. Die Epeiren ſpinnen aus ſechs Warzen mit
ſehr zahlreichen Röhren; das vorderſte Paar jener iſt ſtumpfkegelförmig von Geſtalt, das hinterſte
etwas kürzer und mit dem Siebe nach innen gerichtet, das dreieckige mittlere von den Seiten
zuſammengedrückt und gleichfalls mit dem Siebtheile ſchräg nach innen geneigt.

Die gemeine Kreuzſpinne lebt in Gärten, Gebüſchen, Vorhölzern und lichten Nadelwaldungen
des größten Theils von Europa und hält ſich meiſt einen bis fünf Fuß über der Erde, am
liebſten in der Nähe von Gräben, Sümpfen, Seen und überhaupt an ſolchen Orten auf, welche
einen reichen Zuſpruch von Fliegen und Mücken erwarten laſſen.

[Abbildung] a Weibchen der gemeinen Kreuzſpinne
(Epeira diadema). b Die Augen von
vorn geſehen und vergrößert.
Anfangs Mai ſchlüpfen die Jungen aus den Eiern und bleiben
ungefähr acht Tage lang als ſich auflöſender und wieder bildender
Knäul noch beiſammen. Zunächſt ſind ſie an Kopf und Beinen
halb durchſichtig und weiß, am hintern Körpertheile zeichnungslos
röthlichgelb; die Augen ſind von röthlichen Ringen umgeben, die
Füße fein behaart. Mit den verſchiedenen Häutungen kommen
allmälig die Zeichnungen zum Vorſchein, welche die erwachſenen
Spinnen zu den ſchönſten unſerer Gegenden machen. Sobald
ſich die jungen Kreuzſpinnen zerſtreut haben, ſpinnt jede ihr
Neſtchen, das freilich in Folge ſeiner Kleinheit weniger in die
Augen fällt als die einen Fuß und mehr im Durchmeſſer halten-
den Räder der erwachſenen Jndividuen in ſpäterer Jahreszeit.
Die Auswahl des Ortes, an welchem die Anſiedelung erfolgen
ſoll, ſcheint der Spinne einige Sorge zu bereiten; denn ſie läuft
lange an den Gegenſtänden hin und her, ehe ſie mit dem Werke
beginnt, und in der That bedarf es auch einer gewiſſen Ueber-
legung, weil ſie hier anders zu Werke gehen muß, als dort, bevor
der Rahmen für das ganze Gewebe, die äußern Fäden, im Viereck oder Dreieck ausgeſpannt ſind.
Von beſonderer Wichtigkeit iſt der oberſte Querfaden; um ihn wie ein ſtraffes Seil anzuſpannen
zwiſchen zwei, vielleicht drei Fuß von einander entfernten, Kiefernſtämmen oder in der Ecke einer
alten, nicht gangbaren Thür, muß die Spinne auf zwei ſehr verſchiedenen Wegen zu ihrem Zwecke
zu gelangen ſuchen. Jm letzteren Falle iſt der zweite Endpunkt für die Anheftung des Fadens
zu Fuße zu erreichen, im erſteren durch einen großen Umweg vielleicht auch, doch dabei würde
der Faden eine viel zu große Länge bekommen. Es iſt bekannt, daß gewiſſe Spinnen Fäden aus
den Spinnwarzen ausſchießen und dann an ihnen fortfliegen; ob nicht die Kreuzſpinne einen
ſolchen gleichfalls ausſchießen und abwarten kann, bis er ſich mit ſeinem loſen Ende an einen
entfernten Gegenſtand anhängt? Kirby theilt einen intereſſanten Verſuch mit, welchen er anſtellte,
um in dieſer Hinſicht Gewißheit zu erlangen. Er ſetzte nämlich eine Kreuzſpinne an einen etwa
vier Fuß langen Stock und dieſen mitten in ein Gefäß mit Waſſer. Die Spinne kroch, einen
Faden hinter ſich ziehend, am Stocke hinab, als ſie aber mit den Vorderfüßen das Waſſer fühlte,
kehrte ſie um und kletterte an dem Faden wieder in die Höhe. Dies wiederholte ſie die ver-
ſchiedenſten Male und ermüdete dadurch den Beobachter, ſo daß er ſie auf einige Stunden verließ.
Bei ſeiner Rückkehr fand er ſie nicht mehr am Stocke, wohl aber von deſſen Spitze einen Faden
nach einem etwa 8 Zoll entfernt ſtehenden Schranke gezogen, welcher der Entwichenen als Brücke

