ungefähr die peristaltische Bewegung anderer Thiere ersetzt. Die beiden flügelförmigen Anhänge (b) welche auf dem oberen Theil des Darmkanals aufsitzen, lassen sich mit den
Speicheldrüsen vergleichen. Ein beson- deres Gefäßsystem hat kein Räderthier, nicht einmal ein isolirtes herzartiges Organ, welches allen Gliederthieren eigen ist. Die Blut- flüssigkeit ist eben ganz frei in der die Eingeweide umgebenden Leibeshöhle enthalten und zwar in einem Zustande der Verdünnung durch willkürlich aufgenommenes Wasser. Man sieht häufig die Räderthiere zusammenzucken und dabei ihren Körperumfang beträchtlich verringern. Dies kann gar nicht anders geschehen, als durch das Auspressen eines großen Theils der in ihrem Leibe enthaltenen Flüssigkeit, statt welcher beim Wiederaufblähen des Körpers durch noch nicht entdeckte Poren Wasser aus der Umgebung eintritt. So auffallend diese Blutverschwendung erscheint, hat sie bei anderen niederen Thieren, z. B. den Polypen, doch ihr Analogon und ist als eine Thatsache hinzunehmen. Eine andere regelmäßige Ausscheidung aus dem Blute findet durch die geschlängelten beiden Kanäle (d) statt, welche in eine von Zeit zu Zeit sich entleerende Blase (e) einmünden.
Unser Noteus zeigt einen sehr entwickelten Eierstock (c). Man hat die Räderthiere lange Zeit für Hermaphroditen gehalten, ohne die männlichen Generationswerkzeuge zu finden. Es stellte sich aber heraus, daß man von fast allen beschriebenen Arten nur Weibchen gesehen hatte, und daß die Männchen, so selten und seltener wie bei vielen niederen Krebsen, auf die wunderbarste Weise in ihrem Bau von den weiblichen Jndividuen abweichen. Durchweg sind ihnen bei gänzlicher oder fast vollständiger Verkümmerung des Darmkanals die Freuden der Tafel versagt; sie spielen überhaupt eine höchst untergeordnete Rolle, scheinen nur eine kurze Zeit des Jahres von dem andern Geschlecht gelitten zu werden und dann vom Schauplatz zu verschwinden.
An die Familie der Schildräderthierchen mit dem Panzer und dem längeren, geringelten und dem Endgriffel versehenen Fuß schließt sich die panzerlose Familie der Krystallfischchen (Hydatinaea) an mit kurzem Fuße. Besonders an der weit verbreiteten, in kleinen, stehenden Gewässern und in frei stehenden Wasserbehältern oft millionenweise vorkommenden Hydatina senta machte Ehrenberg seine Erfahrungen über den komplicirten Bau dieser mikroskopischen Wesen. "Jn kleinen Cylindergläsern, von der Dicke starker Federspulen, sind sie sehr gut zu beobachten und schon mit bloßem Auge erkennbar. Haben sie darin Nahrung, so legen sie alsbald dicht unter dem Wasserrande ihre horinzontal gelegten Eier am Glase ab, die man mit der Lupe deutlich erkennt und unter dem Mikroskop im verstöpfelten, weißen Glase beobachten kann. Mit
Schildräderthiere. Weichräderthiere.
ungefähr die periſtaltiſche Bewegung anderer Thiere erſetzt. Die beiden flügelförmigen Anhänge (b) welche auf dem oberen Theil des Darmkanals aufſitzen, laſſen ſich mit den
Speicheldrüſen vergleichen. Ein beſon- deres Gefäßſyſtem hat kein Räderthier, nicht einmal ein iſolirtes herzartiges Organ, welches allen Gliederthieren eigen iſt. Die Blut- flüſſigkeit iſt eben ganz frei in der die Eingeweide umgebenden Leibeshöhle enthalten und zwar in einem Zuſtande der Verdünnung durch willkürlich aufgenommenes Waſſer. Man ſieht häufig die Räderthiere zuſammenzucken und dabei ihren Körperumfang beträchtlich verringern. Dies kann gar nicht anders geſchehen, als durch das Auspreſſen eines großen Theils der in ihrem Leibe enthaltenen Flüſſigkeit, ſtatt welcher beim Wiederaufblähen des Körpers durch noch nicht entdeckte Poren Waſſer aus der Umgebung eintritt. So auffallend dieſe Blutverſchwendung erſcheint, hat ſie bei anderen niederen Thieren, z. B. den Polypen, doch ihr Analogon und iſt als eine Thatſache hinzunehmen. Eine andere regelmäßige Ausſcheidung aus dem Blute findet durch die geſchlängelten beiden Kanäle (d) ſtatt, welche in eine von Zeit zu Zeit ſich entleerende Blaſe (e) einmünden.
Unſer Noteus zeigt einen ſehr entwickelten Eierſtock (c). Man hat die Räderthiere lange Zeit für Hermaphroditen gehalten, ohne die männlichen Generationswerkzeuge zu finden. Es ſtellte ſich aber heraus, daß man von faſt allen beſchriebenen Arten nur Weibchen geſehen hatte, und daß die Männchen, ſo ſelten und ſeltener wie bei vielen niederen Krebſen, auf die wunderbarſte Weiſe in ihrem Bau von den weiblichen Jndividuen abweichen. Durchweg ſind ihnen bei gänzlicher oder faſt vollſtändiger Verkümmerung des Darmkanals die Freuden der Tafel verſagt; ſie ſpielen überhaupt eine höchſt untergeordnete Rolle, ſcheinen nur eine kurze Zeit des Jahres von dem andern Geſchlecht gelitten zu werden und dann vom Schauplatz zu verſchwinden.
