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Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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schönen Annerl erzählt hatte, so gedrängt vor, als es die Noth erforderte, und flehte ihn wenigstens um den Aufschub der Hinrichtung auf wenige Stunden und um ein ehrliches Grab für die beiden Unglücklichen an, wenn Gnade unmöglich sei. -- Ach, Gnade, Gnade! rief ich aus, indem ich den gefundenen weißen Schleier voll Rosen aus dem Busen zog; dieser Schleier, den ich auf meinem Wege hierher gefunden, schien mir Gnade zu verheißen.

Der Herzog griff mit Ungestüm nach dem Schleier und war heftig bewegt; er drückte den Schleier in seinen Händen, und als ich die Worte aussprach: Euere Durchlaucht! Dieses arme Mädchen ist ein Opfer falscher Ehrsucht: ein Vornehmer hat sie verführt und ihr die Ehe versprochen. Ach, sie ist so gut, daß sie lieber sterben will, als ihn nennen -- da unterbrach mich der Herzog mit Thränen in den Augen und sagte: Schweigen Sie, ums Himmels willen, schweigen Sie! -- Und nun wendete er sich zu dem Fähndrich, der an der Thüre stand, und sagte mit dringender Eile: Fort, eilend zu Pferde mit diesem Menschen hier; reiten Sie das Pferd todt; nur nach dem Gerichte hin. Heften Sie diesen Schleier an Ihren Degen, winken und schreien Sie Gnade, Gnade! Ich komme nach.

Grossinger nahm den Schleier. Er war ganz verwandelt, er sah aus wie ein Gespenst vor Angst und Eile. Wir stürzten in den Stall, saßen zu Pferd und ritten im Galopp; er stürmte wie ein Wahnsinniger zum

schönen Annerl erzählt hatte, so gedrängt vor, als es die Noth erforderte, und flehte ihn wenigstens um den Aufschub der Hinrichtung auf wenige Stunden und um ein ehrliches Grab für die beiden Unglücklichen an, wenn Gnade unmöglich sei. — Ach, Gnade, Gnade! rief ich aus, indem ich den gefundenen weißen Schleier voll Rosen aus dem Busen zog; dieser Schleier, den ich auf meinem Wege hierher gefunden, schien mir Gnade zu verheißen.

Der Herzog griff mit Ungestüm nach dem Schleier und war heftig bewegt; er drückte den Schleier in seinen Händen, und als ich die Worte aussprach: Euere Durchlaucht! Dieses arme Mädchen ist ein Opfer falscher Ehrsucht: ein Vornehmer hat sie verführt und ihr die Ehe versprochen. Ach, sie ist so gut, daß sie lieber sterben will, als ihn nennen — da unterbrach mich der Herzog mit Thränen in den Augen und sagte: Schweigen Sie, ums Himmels willen, schweigen Sie! — Und nun wendete er sich zu dem Fähndrich, der an der Thüre stand, und sagte mit dringender Eile: Fort, eilend zu Pferde mit diesem Menschen hier; reiten Sie das Pferd todt; nur nach dem Gerichte hin. Heften Sie diesen Schleier an Ihren Degen, winken und schreien Sie Gnade, Gnade! Ich komme nach.

Grossinger nahm den Schleier. Er war ganz verwandelt, er sah aus wie ein Gespenst vor Angst und Eile. Wir stürzten in den Stall, saßen zu Pferd und ritten im Galopp; er stürmte wie ein Wahnsinniger zum

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:27:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:27:19Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/52>, abgerufen am 21.11.2024.