Es brach aber der Tag an und es war kein Traum; Alles hatte Bestand, sie blickten Arm in Arm scheu und doch freudig bald sich in ihrer verjüngten Gestalt und präch¬ tigen Kleidung, bald die wunderbare Pracht ihres Schlaf¬ gemaches an, und als sie neben ihrem großen Prachtbett, welches wie ein Himmelwagen aussah, mit Federbüschen be¬ steckt, ein anderes schönes Bettchen sahen, fiel ihnen erst im Taumel der großen Freude ihre liebe Gackeleia ein; sie rissen die rothsammetnen, goldgestickten Vorhänge hin¬ weg, da lag Gackeleia schön wie ein Engel, ach viel schö¬ ner als sie je gewesen. Gockel und Hinkel erweckten sie mit Küssen und Thränen: "wach auf, Gackeleia, ach alle Freude ist um uns her; ach Gackeleia, sieh alle die schönen Sachen an!" Da schlug Gackeleia die blauen Augen auf, und glaubte, sie träume das Alles nur; und da sie Vater und Mutter, welche beide so jung und schön geworden waren, gar nicht wieder erkannte, fieng sie an zu weinen und ver¬ langte nach ihren lieben Aeltern. Ja alle die schönen Sa¬ chen konnten sie nicht zufrieden stellen; sie sagte immer: "o was soll ich mit all der Herrlichkeit, ich will zu meiner lie¬ ben Mutter, Frau Hinkel, zu meinem guten Vater, Gockel, zurück." Die Mutter und der Vater konnten sie auf keine Weise bereden, daß sie es selbst seyen. Endlich sagte Go¬ ckel zu ihr: "Wer bist du denn?" "Gackeleia bin ich," er¬ wiederte das Kind. "So," sagte Gockel, "du bist Gacke¬ leia? Aber Gackeleia hatte ja gestern ein Röckchen von grauer Leinwand an, wie kömmt den Gackeleia in das schöne, buntgeblümte, seidene Schlafröckchen?" "Ach, das weiß ich nicht," antwortete Gackeleia, "aber ich bin doch ganz gewiß Gackeleia; ach ich weiß es gewiß, die Augen schmerzen mich so sehr, ich habe gestern gar viel ge¬ weint, ich habe grosses Unglück angestellt, ich habe die Katze an das Nest der Gallina geführt; ich bin Schuld, daß sie gefressen worden, ich habe dadurch den guten
Es brach aber der Tag an und es war kein Traum; Alles hatte Beſtand, ſie blickten Arm in Arm ſcheu und doch freudig bald ſich in ihrer verjuͤngten Geſtalt und praͤch¬ tigen Kleidung, bald die wunderbare Pracht ihres Schlaf¬ gemaches an, und als ſie neben ihrem großen Prachtbett, welches wie ein Himmelwagen ausſah, mit Federbuͤſchen be¬ ſteckt, ein anderes ſchoͤnes Bettchen ſahen, fiel ihnen erſt im Taumel der großen Freude ihre liebe Gackeleia ein; ſie riſſen die rothſammetnen, goldgeſtickten Vorhaͤnge hin¬ weg, da lag Gackeleia ſchoͤn wie ein Engel, ach viel ſchoͤ¬ ner als ſie je geweſen. Gockel und Hinkel erweckten ſie mit Kuͤſſen und Thraͤnen: „wach auf, Gackeleia, ach alle Freude iſt um uns her; ach Gackeleia, ſieh alle die ſchoͤnen Sachen an!“ Da ſchlug Gackeleia die blauen Augen auf, und glaubte, ſie traͤume das Alles nur; und da ſie Vater und Mutter, welche beide ſo jung und ſchoͤn geworden waren, gar nicht wieder erkannte, fieng ſie an zu weinen und ver¬ langte nach ihren lieben Aeltern. Ja alle die ſchoͤnen Sa¬ chen konnten ſie nicht zufrieden ſtellen; ſie ſagte immer: „o was ſoll ich mit all der Herrlichkeit, ich will zu meiner lie¬ ben Mutter, Frau Hinkel, zu meinem guten Vater, Gockel, zuruͤck.