Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Breitscheid, Tony: Die Notwendigkeit der Forderung des allgemeinen, gleichen, direkten, geheimen Wahlrechts (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 4). Berlin, 1909.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht die Vermehrung politischer Rechte bedeuten, sie würden ebenfalls
in der dritten Klasse wählen müssen und zur politischen Einflußlosig-
keit verdammt sein.

Wir sehen also, daß diese Schicht Frauen, d. h. alle die, die auf
Erwerb angewiesen sind und die Ehefrauen ohne eigenes Vermögen
durch die Übertragung des Dreiklassenwahlsystems stark benachteiligt
würden gegenüber den wenigen Frauen, die durch ihre wirtschaftliche
Lage und durch ihre Stellung in der Gesellschaft an sich schon in der
Lage sind, einen stärkeren Einfluß auszuüben. Diese Frauen kennen
nur zum geringsten Teil die Not der arbeitenden Klassen, sie haben
sie nicht selbst empfunden und können sich deshalb auch niemals so
wie es nötig wäre für die Abschaffung der bestehenden Mißstände ein-
setzen. Nur wenige von ihnen würden z. B. verstehen, daß es etwas
anderes ist, ein Recht beanspruchen zu können, als an Wohltaten und
den guten Willen zu appellieren, sei es bei Privaten oder bei der
Kommune und dem Staat. Den arbeitenden Frauen würde es also
wenig helfen, wenn diese Frauen wirklich ein Recht erhielten.

Haben wir nun die Pflicht für die wenigen zu kämpfen, die gut
Situierten oder für die vielen, die sich mühselig ihren Lebensunterhalt
erringen müssen und in diesem aufreibenden Kampf häufig zu Grunde
gehen? Gewiß die vermögenden Frauen sollen nicht rechtlos sein,
sie sollen die gleichen politischen Rechte erhalten wie die arbeitenden
Frauen; aber der Mehrzahl der erwerbstätigen Frauen wäre mit
der Gewährung eines Dreiklassenwahlrechts nicht gedient, sie würden
keinen nennenswerten politischen Einfluß dadurch erlangen. Daß sie
aber politische Macht brauchen, schon heute dringend notwendig haben
im Reich so gut wie im Staat und in der Kommune, sollte jedem
einleuchten, der überhaupt über diese Frage nachdenkt.

Die Forderungen der Arbeiterinnen werden im allgemeinen von ihren
männlichen Kollegen vertreten, und doch wäre es nötig, ihnen politische
Rechte zu gewähren, schon deshalb, damit sie sich mehr als bisher mit
den wirtschaftspolitischen Fragen beschäftigen und dadurch zu einem
besseren Verständnis ihrer Männer und der von ihnen getriebenen
politischen Arbeit gelangen. Jn den andern Berufen ist aber zum
großen Teil noch eine starke Spannung zwischen den Geschlechtern
zu beobachten, die meist auf Konkurrenzfurcht zurückzuführen ist, die
aber stets eine Benachteiligung des weiblichen Arbeiters bedeutet.
Vielfach stellen auch hier die Männer - angeblich im Jnteresse der
Frauen - Forderungen zum Schutz der weiblichen Arbeitskraft, die
den Frauen absolut nicht willkommen sein können, da ihre Erfüllung

nicht die Vermehrung politischer Rechte bedeuten, sie würden ebenfalls
in der dritten Klasse wählen müssen und zur politischen Einflußlosig-
keit verdammt sein.

Wir sehen also, daß diese Schicht Frauen, d. h. alle die, die auf
Erwerb angewiesen sind und die Ehefrauen ohne eigenes Vermögen
durch die Übertragung des Dreiklassenwahlsystems stark benachteiligt
würden gegenüber den wenigen Frauen, die durch ihre wirtschaftliche
Lage und durch ihre Stellung in der Gesellschaft an sich schon in der
Lage sind, einen stärkeren Einfluß auszuüben. Diese Frauen kennen
nur zum geringsten Teil die Not der arbeitenden Klassen, sie haben
sie nicht selbst empfunden und können sich deshalb auch niemals so
wie es nötig wäre für die Abschaffung der bestehenden Mißstände ein-
setzen. Nur wenige von ihnen würden z. B. verstehen, daß es etwas
anderes ist, ein Recht beanspruchen zu können, als an Wohltaten und
den guten Willen zu appellieren, sei es bei Privaten oder bei der
Kommune und dem Staat. Den arbeitenden Frauen würde es also
wenig helfen, wenn diese Frauen wirklich ein Recht erhielten.

