Obschon eine gewisse Aehnlichkeit mit anderen Schmarotzerkrebsen nicht zu verkennen, hatte man doch bis dahin, eine ältere Beobachtung nicht beachtend, die Sacculinen allgemein für Würmer gehalten. Wie groß war daher mein Erstaunen, als ich, die in der Entwicklung begriffenen Eier des Thieres untersuchend, ihre Krebsnatur constatirte. Die ausgekrochenen Jungen haben die Nauplius- form, am nächsten sich an die der eigentlichen Cirripedien anschließend. Spä- tere Beobachtungen haben gezeigt, wie auch der Panzer der jungen Saccu- linen sich zusammenklappt, so daß das Thierchen ein muschelähnliches An- sehen erhält und wie die Gliedmaßen theils im Haftorgan aufgehen, theils ganz abgeworfen werden, bis endlich "die einzigen Lebensäußerungen, die diesen Nonplusultras in der Reihe der rückschreitend sich verwandelnden Kruster geblieben, einmal die kräftigen Zusammenziehungen der Wurzeln
[Abbildung]
Wurzelkrebs (Saceulina).
sind und dann ein abwechselndes Ausdehnen und Zusammenziehen des Körpers, in Folge dessen Wasser durch eine weite Oeffnung der Brusthöhle (b) einströmt und wieder ausgetrieben wird".
Als sollten wir von den Schmarotzerwesen nicht loskommen, so müssen wir zur Vervoll- ständigung der Lebensgeschichte der Wurzelkrebse noch mittheilen, daß nicht selten auf ihnen eine den Bopyrinen angehörige Assel, Liriope, schmarotzt, und daß zwei andere schmarotzende Asseln sich die Wurzeln der an einem kleinen Einsiedlerkrebse schmarotzenden Sacculina purpurea zu Nutze machen, indem sie sich unter der Sacculine ansiedeln und dieselbe, die von den Wurzeln zugeführte Nahrung vorwegnehmend, zum Absterben bringen. Nicht genug! Die Wurzeln wuchern auch ohne Sacculina weiter und erlangen selbst, wie Fr. Müller berichtet, namentlich, wo die aus ihnen sich nährende Assel ein Bopyrus ist, oft eine ungewöhnliche Ausdehnung. Die Natur erfüllt also buchstäblich, was wir im Sprichwort von losen und schwatzhaften Zungen sagen: sie producirt Mäuler, die extra todtgeschlagen werden müssen, nachdem die dazu gehörigen Leiber längst vermodert sind.
Sacculina. Peltogaſter.
Obſchon eine gewiſſe Aehnlichkeit mit anderen Schmarotzerkrebſen nicht zu verkennen, hatte man doch bis dahin, eine ältere Beobachtung nicht beachtend, die Sacculinen allgemein für Würmer gehalten. Wie groß war daher mein Erſtaunen, als ich, die in der Entwicklung begriffenen Eier des Thieres unterſuchend, ihre Krebsnatur conſtatirte. Die ausgekrochenen Jungen haben die Nauplius- form, am nächſten ſich an die der eigentlichen Cirripedien anſchließend. Spä- tere Beobachtungen haben gezeigt, wie auch der Panzer der jungen Saccu- linen ſich zuſammenklappt, ſo daß das Thierchen ein muſchelähnliches An- ſehen erhält und wie die Gliedmaßen theils im Haftorgan aufgehen, theils ganz abgeworfen werden, bis endlich „die einzigen Lebensäußerungen, die dieſen Nonplusultras in der Reihe der rückſchreitend ſich verwandelnden Kruſter geblieben, einmal die kräftigen Zuſammenziehungen der Wurzeln
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Wurzelkrebs (Saceulina).
ſind und dann ein abwechſelndes Ausdehnen und Zuſammenziehen des Körpers, in Folge deſſen Waſſer durch eine weite Oeffnung der Bruſthöhle (b) einſtrömt und wieder ausgetrieben wird“.