“ Die Mutter und der Vater konnten ſie auf keine Weiſe bereden, daß ſie es ſelbſt ſeyen. Endlich ſagte Go¬ ckel zu ihr: „Wer biſt du denn?“ „Gackeleia bin ich,“ er¬ wiederte das Kind. „So,“ ſagte Gockel, „du biſt Gacke¬ leia? Aber Gackeleia hatte ja geſtern ein Roͤckchen von grauer Leinwand an, wie koͤmmt den Gackeleia in das ſchoͤne, buntgebluͤmte, ſeidene Schlafroͤckchen?“ „Ach, das weiß ich nicht,“ antwortete Gackeleia, „aber ich bin doch ganz gewiß Gackeleia; ach ich weiß es gewiß, die Augen ſchmerzen mich ſo ſehr, ich habe geſtern gar viel ge¬ weint, ich habe groſſes Ungluͤck angeſtellt, ich habe die Katze an das Neſt der Gallina gefuͤhrt; ich bin Schuld, daß ſie gefreſſen worden, ich habe dadurch den guten
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Es brach aber der Tag an und es war kein Traum;
Alles hatte Beſtand, ſie blickten Arm in Arm ſcheu und
doch freudig bald ſich in ihrer verjuͤngten Geſtalt und praͤch¬
tigen Kleidung, bald die wunderbare Pracht ihres Schlaf¬
gemaches an, und als ſie neben ihrem großen Prachtbett,
welches wie ein Himmelwagen ausſah, mit Federbuͤſchen be¬
ſteckt, ein anderes ſchoͤnes Bettchen ſahen, fiel ihnen erſt
im Taumel der großen Freude ihre liebe Gackeleia ein;
ſie riſſen die rothſammetnen, goldgeſtickten Vorhaͤnge hin¬
weg, da lag Gackeleia ſchoͤn wie ein Engel, ach viel ſchoͤ¬
ner als ſie je geweſen. Gockel und Hinkel erweckten ſie mit
Kuͤſſen und Thraͤnen: „wach auf, Gackeleia, ach alle Freude
iſt um uns her; ach Gackeleia, ſieh alle die ſchoͤnen Sachen
an!“ Da ſchlug Gackeleia die blauen Augen auf, und
glaubte, ſie traͤume das Alles nur; und da ſie Vater und
Mutter, welche beide ſo jung und ſchoͤn geworden waren,
gar nicht wieder erkannte, fieng ſie an zu weinen und ver¬
langte nach ihren lieben Aeltern. Ja alle die ſchoͤnen Sa¬
chen konnten ſie nicht zufrieden ſtellen; ſie ſagte immer: „o
was ſoll ich mit all der Herrlichkeit, ich will zu meiner lie¬
ben Mutter, Frau Hinkel, zu meinem guten Vater, Gockel,
zuruͤck.“ Die Mutter und der Vater konnten ſie auf keine
Weiſe bereden, daß ſie es ſelbſt ſeyen. Endlich ſagte Go¬
ckel zu ihr: „Wer biſt du denn?“ „Gackeleia bin ich,“ er¬
wiederte das Kind. „So,“ ſagte Gockel, „du biſt Gacke¬
leia? Aber Gackeleia hatte ja geſtern ein Roͤckchen von
grauer Leinwand an, wie koͤmmt den Gackeleia in das
ſchoͤne, buntgebluͤmte, ſeidene Schlafroͤckchen?“ „Ach, das
weiß ich nicht,“ antwortete Gackeleia, „aber ich bin doch
ganz gewiß Gackeleia; ach ich weiß es gewiß, die Augen
ſchmerzen mich ſo ſehr, ich habe geſtern gar viel ge¬
weint, ich habe groſſes Ungluͤck angeſtellt, ich habe die
Katze an das Neſt der Gallina gefuͤhrt; ich bin Schuld,
daß ſie gefreſſen worden, ich habe dadurch den guten
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/114>, abgerufen am 16.02.2025.
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