Haben wir nun die Pflicht für die wenigen zu kämpfen, die gut
Situierten oder für die vielen, die sich mühselig ihren Lebensunterhalt
erringen müssen und in diesem aufreibenden Kampf häufig zu Grunde
gehen? Gewiß die vermögenden Frauen sollen nicht rechtlos sein,
sie sollen die gleichen politischen Rechte erhalten wie die arbeitenden
Frauen; aber der Mehrzahl der erwerbstätigen Frauen wäre mit
der Gewährung eines Dreiklassenwahlrechts nicht gedient, sie würden
keinen nennenswerten politischen Einfluß dadurch erlangen. Daß sie
aber politische Macht brauchen, schon heute dringend notwendig haben
im Reich so gut wie im Staat und in der Kommune, sollte jedem
einleuchten, der überhaupt über diese Frage nachdenkt.

Die Forderungen der Arbeiterinnen werden im allgemeinen von ihren
männlichen Kollegen vertreten, und doch wäre es nötig, ihnen politische
Rechte zu gewähren, schon deshalb, damit sie sich mehr als bisher mit
den wirtschaftspolitischen Fragen beschäftigen und dadurch zu einem
besseren Verständnis ihrer Männer und der von ihnen getriebenen
politischen Arbeit gelangen. Jn den andern Berufen ist aber zum
großen Teil noch eine starke Spannung zwischen den Geschlechtern
zu beobachten, die meist auf Konkurrenzfurcht zurückzuführen ist, die
aber stets eine Benachteiligung des weiblichen Arbeiters bedeutet.
Vielfach stellen auch hier die Männer – angeblich im Jnteresse der
Frauen – Forderungen zum Schutz der weiblichen Arbeitskraft, die
den Frauen absolut nicht willkommen sein können, da ihre Erfüllung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0008" n="6"/>
nicht die Vermehrung politischer Rechte bedeuten, sie würden ebenfalls<lb/>
in der dritten Klasse wählen müssen und zur politischen Einflußlosig-<lb/>
keit verdammt sein.</p><lb/>
      <p>Wir sehen also, daß diese Schicht Frauen, d. h. alle die, die auf<lb/>
Erwerb angewiesen sind und die Ehefrauen ohne eigenes Vermögen<lb/>
durch die Übertragung des Dreiklassenwahlsystems stark benachteiligt<lb/>
würden gegenüber den wenigen Frauen, die durch ihre wirtschaftliche<lb/>
Lage und durch ihre Stellung in der Gesellschaft an sich schon in der<lb/>
Lage sind, einen stärkeren Einfluß auszuüben. Diese Frauen kennen<lb/>
nur zum geringsten Teil die Not der arbeitenden Klassen, sie haben<lb/>
sie nicht selbst empfunden und können sich deshalb auch niemals so<lb/>
wie es nötig wäre für die Abschaffung der bestehenden Mißstände ein-<lb/>
setzen. Nur wenige von ihnen würden z. B. verstehen, daß es etwas<lb/>
anderes ist, ein <hi rendition="#g">Recht</hi> beanspruchen zu können, als an Wohltaten und<lb/>
den guten Willen zu appellieren, sei es bei Privaten oder bei der<lb/>
Kommune und dem Staat. Den arbeitenden Frauen würde es also<lb/>
wenig helfen, wenn <hi rendition="#g"> diese</hi> Frauen wirklich ein Recht erhielten.</p><lb/>
      <p>Haben wir nun die Pflicht für die wenigen zu kämpfen, die gut<lb/>
Situierten oder für die vielen, die sich mühselig ihren Lebensunterhalt<lb/>
erringen müssen und in diesem aufreibenden Kampf häufig zu Grunde<lb/>
gehen? Gewiß die vermögenden Frauen sollen nicht rechtlos sein,<lb/>
sie sollen die gleichen politischen Rechte erhalten wie die arbeitenden<lb/>
Frauen; aber der Mehrzahl der erwerbstätigen Frauen wäre mit<lb/>
der Gewährung eines Dreiklassenwahlrechts nicht gedient, sie würden<lb/>
keinen nennenswerten politischen Einfluß dadurch erlangen. Daß sie<lb/>
aber politische Macht brauchen, schon heute dringend notwendig haben<lb/>
im Reich so gut wie im Staat und in der Kommune, sollte jedem<lb/>
einleuchten, der überhaupt über diese Frage nachdenkt.</p><lb/>
      <p>Die Forderungen der Arbeiterinnen werden im allgemeinen von ihren<lb/>
männlichen Kollegen vertreten, und doch wäre es nötig, ihnen politische<lb/>
Rechte zu gewähren, schon deshalb, damit sie sich mehr als bisher mit<lb/>
den wirtschaftspolitischen Fragen beschäftigen und dadurch zu einem<lb/>
