Nun bemerkten sie den Schein wieder, und sahen, daß er durch ein hohes Fenster herein fiel. Mit verschlungenen Armen liefen sie nach dem Fenster und sahen, daß es von der La¬ terne eines Kutschers in einer reichen Livree herkam, der in einem großen geräumigen Hof stand, Haber siebte und ein Liedchen pfiff. Im Schein der Laterne, der an das Fenster fiel, sah Gockel Hinkel an und Hinkel Gockel, und beide lachten und weinten und fielen sich um den Hals und riefen aus: "ach Gockel, ach Hinkel, wie jung und schön bist du geworden!" Da sprach Gockel: "Alektryo hat die Wahrheit gesprochen, der Ring Salomonis hat Probe gehalten, alle meine Wünsche, bei welchen ich ihn drehte, sind in Erfül¬ lung gegangen"; und da erzählte er der Frau Hinkel, wie ihm der Mann mit dem großen Bilderbuch erschienen und er Alles heraus gesucht und den Ring dabei gedreht ha¬ be. -- "Ach Gockel, Herzens-Gockel! hast du wirklich Alles so gewünscht. Alles wie es mich freuet und erquicket? Die¬ ses lange, lange Hemd, diesen tiefrothen, chinesischen Schlaf¬ rock, fein, fein, man kann ihn ganz in den Raum einer Nuß verbergen. Gockel! und dieses seidene Netz um meine Haare -- Alles, Alles so nach meiner Lust?"-- "Ja", sagte Gockel, "Alles nach deiner Lust, es wird schon Tag werden, da wirst du erst sehen die hohen, hellen Räume, Sääle, um Wett¬ rennen darin anzustellen, lauter Doppelthüren, Fußböden mit Purpurteppichen bedeckt, herrliche breite Treppen auf Säulen ruhend, Terrassen, Gallerien, offne Hallen; ach Hinkel! welche Gärten und Springbrunnen und Säulenhallen und Statuen und Aussichten und schöne Berglinien und Lorbeern-, Myrten-, Cypressen-, Citronen-, Pomeranzen-, Orangen-, Granatenhai¬ ne und eine Schaukel darin von weißen Rosen -- und eine Wiege von weißen Lilien -- vom Küchengarten will ich gar nicht reden, es wird dir genug seyn, wenn ich sage, daß die Pflaumenbäume ihre Aeste mit getrockneten Früchten zum Küchenfenster hineinhängen. -- Was soll ich von der Garde¬
Nun bemerkten ſie den Schein wieder, und ſahen, daß er durch ein hohes Fenſter herein fiel. Mit verſchlungenen Armen liefen ſie nach dem Fenſter und ſahen, daß es von der La¬ terne eines Kutſchers in einer reichen Livree herkam, der in einem großen geraͤumigen Hof ſtand, Haber ſiebte und ein Liedchen pfiff. Im Schein der Laterne, der an das Fenſter fiel, ſah Gockel Hinkel an und Hinkel Gockel, und beide lachten und weinten und fielen ſich um den Hals und riefen aus: „ach Gockel, ach Hinkel, wie jung und ſchoͤn biſt du geworden!“ Da ſprach Gockel: „Alektryo hat die Wahrheit geſprochen, der Ring Salomonis hat Probe gehalten, alle meine Wuͤnſche, bei welchen ich ihn drehte, ſind in Erfuͤl¬ lung gegangen“; und da erzaͤhlte er der Frau Hinkel, wie ihm der Mann mit dem großen Bilderbuch erſchienen und er Alles heraus geſucht und den Ring dabei gedreht ha¬ be. — „Ach Gockel, Herzens-Gockel! haſt du wirklich Alles ſo gewuͤnſcht. Alles wie es mich freuet und erquicket? Die¬ ſes lange, lange Hemd, dieſen tiefrothen, chineſiſchen Schlaf¬ rock, fein, fein, man kann ihn ganz in den Raum einer Nuß verbergen. Gockel! und dieſes ſeidene Netz um meine Haare — Alles, Alles ſo nach meiner Luſt?“— „Ja“, ſagte Gockel, „Alles nach deiner Luſt, es wird ſchon Tag werden, da wirſt du erſt ſehen die hohen, hellen Raͤume, Saͤaͤle, um Wett¬ rennen darin anzuſtellen, lauter Doppelthuͤren, Fußboͤden mit Purpurteppichen bedeckt, herrliche breite Treppen auf Saͤulen ruhend, Terraſſen, Gallerien, offne Hallen; ach Hinkel! welche Gaͤrten und Springbrunnen und Saͤulenhallen und Statuen und Ausſichten und ſchoͤne Berglinien und Lorbeern-, Myrten-, Cypreſſen-, Citronen-, Pomeranzen-, Orangen-, Granatenhai¬ ne und eine Schaukel darin von weißen Roſen — und eine Wiege von weißen Lilien — vom Kuͤchengarten will ich gar nicht reden, es wird dir genug ſeyn, wenn ich ſage, daß die Pflaumenbaͤume ihre Aeſte mit getrockneten Fruͤchten zum Kuͤchenfenſter hineinhaͤngen. — Was ſoll ich von der Garde¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0104"n="74"/>
Nun bemerkten ſie den Schein wieder, und ſahen, daß er durch<lb/>
ein hohes Fenſter herein fiel. Mit verſchlungenen Armen<lb/>