Taſchenberg, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 37
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[577/0615] Gemeine Krenzſpinne. Auf dem Rücken des Vorderleibes verkürzt ſich jederſeits ein gebogener, in der Mitte ein gerader Streifen, alle drei von braunſchwarzer Färbung. Beim bedeutend kleineren, nur 5 Linien meſſenden Männchen erſcheinen die Schienen des zweiten Beinpaares verdickt. Alle Arten der in Europa ſtark vertretenen Gattung Epeira tragen die Augen in der hier abgebildeten Weiſe, die Paare jedoch in gleicher Größe, was der Holzſchnitt weniger getreu wiedergibt; das dritte Beinpaar erreicht mehr als die halbe Länge des erſten und beim Männchen hat der kurze und breite Samenüberträger eine napfförmige Geſtalt. Die Epeiren ſpinnen aus ſechs Warzen mit ſehr zahlreichen Röhren; das vorderſte Paar jener iſt ſtumpfkegelförmig von Geſtalt, das hinterſte etwas kürzer und mit dem Siebe nach innen gerichtet, das dreieckige mittlere von den Seiten zuſammengedrückt und gleichfalls mit dem Siebtheile ſchräg nach innen geneigt. Die gemeine Kreuzſpinne lebt in Gärten, Gebüſchen, Vorhölzern und lichten Nadelwaldungen des größten Theils von Europa und hält ſich meiſt einen bis fünf Fuß über der Erde, am liebſten in der Nähe von Gräben, Sümpfen, Seen und überhaupt an ſolchen Orten auf, welche einen reichen Zuſpruch von Fliegen und Mücken erwarten laſſen. [Abbildung a Weibchen der gemeinen Kreuzſpinne (Epeira diadema). b Die Augen von vorn geſehen und vergrößert.] Anfangs Mai ſchlüpfen die Jungen aus den Eiern und bleiben ungefähr acht Tage lang als ſich auflöſender und wieder bildender Knäul noch beiſammen. Zunächſt ſind ſie an Kopf und Beinen halb durchſichtig und weiß, am hintern Körpertheile zeichnungslos röthlichgelb; die Augen ſind von röthlichen Ringen umgeben, die Füße fein behaart. Mit den verſchiedenen Häutungen kommen allmälig die Zeichnungen zum Vorſchein, welche die erwachſenen Spinnen zu den ſchönſten unſerer Gegenden machen. Sobald ſich die jungen Kreuzſpinnen zerſtreut haben, ſpinnt jede ihr Neſtchen, das freilich in Folge ſeiner Kleinheit weniger in die Augen fällt als die einen Fuß und mehr im Durchmeſſer halten- den Räder der erwachſenen Jndividuen in ſpäterer Jahreszeit. Die Auswahl des Ortes, an welchem die Anſiedelung erfolgen ſoll, ſcheint der Spinne einige Sorge zu bereiten; denn ſie läuft lange an den Gegenſtänden hin und her, ehe ſie mit dem Werke beginnt, und in der That bedarf es auch einer gewiſſen Ueber- legung, weil ſie hier anders zu Werke gehen muß, als dort, bevor der Rahmen für das ganze Gewebe, die äußern Fäden, im Viereck oder Dreieck ausgeſpannt ſind. Von beſonderer Wichtigkeit iſt der oberſte Querfaden; um ihn wie ein ſtraffes Seil anzuſpannen zwiſchen zwei, vielleicht drei Fuß von einander entfernten, Kiefernſtämmen oder in der Ecke einer alten, nicht gangbaren Thür, muß die Spinne auf zwei ſehr verſchiedenen Wegen zu ihrem Zwecke zu gelangen ſuchen. Jm letzteren Falle iſt der zweite Endpunkt für die Anheftung des Fadens zu Fuße zu erreichen, im erſteren durch einen großen Umweg vielleicht auch, doch dabei würde der Faden eine viel zu große Länge bekommen. Es iſt bekannt, daß gewiſſe Spinnen Fäden aus den Spinnwarzen ausſchießen und dann an ihnen fortfliegen; ob nicht die Kreuzſpinne einen ſolchen gleichfalls ausſchießen und abwarten kann, bis er ſich mit ſeinem loſen Ende an einen entfernten Gegenſtand anhängt? Kirby theilt einen intereſſanten Verſuch mit, welchen er anſtellte, um in dieſer Hinſicht Gewißheit zu erlangen. Er ſetzte nämlich eine Kreuzſpinne an einen etwa vier Fuß langen Stock und dieſen mitten in ein Gefäß mit Waſſer. Die Spinne kroch, einen Faden hinter ſich ziehend, am Stocke hinab, als ſie aber mit den Vorderfüßen das Waſſer fühlte, kehrte ſie um und kletterte an dem Faden wieder in die Höhe. Dies wiederholte ſie die ver- ſchiedenſten Male und ermüdete dadurch den Beobachter, ſo daß er ſie auf einige Stunden verließ. Bei ſeiner Rückkehr fand er ſie nicht mehr am Stocke, wohl aber von deſſen Spitze einen Faden nach einem etwa 8 Zoll entfernt ſtehenden Schranke gezogen, welcher der Entwichenen als Brücke Taſchenberg, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 37

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/615>, abgerufen am 23.11.2024.