Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901.

Bild:
<< vorherige Seite

dann verschwindet es wieder - du weißt nicht, woher
es gekommen, wohin es gegangen. Wer dürfte so un-
dankbar sein zu sagen, das Glück ist mir nie er-
schienen. Doch es währt nur einen Augenblick, dann
flieht es wieder, ein Sonnenblick, der jetzt durch die
Wolken fällt und jetzt sich wieder verbirgt. Der Mensch
aber will glücklich sein nicht für einen Augenblick, er
will ein Glück, das immer währt und nie endet.
Und selbst wäre es dauernd, es wäre doch nicht das
volle Glück. Denn alles irdische Glück befriedigt nur
eine Seite, eine Richtung unseres Wesens, immer bleibt
der tiefste Grund der Seele in Nacht gehüllt, wie das
Dunkel noch immer über den Thälern liegt am Morgen,
sind auch die Spitzen der Berge von der Sonne be-
leuchtet. Das irdische Glück ist nicht allseitig und
nicht bis in's innerste Mark des Lebens dringend, es
vergoldet nur die äußeren Ränder der Seele, es wirft
sein Licht nur nach einer Seite hin, so daß die
Schatten nur noch mehr hervortreten. Darum diese
Wehmuth mitten im Glück; gerade wo es viel ge-
währt, fühlt der Mensch erst recht, wie wenig es ge-
wesen, und wie bald auch dieses Wenige schwindet.
Das wahre Glück muß allseitig sein, das wahre Glück
muß ewig währen. Nur im Unendlichen wohnt
das Glück, das allseitig, ewig, unendlich befriedigt;
nur ewiges Glück ist wahres Glück. So gewiß der
Mensch diese Sehnsucht in sich trägt, so gewiß muß
ihr Befriedigung werden; denn die Stimme der Natur
führt nicht irre, es ist die Stimme Gottes selbst, der

