Auf der krystallenen Platte des Tisches stand Wasch¬ becken und Kanne von gleichem Stoff, man konnte sie so oft man wollte bei dem Delphin unter dem Tische füllen; hin¬ ter dem Waschbecken war etwas Hohes mit einem feinsten weißen Tuche bedeckt. -- "Was ist nur das?" -- sagte Frau Hinkel und zog das Tuch weg, -- aber Alle wurden still und ernst, als sie sahen, was es war; denn es war das Bild einer Gluckhenne auf dem Neste sitzend mit ausgebrei¬ teten Flügeln und über Hühnchen brütend, die hie und da die Köpfchen hervorstreckten; Alles von Gold und Silber, auf das natürlichste kunstreich ausgearbeitet; die Augen waren alle von Edelsteinen und die Kämme von Rubinen!
"Ach!" sagte Frau Hinkel, "das ist wohl eine ernste Erinnerung, das kann uns wohl demüthigen; sieh Gackeleia, da ist das Bild der Gallina, wie sie leibte und lebte, da können wir an die betrübte Geschichte denken!"-- "Ach ja," sagte Gackeleia, und weinte. Gockel aber sprach: "wol¬ len wir dabei an irgend etwas denken, was uns vor Ueber¬ muth bewahrt, so ist das gut. Hier aber steht die goldene Henne nur als ein altes Familienkleinod, das ich selbst zum erstenmal sehe; dort auf meinem Waschtisch wird wohl der goldene Hahn stehen." -- Da deckte Gockel auf seinem Wasch¬ tisch das Gefäß auf, und wirklich stand das Bild Alektryos von Gold in größter Vollkommenheit da. -- Sie waren Alle ganz erstaunt.
Gockel aber sprach weiter: "du wirst dich erinnern, Frau Hinkel, daß in unsrer Familie ein altes Sprichwort ist, der goldne Hahn kräht nicht mehr, die goldne Henne legt nicht mehr, um unsre Verarmung anzudeuten. Das bezieht sich auf diese beiden unschätzbaren Kunstwerke, die lange in dem Schatze der Kapelle zu Gockelsruh bewahrt wurden. Als aber die Franzosen ihre angeblichen Rechte auf alle Hahnen geltend machten, weil in dem wohl anatomirten Gehirn je¬ des Hahns ihr Wappen, nämlich das Bild einer Lilie zu
6 *
Auf der kryſtallenen Platte des Tiſches ſtand Waſch¬ becken und Kanne von gleichem Stoff, man konnte ſie ſo oft man wollte bei dem Delphin unter dem Tiſche fuͤllen; hin¬ ter dem Waſchbecken war etwas Hohes mit einem feinſten weißen Tuche bedeckt. — „Was iſt nur das?“ — ſagte Frau Hinkel und zog das Tuch weg, — aber Alle wurden ſtill und ernſt, als ſie ſahen, was es war; denn es war das Bild einer Gluckhenne auf dem Neſte ſitzend mit ausgebrei¬ teten Fluͤgeln und uͤber Huͤhnchen bruͤtend, die hie und da die Koͤpfchen hervorſtreckten; Alles von Gold und Silber, auf das natuͤrlichſte kunſtreich ausgearbeitet; die Augen waren alle von Edelſteinen und die Kaͤmme von Rubinen!
„Ach!“ ſagte Frau Hinkel, „das iſt wohl eine ernſte Erinnerung, das kann uns wohl demuͤthigen; ſieh Gackeleia, da iſt das Bild der Gallina, wie ſie leibte und lebte, da koͤnnen wir an die betruͤbte Geſchichte denken!“— „Ach ja,“ ſagte Gackeleia, und weinte. Gockel aber ſprach: „wol¬ len wir dabei an irgend etwas denken, was uns vor Ueber¬ muth bewahrt, ſo iſt das gut. Hier aber ſteht die goldene Henne nur als ein altes Familienkleinod, das ich ſelbſt zum erſtenmal ſehe; dort auf meinem Waſchtiſch wird wohl der goldene Hahn ſtehen.“ — Da deckte Gockel auf ſeinem Waſch¬ tiſch das Gefaͤß auf, und wirklich ſtand das Bild Alektryos von Gold in groͤßter Vollkommenheit da. — Sie waren Alle ganz erſtaunt.