besseren Verständnis ihrer Männer und der von ihnen getriebenen<lb/>
politischen Arbeit gelangen. Jn den andern Berufen ist aber zum<lb/>
großen Teil noch eine starke Spannung zwischen den Geschlechtern<lb/>
zu beobachten, die meist auf Konkurrenzfurcht zurückzuführen ist, die<lb/>
aber stets eine Benachteiligung des weiblichen Arbeiters bedeutet.<lb/>
Vielfach stellen auch hier die Männer &#x2013; angeblich im Jnteresse der<lb/>
Frauen &#x2013; Forderungen zum Schutz der weiblichen Arbeitskraft, die<lb/>
den Frauen absolut nicht willkommen sein können, da ihre Erfüllung<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0008] nicht die Vermehrung politischer Rechte bedeuten, sie würden ebenfalls in der dritten Klasse wählen müssen und zur politischen Einflußlosig- keit verdammt sein. Wir sehen also, daß diese Schicht Frauen, d. h. alle die, die auf Erwerb angewiesen sind und die Ehefrauen ohne eigenes Vermögen durch die Übertragung des Dreiklassenwahlsystems stark benachteiligt würden gegenüber den wenigen Frauen, die durch ihre wirtschaftliche Lage und durch ihre Stellung in der Gesellschaft an sich schon in der Lage sind, einen stärkeren Einfluß auszuüben. Diese Frauen kennen nur zum geringsten Teil die Not der arbeitenden Klassen, sie haben sie nicht selbst empfunden und können sich deshalb auch niemals so wie es nötig wäre für die Abschaffung der bestehenden Mißstände ein- setzen. Nur wenige von ihnen würden z. B. verstehen, daß es etwas anderes ist, ein Recht beanspruchen zu können, als an Wohltaten und den guten Willen zu appellieren, sei es bei Privaten oder bei der Kommune und dem Staat. Den arbeitenden Frauen würde es also wenig helfen, wenn diese Frauen wirklich ein Recht erhielten. Haben wir nun die Pflicht für die wenigen zu kämpfen, die gut Situierten oder für die vielen, die sich mühselig ihren Lebensunterhalt erringen müssen und in diesem aufreibenden Kampf häufig zu Grunde gehen? Gewiß die vermögenden Frauen sollen nicht rechtlos sein, sie sollen die gleichen politischen Rechte erhalten wie die arbeitenden Frauen; aber der Mehrzahl der erwerbstätigen Frauen wäre mit der Gewährung eines Dreiklassenwahlrechts nicht gedient, sie würden keinen nennenswerten politischen Einfluß dadurch erlangen. Daß sie aber politische Macht brauchen, schon heute dringend notwendig haben im Reich so gut wie im Staat und in der Kommune, sollte jedem einleuchten, der überhaupt über diese Frage nachdenkt. Die Forderungen der Arbeiterinnen werden im allgemeinen von ihren männlichen Kollegen vertreten, und doch wäre es nötig, ihnen politische Rechte zu gewähren, schon deshalb, damit sie sich mehr als bisher mit den wirtschaftspolitischen Fragen beschäftigen und dadurch zu einem besseren Verständnis ihrer Männer und der von ihnen getriebenen politischen Arbeit gelangen. Jn den andern Berufen ist aber zum großen Teil noch eine starke Spannung zwischen den Geschlechtern zu beobachten, die meist auf Konkurrenzfurcht zurückzuführen ist, die aber stets eine Benachteiligung des weiblichen Arbeiters bedeutet. Vielfach stellen auch hier die Männer – angeblich im Jnteresse der Frauen – Forderungen zum Schutz der weiblichen Arbeitskraft, die den Frauen absolut nicht willkommen sein können, da ihre Erfüllung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-10-19T09:11:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-10-19T09:11:18Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/breitscheid_notwendigkeit_1909
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/breitscheid_notwendigkeit_1909/8
Zitationshilfe: Breitscheid, Tony: Die Notwendigkeit der Forderung des allgemeinen, gleichen, direkten, geheimen Wahlrechts (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 4). Berlin, 1909, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/breitscheid_notwendigkeit_1909/8>, abgerufen am 09.11.2024.