An die Familie der Schildräderthierchen mit dem Panzer und dem längeren, geringelten und dem Endgriffel verſehenen Fuß ſchließt ſich die panzerloſe Familie der Kryſtallfiſchchen (Hydatinaea) an mit kurzem Fuße. Beſonders an der weit verbreiteten, in kleinen, ſtehenden Gewäſſern und in frei ſtehenden Waſſerbehältern oft millionenweiſe vorkommenden Hydatina senta machte Ehrenberg ſeine Erfahrungen über den komplicirten Bau dieſer mikroſkopiſchen Weſen. „Jn kleinen Cylindergläſern, von der Dicke ſtarker Federſpulen, ſind ſie ſehr gut zu beobachten und ſchon mit bloßem Auge erkennbar. Haben ſie darin Nahrung, ſo legen ſie alsbald dicht unter dem Waſſerrande ihre horinzontal gelegten Eier am Glaſe ab, die man mit der Lupe deutlich erkennt und unter dem Mikroſkop im verſtöpfelten, weißen Glaſe beobachten kann. Mit
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[674/0718]
Schildräderthiere. Weichräderthiere.
ungefähr die periſtaltiſche Bewegung anderer Thiere erſetzt. Die beiden flügelförmigen
Anhänge (b) welche auf dem oberen Theil des Darmkanals aufſitzen, laſſen ſich mit den
[Abbildung Schildräder-Thier (Noteus quadricornis).
(Sehr vergrößert.)]
Speicheldrüſen vergleichen. Ein beſon-
deres Gefäßſyſtem hat kein Räderthier, nicht
einmal ein iſolirtes herzartiges Organ, welches
allen Gliederthieren eigen iſt. Die Blut-
flüſſigkeit iſt eben ganz frei in der die
Eingeweide umgebenden Leibeshöhle enthalten
und zwar in einem Zuſtande der Verdünnung
durch willkürlich aufgenommenes Waſſer. Man
ſieht häufig die Räderthiere zuſammenzucken
und dabei ihren Körperumfang beträchtlich
verringern. Dies kann gar nicht anders
geſchehen, als durch das Auspreſſen eines
großen Theils der in ihrem Leibe enthaltenen
Flüſſigkeit, ſtatt welcher beim Wiederaufblähen
des Körpers durch noch nicht entdeckte Poren
Waſſer aus der Umgebung eintritt. So
auffallend dieſe Blutverſchwendung erſcheint,
hat ſie bei anderen niederen Thieren, z. B.
den Polypen, doch ihr Analogon und iſt als
eine Thatſache hinzunehmen. Eine andere
regelmäßige Ausſcheidung aus dem Blute
findet durch die geſchlängelten beiden Kanäle (d)
ſtatt, welche in eine von Zeit zu Zeit ſich
entleerende Blaſe (e) einmünden.
Unſer Noteus zeigt einen ſehr entwickelten
Eierſtock (c). Man hat die Räderthiere
lange Zeit für Hermaphroditen gehalten, ohne
die männlichen Generationswerkzeuge zu
finden. Es ſtellte ſich aber heraus, daß
man von faſt allen beſchriebenen Arten nur
Weibchen geſehen hatte, und daß die Männchen,
ſo ſelten und ſeltener wie bei vielen niederen
Krebſen, auf die wunderbarſte Weiſe in ihrem
Bau von den weiblichen Jndividuen abweichen. Durchweg ſind ihnen bei gänzlicher oder faſt
vollſtändiger Verkümmerung des Darmkanals die Freuden der Tafel verſagt; ſie ſpielen überhaupt
eine höchſt untergeordnete Rolle, ſcheinen nur eine kurze Zeit des Jahres von dem andern Geſchlecht
gelitten zu werden und dann vom Schauplatz zu verſchwinden.
An die Familie der Schildräderthierchen mit dem Panzer und dem längeren, geringelten
und dem Endgriffel verſehenen Fuß ſchließt ſich die panzerloſe Familie der Kryſtallfiſchchen
(Hydatinaea) an mit kurzem Fuße. Beſonders an der weit verbreiteten, in kleinen, ſtehenden
Gewäſſern und in frei ſtehenden Waſſerbehältern oft millionenweiſe vorkommenden Hydatina senta
machte Ehrenberg ſeine Erfahrungen über den komplicirten Bau dieſer mikroſkopiſchen Weſen.
„Jn kleinen Cylindergläſern, von der Dicke ſtarker Federſpulen, ſind ſie ſehr gut zu beobachten
und ſchon mit bloßem Auge erkennbar. Haben ſie darin Nahrung, ſo legen ſie alsbald dicht
unter dem Waſſerrande ihre horinzontal gelegten Eier am Glaſe ab, die man mit der Lupe
deutlich erkennt und unter dem Mikroſkop im verſtöpfelten, weißen Glaſe beobachten kann. Mit
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 674. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/718>, abgerufen am 24.11.2024.
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