die Sünde zu meiden und die Tugend zu üben, kennen und zur Richtschnur seines Lebens machen lernen, wenn er Jahr aus Jahr ein durch Arbeiten am Sonntage sich abhalten läßt, die Predigt und christliche Lehre an- zuhören, wenn er des Sonntags wie an den übrigen Wochentagen sein ganzes Sinnen und Trachten dem Irdischen zuwendet? Wo soll sein Geist zu Gott und den himmlischen Gütern sich emporschwingen, wenn er die Schwellen des Hauses Gottes nicht mehr betritt? Wo soll er Wuth und Kraft finden zum Widerstande in den Versuchungen, wenn er auch am Sonntage ob der Arbeit das Gebet versäumt, wenn er Jahre lang das Brod der Starken nicht mehr genießt? Wenn nun aber dem Menschen diese höhere Erkenntniß und Kräf- tigung abgeht, wenn anderseits die Feinde seines Heiles ihm allenthalben Schlingen legen; wenn er sich selbst aus freiem Antriebe immer tiefer in's Zeitliche, in die Sinnengüter und Sinnengenüsse versenkt, wie wäre da ein christlich tugendhafter Wandel möglich? Muß ein Solcher nicht von Tag zu Tag tiefer in die Knecht- schaft der Sinne und der Sünde fallen? muß er nicht mehr und mehr Schwierigkeit empfinden, sich aus dem Wuste der vergänglichen Dinge herauszuarbeiten? muß er endlich nicht gleichsam zum Thiere werden, das nur für das Sinnliche Augen hat? Da kann von einem tugendhaften christlichen Leben keine Rede mehr sein und ebenso wenig von einem genügsamen, glücklichen Leben. - Die Erde besitzt nicht Güter genug, um die gebieterischen Leidenschaften eines solchen Menschen zu
die Sünde zu meiden und die Tugend zu üben, kennen und zur Richtschnur seines Lebens machen lernen, wenn er Jahr aus Jahr ein durch Arbeiten am Sonntage sich abhalten läßt, die Predigt und christliche Lehre an- zuhören, wenn er des Sonntags wie an den übrigen Wochentagen sein ganzes Sinnen und Trachten dem Irdischen zuwendet? Wo soll sein Geist zu Gott und den himmlischen Gütern sich emporschwingen, wenn er die Schwellen des Hauses Gottes nicht mehr betritt? Wo soll er Wuth und Kraft finden zum Widerstande in den Versuchungen, wenn er auch am Sonntage ob der Arbeit das Gebet versäumt, wenn er Jahre lang das Brod der Starken nicht mehr genießt? Wenn nun aber dem Menschen diese höhere Erkenntniß und Kräf- tigung abgeht, wenn anderseits die Feinde seines Heiles ihm allenthalben Schlingen legen; wenn er sich selbst aus freiem Antriebe immer tiefer in's Zeitliche, in die Sinnengüter und Sinnengenüsse versenkt, wie wäre da ein christlich tugendhafter Wandel möglich? Muß ein Solcher nicht von Tag zu Tag tiefer in die Knecht- schaft der Sinne und der Sünde fallen? muß er nicht mehr und mehr Schwierigkeit empfinden, sich aus dem Wuste der vergänglichen Dinge herauszuarbeiten? muß er endlich nicht gleichsam zum Thiere werden, das nur für das Sinnliche Augen hat? Da kann von einem tugendhaften christlichen Leben keine Rede mehr sein und ebenso wenig von einem genügsamen, glücklichen Leben. – Die Erde besitzt nicht Güter genug, um die gebieterischen Leidenschaften eines solchen Menschen zu
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die Sünde zu meiden und die Tugend zu üben, kennen
und zur Richtschnur seines Lebens machen lernen, wenn
er Jahr aus Jahr ein durch Arbeiten am Sonntage
sich abhalten läßt, die Predigt und christliche Lehre an-
zuhören, wenn er des Sonntags wie an den übrigen
Wochentagen sein ganzes Sinnen und Trachten dem
Irdischen zuwendet? Wo soll sein Geist zu Gott und
den himmlischen Gütern sich emporschwingen, wenn er
die Schwellen des Hauses Gottes nicht mehr betritt?
Wo soll er Wuth und Kraft finden zum Widerstande
in den Versuchungen, wenn er auch am Sonntage ob
der Arbeit das Gebet versäumt, wenn er Jahre lang
das Brod der Starken nicht mehr genießt? Wenn nun
aber dem Menschen diese höhere Erkenntniß und Kräf-
tigung abgeht, wenn anderseits die Feinde seines Heiles
ihm allenthalben Schlingen legen; wenn er sich selbst
aus freiem Antriebe immer tiefer in's Zeitliche, in die
Sinnengüter und Sinnengenüsse versenkt, wie wäre da
ein christlich tugendhafter Wandel möglich? Muß ein
Solcher nicht von Tag zu Tag tiefer in die Knecht-
schaft der Sinne und der Sünde fallen? muß er nicht
mehr und mehr Schwierigkeit empfinden, sich aus dem
Wuste der vergänglichen Dinge herauszuarbeiten? muß
er endlich nicht gleichsam zum Thiere werden, das nur
für das Sinnliche Augen hat? Da kann von einem
tugendhaften christlichen Leben keine Rede mehr sein
und ebenso wenig von einem genügsamen, glücklichen
Leben. – Die Erde besitzt nicht Güter genug, um die
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Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/147>, abgerufen am 21.11.2024.
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