liefen ſie nach dem Fenſter und ſahen, daß es von der La¬<lb/>
terne eines Kutſchers in einer reichen Livree herkam, der in<lb/>
einem großen geraͤumigen Hof ſtand, Haber ſiebte und ein<lb/>
Liedchen pfiff. Im Schein der Laterne, der an das Fenſter<lb/>
fiel, ſah Gockel Hinkel an und Hinkel Gockel, und beide<lb/>
lachten und weinten und fielen ſich um den Hals und riefen<lb/>
aus: „ach Gockel, ach Hinkel, wie jung und ſchoͤn biſt du<lb/>
geworden!“ Da ſprach Gockel: „Alektryo hat die Wahrheit<lb/>
geſprochen, der Ring Salomonis hat Probe gehalten, alle<lb/>
meine Wuͤnſche, bei welchen ich ihn drehte, ſind in Erfuͤl¬<lb/>
lung gegangen“; und da erzaͤhlte er der Frau Hinkel, wie<lb/>
ihm der Mann mit dem großen Bilderbuch erſchienen und<lb/>
er Alles heraus geſucht und den Ring dabei gedreht ha¬<lb/>
be. —„Ach Gockel, Herzens-Gockel! haſt du wirklich Alles<lb/>ſo gewuͤnſcht. Alles wie es mich freuet und erquicket? Die¬<lb/>ſes lange, lange Hemd, dieſen tiefrothen, chineſiſchen Schlaf¬<lb/>
rock, fein, fein, man kann ihn ganz in den Raum einer<lb/>
Nuß verbergen. Gockel! und dieſes ſeidene Netz um meine<lb/>
Haare — Alles, Alles ſo nach meiner Luſt?“—„Ja“, ſagte<lb/>
Gockel, „Alles nach deiner Luſt, es wird ſchon Tag werden, da<lb/>
wirſt du erſt ſehen die hohen, hellen Raͤume, Saͤaͤle, um Wett¬<lb/>
rennen darin anzuſtellen, lauter Doppelthuͤren, Fußboͤden mit<lb/>
Purpurteppichen bedeckt, herrliche breite Treppen auf Saͤulen<lb/>
ruhend, Terraſſen, Gallerien, offne Hallen; ach Hinkel! welche<lb/>
Gaͤrten und Springbrunnen und Saͤulenhallen und Statuen<lb/>
und Ausſichten und ſchoͤne Berglinien und Lorbeern-, Myrten-,<lb/>
Cypreſſen-, Citronen-, Pomeranzen-, Orangen-, Granatenhai¬<lb/>
ne und eine Schaukel darin von weißen Roſen — und eine<lb/>
Wiege von weißen Lilien — vom Kuͤchengarten will ich gar<lb/>
nicht reden, es wird dir genug ſeyn, wenn ich ſage, daß<lb/>
die Pflaumenbaͤume ihre Aeſte mit getrockneten Fruͤchten zum<lb/>
Kuͤchenfenſter hineinhaͤngen. — Was ſoll ich von der Garde¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[74/0104]
Nun bemerkten ſie den Schein wieder, und ſahen, daß er durch
ein hohes Fenſter herein fiel. Mit verſchlungenen Armen
liefen ſie nach dem Fenſter und ſahen, daß es von der La¬
terne eines Kutſchers in einer reichen Livree herkam, der in
einem großen geraͤumigen Hof ſtand, Haber ſiebte und ein
Liedchen pfiff. Im Schein der Laterne, der an das Fenſter
fiel, ſah Gockel Hinkel an und Hinkel Gockel, und beide
lachten und weinten und fielen ſich um den Hals und riefen
aus: „ach Gockel, ach Hinkel, wie jung und ſchoͤn biſt du
geworden!“ Da ſprach Gockel: „Alektryo hat die Wahrheit
geſprochen, der Ring Salomonis hat Probe gehalten, alle
meine Wuͤnſche, bei welchen ich ihn drehte, ſind in Erfuͤl¬
lung gegangen“; und da erzaͤhlte er der Frau Hinkel, wie
ihm der Mann mit dem großen Bilderbuch erſchienen und
er Alles heraus geſucht und den Ring dabei gedreht ha¬
be. — „Ach Gockel, Herzens-Gockel! haſt du wirklich Alles
ſo gewuͤnſcht. Alles wie es mich freuet und erquicket? Die¬
ſes lange, lange Hemd, dieſen tiefrothen, chineſiſchen Schlaf¬
rock, fein, fein, man kann ihn ganz in den Raum einer
Nuß verbergen. Gockel! und dieſes ſeidene Netz um meine
Haare — Alles, Alles ſo nach meiner Luſt?“— „Ja“, ſagte
Gockel, „Alles nach deiner Luſt, es wird ſchon Tag werden, da
wirſt du erſt ſehen die hohen, hellen Raͤume, Saͤaͤle, um Wett¬
rennen darin anzuſtellen, lauter Doppelthuͤren, Fußboͤden mit
Purpurteppichen bedeckt, herrliche breite Treppen auf Saͤulen
ruhend, Terraſſen, Gallerien, offne Hallen; ach Hinkel! welche
Gaͤrten und Springbrunnen und Saͤulenhallen und Statuen
und Ausſichten und ſchoͤne Berglinien und Lorbeern-, Myrten-,
Cypreſſen-, Citronen-, Pomeranzen-, Orangen-, Granatenhai¬
ne und eine Schaukel darin von weißen Roſen — und eine
Wiege von weißen Lilien — vom Kuͤchengarten will ich gar
nicht reden, es wird dir genug ſeyn, wenn ich ſage, daß
die Pflaumenbaͤume ihre Aeſte mit getrockneten Fruͤchten zum
Kuͤchenfenſter hineinhaͤngen. — Was ſoll ich von der Garde¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/104>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.