dann verschwindet es wieder – du weißt nicht, woher
es gekommen, wohin es gegangen. Wer dürfte so un-
dankbar sein zu sagen, das Glück ist mir nie er-
schienen. Doch es währt nur einen Augenblick, dann
flieht es wieder, ein Sonnenblick, der jetzt durch die
Wolken fällt und jetzt sich wieder verbirgt. Der Mensch
aber will glücklich sein nicht für einen Augenblick, er
will ein Glück, das immer währt und nie endet.
Und selbst wäre es dauernd, es wäre doch nicht das
volle Glück. Denn alles irdische Glück befriedigt nur
eine Seite, eine Richtung unseres Wesens, immer bleibt
der tiefste Grund der Seele in Nacht gehüllt, wie das
Dunkel noch immer über den Thälern liegt am Morgen,
sind auch die Spitzen der Berge von der Sonne be-
leuchtet. Das irdische Glück ist nicht allseitig und
nicht bis in's innerste Mark des Lebens dringend, es
vergoldet nur die äußeren Ränder der Seele, es wirft
sein Licht nur nach einer Seite hin, so daß die
Schatten nur noch mehr hervortreten. Darum diese
Wehmuth mitten im Glück; gerade wo es viel ge-
währt, fühlt der Mensch erst recht, wie wenig es ge-
wesen, und wie bald auch dieses Wenige schwindet.
Das wahre Glück muß allseitig sein, das wahre Glück
muß ewig währen. Nur im Unendlichen wohnt
das Glück, das allseitig, ewig, unendlich befriedigt;
nur ewiges Glück ist wahres Glück. So gewiß der
Mensch diese Sehnsucht in sich trägt, so gewiß muß
ihr Befriedigung werden; denn die Stimme der Natur
führt nicht irre, es ist die Stimme Gottes selbst, der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p>
          <q><pb facs="#f0072" xml:id="B836_001_1901_pb0060_0001" n="60"/>
dann verschwindet es wieder &#x2013; du weißt nicht, woher<lb/>
es gekommen, wohin es gegangen. Wer dürfte so un-<lb/>
dankbar sein zu sagen, das Glück ist mir nie er-<lb/>
schienen. Doch es währt nur einen Augenblick, dann<lb/>
flieht es wieder, ein Sonnenblick, der jetzt durch die<lb/>
Wolken fällt und jetzt sich wieder verbirgt. Der Mensch<lb/>
aber will glücklich sein nicht für einen Augenblick, er<lb/>
will ein Glück, das <hi rendition="#g">immer</hi> währt und <hi rendition="#g">nie</hi> endet.<lb/>
Und selbst wäre es dauernd, es wäre doch nicht das<lb/>
volle Glück. Denn alles irdische Glück befriedigt nur<lb/>
eine Seite, eine Richtung unseres Wesens, immer bleibt<lb/>
der tiefste Grund der Seele in Nacht gehüllt, wie das<lb/>
Dunkel noch immer über den Thälern liegt am Morgen,<lb/>
sind auch die Spitzen der Berge von der Sonne be-<lb/>
leuchtet. Das irdische Glück ist nicht <hi rendition="#g">allseitig</hi> und<lb/>
nicht bis in's innerste Mark des Lebens dringend, es<lb/>
vergoldet nur die äußeren Ränder der Seele, es wirft<lb/>
sein Licht nur nach einer Seite hin, so daß die<lb/>
Schatten nur noch mehr hervortreten. Darum diese<lb/>
Wehmuth mitten im Glück; gerade wo es viel ge-<lb/>
währt, fühlt der Mensch erst recht, wie wenig es ge-<lb/>
wesen, und wie bald auch dieses Wenige schwindet.<lb/>
Das wahre Glück muß allseitig sein, das wahre Glück<lb/>
muß ewig währen. Nur im <hi rendition="#g">Unendlichen</hi> wohnt<lb/>
das Glück, das allseitig, ewig, unendlich befriedigt;<lb/>
nur ewiges Glück ist wahres Glück. So gewiß der<lb/>
Mensch diese Sehnsucht in sich trägt, so gewiß muß<lb/>
ihr Befriedigung werden; denn die Stimme der Natur<lb/>
führt nicht irre, es ist die Stimme Gottes selbst, der<lb/></q>
        </p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0072] dann verschwindet es wieder – du weißt nicht, woher es gekommen, wohin es gegangen. Wer dürfte so un- dankbar sein zu sagen, das Glück ist mir nie er- schienen. Doch es währt nur einen Augenblick, dann flieht es wieder, ein Sonnenblick, der jetzt durch die Wolken fällt und jetzt sich wieder verbirgt. Der Mensch aber will glücklich sein nicht für einen Augenblick, er will ein Glück, das immer währt und nie endet. Und selbst wäre es dauernd, es wäre doch nicht das volle Glück. Denn alles irdische Glück befriedigt nur eine Seite, eine Richtung unseres Wesens, immer bleibt der tiefste Grund der Seele in Nacht gehüllt, wie das Dunkel noch immer über den Thälern liegt am Morgen, sind auch die Spitzen der Berge von der Sonne be- leuchtet. Das irdische Glück ist nicht allseitig und nicht bis in's innerste Mark des Lebens dringend, es vergoldet nur die äußeren Ränder der Seele, es wirft sein Licht nur nach einer Seite hin, so daß die Schatten nur noch mehr hervortreten. Darum diese Wehmuth mitten im Glück; gerade wo es viel ge- währt, fühlt der Mensch erst recht, wie wenig es ge- wesen, und wie bald auch dieses Wenige schwindet. Das wahre Glück muß allseitig sein, das wahre Glück muß ewig währen. Nur im Unendlichen wohnt das Glück, das allseitig, ewig, unendlich befriedigt; nur ewiges Glück ist wahres Glück. So gewiß der Mensch diese Sehnsucht in sich trägt, so gewiß muß ihr Befriedigung werden; denn die Stimme der Natur führt nicht irre, es ist die Stimme Gottes selbst, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt vom Projekt Digitization Lifecycle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.

Anmerkungen zur Transkription:

Bei der Zeichenerkennung wurde nach Vorgabe des DLC modernisiert.

In Absprache mit dem MPI wurden die folgenden Aspekte der Vorlage nicht erfasst:

  • Bogensignaturen und Kustoden
  • Kolumnentitel
  • Auf Titelblättern wurde auf die Auszeichnung der Schriftgrößenunterscheide zugunsten der Identifizierung von titleParts verzichtet.
  • Bei Textpassagen, die als Abschnittsüberschrift ausgeweisen werden können, wird auf die zusätzliche Auszeichnung des Layouts verzichtet.
  • Keine Auszeichnung der Initialbuchstaben am Kapitelanfang.

Es wurden alle Anführungszeichen übernommen und die Zitate zusätzlich mit q ausgezeichnet.

Weiche und harte Zeilentrennungen werden identisch als 002D übernommen. Der Zeilenumbruch selbst über lb ausgezeichnet.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/72
Zitationshilfe: Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/72>, abgerufen am 11.05.2024.