Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts erhob sich die ungläubige Philosophie gegen die Kirche. In einer Unzahl von gottlosen Schriften zog man alles Heilige und Ehrwürdige in den Koth. Die bestehenden Ein- richtungen in der Kirche übergoß man bald mit Hohn und Spott, bald suchte man sie durch bittern Tadel gehässig zu machen; die höchsten Wahrheiten zog man hier nur in Zweifel, dort leugnete man sie förmlich. Die gottlosen Grundsätze der sogenannten Naturreligion, des Materialismus und der Gottesleugnung wurden bald offen, bald versteckt gepredigt. Die Erfolge der Philosophen waren groß. Schon jubelten sie in Voraus- sehung ihres gänzlichen Triumphes über die Kirche. Voltaire schrieb an einen Freund: "Ich bin's nun müde, immer hören zu müssen, zwölf Menschen hätten es fertig gebracht, die katholische Religion zu stiften. Ich werde beweisen, daß einer hinreicht, sie zu ver- nichten." Und in einem anderen Briefe prophezeite er: "Nach zwanzig Jahren soll der Galiläer verloren sein." Der arme Prophet! Nach zwanzig Jahren, gerade an demselben Tage, an dem er einst in gottloser Wuth diese Worte geschrieben, lag Voltaire auf dem Sterbebette, gefoltert in seinem Herzen von den Peinen rasender Verzweiflung; die geschmähte und verfolgte Kirche aber lag nicht am Sterben, sondern die ewig jugendliche, weil göttliche Kraft ihres Stifters lebte noch frisch in ihr und bald mußte man sie um Hilfe anflehen, um Frankreich aus den schrecklichen Wirren, in welche die gottlosen Philosophen es gestürzt hatten,
Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts erhob sich die ungläubige Philosophie gegen die Kirche. In einer Unzahl von gottlosen Schriften zog man alles Heilige und Ehrwürdige in den Koth. Die bestehenden Ein- richtungen in der Kirche übergoß man bald mit Hohn und Spott, bald suchte man sie durch bittern Tadel gehässig zu machen; die höchsten Wahrheiten zog man hier nur in Zweifel, dort leugnete man sie förmlich. Die gottlosen Grundsätze der sogenannten Naturreligion, des Materialismus und der Gottesleugnung wurden bald offen, bald versteckt gepredigt. Die Erfolge der Philosophen waren groß. Schon jubelten sie in Voraus- sehung ihres gänzlichen Triumphes über die Kirche. Voltaire schrieb an einen Freund: „Ich bin's nun müde, immer hören zu müssen, zwölf Menschen hätten es fertig gebracht, die katholische Religion zu stiften. Ich werde beweisen, daß einer hinreicht, sie zu ver- nichten.“ Und in einem anderen Briefe prophezeite er: „Nach zwanzig Jahren soll der Galiläer verloren sein.“ Der arme Prophet! Nach zwanzig Jahren, gerade an demselben Tage, an dem er einst in gottloser Wuth diese Worte geschrieben, lag Voltaire auf dem Sterbebette, gefoltert in seinem Herzen von den Peinen rasender Verzweiflung; die geschmähte und verfolgte Kirche aber lag nicht am Sterben, sondern die ewig jugendliche, weil göttliche Kraft ihres Stifters lebte noch frisch in ihr und bald mußte man sie um Hilfe anflehen, um Frankreich aus den schrecklichen Wirren, in welche die gottlosen Philosophen es gestürzt hatten,
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Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts erhob sich
die ungläubige Philosophie gegen die Kirche. In einer
Unzahl von gottlosen Schriften zog man alles Heilige
und Ehrwürdige in den Koth. Die bestehenden Ein-
richtungen in der Kirche übergoß man bald mit Hohn
und Spott, bald suchte man sie durch bittern Tadel
gehässig zu machen; die höchsten Wahrheiten zog man
hier nur in Zweifel, dort leugnete man sie förmlich.
Die gottlosen Grundsätze der sogenannten Naturreligion,
des Materialismus und der Gottesleugnung wurden
bald offen, bald versteckt gepredigt. Die Erfolge der
Philosophen waren groß. Schon jubelten sie in Voraus-
sehung ihres gänzlichen Triumphes über die Kirche.
Voltaire schrieb an einen Freund: „Ich bin's nun
müde, immer hören zu müssen, zwölf Menschen hätten
es fertig gebracht, die katholische Religion zu stiften.
Ich werde beweisen, daß einer hinreicht, sie zu ver-
nichten.“ Und in einem anderen Briefe prophezeite
er: „Nach zwanzig Jahren soll der Galiläer verloren
sein.“ Der arme Prophet! Nach zwanzig Jahren,
gerade an demselben Tage, an dem er einst in gottloser
Wuth diese Worte geschrieben, lag Voltaire auf dem
Sterbebette, gefoltert in seinem Herzen von den Peinen
rasender Verzweiflung; die geschmähte und verfolgte
Kirche aber lag nicht am Sterben, sondern die ewig
jugendliche, weil göttliche Kraft ihres Stifters lebte
noch frisch in ihr und bald mußte man sie um Hilfe
anflehen, um Frankreich aus den schrecklichen Wirren,
in welche die gottlosen Philosophen es gestürzt hatten,
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Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/115>, abgerufen am 16.02.2025.
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