Als ſollten wir von den Schmarotzerweſen nicht loskommen, ſo müſſen wir zur Vervoll- ſtändigung der Lebensgeſchichte der Wurzelkrebſe noch mittheilen, daß nicht ſelten auf ihnen eine den Bopyrinen angehörige Aſſel, Liriope, ſchmarotzt, und daß zwei andere ſchmarotzende Aſſeln ſich die Wurzeln der an einem kleinen Einſiedlerkrebſe ſchmarotzenden Sacculina purpurea zu Nutze machen, indem ſie ſich unter der Sacculine anſiedeln und dieſelbe, die von den Wurzeln zugeführte Nahrung vorwegnehmend, zum Abſterben bringen. Nicht genug! Die Wurzeln wuchern auch ohne Sacculina weiter und erlangen ſelbſt, wie Fr. Müller berichtet, namentlich, wo die aus ihnen ſich nährende Aſſel ein Bopyrus iſt, oft eine ungewöhnliche Ausdehnung. Die Natur erfüllt alſo buchſtäblich, was wir im Sprichwort von loſen und ſchwatzhaften Zungen ſagen: ſie producirt Mäuler, die extra todtgeſchlagen werden müſſen, nachdem die dazu gehörigen Leiber längſt vermodert ſind.
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Sacculina. Peltogaſter.
Obſchon eine gewiſſe Aehnlichkeit mit anderen Schmarotzerkrebſen nicht zu verkennen, hatte
man doch bis dahin, eine ältere Beobachtung nicht beachtend, die Sacculinen allgemein für Würmer
gehalten. Wie groß war daher mein Erſtaunen, als ich, die in der Entwicklung begriffenen Eier des
Thieres unterſuchend, ihre Krebsnatur conſtatirte. Die ausgekrochenen Jungen haben die Nauplius-
form, am nächſten ſich an die der eigentlichen Cirripedien anſchließend. Spä-
tere Beobachtungen haben gezeigt, wie auch der Panzer der jungen Saccu-
linen ſich zuſammenklappt, ſo daß das Thierchen ein muſchelähnliches An-
ſehen erhält und wie die Gliedmaßen theils im Haftorgan aufgehen, theils
ganz abgeworfen werden, bis endlich „die einzigen Lebensäußerungen, die
dieſen Nonplusultras in der Reihe der rückſchreitend ſich verwandelnden
Kruſter geblieben, einmal die kräftigen Zuſammenziehungen der Wurzeln
[Abbildung Wurzelkrebs (Saceulina).]
ſind und dann ein abwechſelndes Ausdehnen und Zuſammenziehen des Körpers, in Folge deſſen
Waſſer durch eine weite Oeffnung der Bruſthöhle (b) einſtrömt und wieder ausgetrieben wird“.
Als ſollten wir von den Schmarotzerweſen nicht loskommen, ſo müſſen wir zur Vervoll-
ſtändigung der Lebensgeſchichte der Wurzelkrebſe noch mittheilen, daß nicht ſelten auf ihnen eine
den Bopyrinen angehörige Aſſel, Liriope, ſchmarotzt, und daß zwei andere ſchmarotzende Aſſeln
ſich die Wurzeln der an einem kleinen Einſiedlerkrebſe ſchmarotzenden Sacculina purpurea zu Nutze
machen, indem ſie ſich unter der Sacculine anſiedeln und dieſelbe, die von den Wurzeln zugeführte
Nahrung vorwegnehmend, zum Abſterben bringen. Nicht genug! Die Wurzeln wuchern auch
ohne Sacculina weiter und erlangen ſelbſt, wie Fr. Müller berichtet, namentlich, wo die aus
ihnen ſich nährende Aſſel ein Bopyrus iſt, oft eine ungewöhnliche Ausdehnung. Die Natur
erfüllt alſo buchſtäblich, was wir im Sprichwort von loſen und ſchwatzhaften Zungen ſagen:
ſie producirt Mäuler, die extra todtgeſchlagen werden müſſen, nachdem die dazu gehörigen Leiber
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 671. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/715>, abgerufen am 23.11.2024.
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