Gockel aber ſprach weiter: „du wirſt dich erinnern, Frau Hinkel, daß in unſrer Familie ein altes Sprichwort iſt, der goldne Hahn kraͤht nicht mehr, die goldne Henne legt nicht mehr, um unſre Verarmung anzudeuten. Das bezieht ſich auf dieſe beiden unſchaͤtzbaren Kunſtwerke, die lange in dem Schatze der Kapelle zu Gockelsruh bewahrt wurden. Als aber die Franzoſen ihre angeblichen Rechte auf alle Hahnen geltend machten, weil in dem wohl anatomirten Gehirn je¬ des Hahns ihr Wappen, naͤmlich das Bild einer Lilie zu
6 *
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0117"n="83"/><p>Auf der kryſtallenen Platte des Tiſches ſtand Waſch¬<lb/>
becken und Kanne von gleichem Stoff, man konnte ſie ſo oft<lb/>
man wollte bei dem Delphin unter dem Tiſche fuͤllen; hin¬<lb/>
ter dem Waſchbecken war etwas Hohes mit einem feinſten<lb/>
weißen Tuche bedeckt. —„Was iſt nur das?“—ſagte<lb/>
Frau Hinkel und zog das Tuch weg, — aber Alle wurden<lb/>ſtill und ernſt, als ſie ſahen, was es war; denn es war das<lb/>
Bild einer Gluckhenne auf dem Neſte ſitzend mit ausgebrei¬<lb/>
teten Fluͤgeln und uͤber Huͤhnchen bruͤtend, die hie und da<lb/>
die Koͤpfchen hervorſtreckten; Alles von Gold und Silber,<lb/>
auf das natuͤrlichſte kunſtreich ausgearbeitet; die Augen<lb/>
waren alle von Edelſteinen und die Kaͤmme von Rubinen!</p><lb/><p>„Ach!“ſagte Frau Hinkel, „das iſt wohl eine ernſte<lb/>
Erinnerung, das kann uns wohl demuͤthigen; ſieh Gackeleia,<lb/>
da iſt das Bild der Gallina, wie ſie leibte und lebte, da<lb/>
koͤnnen wir an die betruͤbte Geſchichte denken!“—„Ach ja,“<lb/>ſagte Gackeleia, und weinte. Gockel aber ſprach: „wol¬<lb/>
len wir dabei an irgend etwas denken, was uns vor Ueber¬<lb/>
muth bewahrt, ſo iſt das gut. Hier aber ſteht die goldene<lb/>
Henne nur als ein altes Familienkleinod, das ich ſelbſt zum<lb/>
erſtenmal ſehe; dort auf meinem Waſchtiſch wird wohl der<lb/>
goldene Hahn ſtehen.“— Da deckte Gockel auf ſeinem Waſch¬<lb/>
tiſch das Gefaͤß auf, und wirklich ſtand das Bild Alektryos<lb/>
von Gold in groͤßter Vollkommenheit da. — Sie waren Alle<lb/>
ganz erſtaunt.</p><lb/><p>Gockel aber ſprach weiter: „du wirſt dich erinnern, Frau<lb/>
Hinkel, daß in unſrer Familie ein altes Sprichwort iſt, der<lb/>
goldne Hahn kraͤht nicht mehr, die goldne Henne legt nicht<lb/>
mehr, um unſre Verarmung anzudeuten. Das bezieht ſich<lb/>
auf dieſe beiden unſchaͤtzbaren Kunſtwerke, die lange in dem<lb/>
Schatze der Kapelle zu Gockelsruh bewahrt wurden. Als<lb/>
aber die Franzoſen ihre angeblichen Rechte auf alle Hahnen<lb/>
geltend machten, weil in dem wohl anatomirten Gehirn je¬<lb/>
des Hahns ihr Wappen, naͤmlich das Bild einer Lilie zu<lb/><fwplace="bottom"type="sig">6 *<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[83/0117]
Auf der kryſtallenen Platte des Tiſches ſtand Waſch¬
becken und Kanne von gleichem Stoff, man konnte ſie ſo oft
man wollte bei dem Delphin unter dem Tiſche fuͤllen; hin¬
ter dem Waſchbecken war etwas Hohes mit einem feinſten
weißen Tuche bedeckt. — „Was iſt nur das?“ — ſagte
Frau Hinkel und zog das Tuch weg, — aber Alle wurden
ſtill und ernſt, als ſie ſahen, was es war; denn es war das
Bild einer Gluckhenne auf dem Neſte ſitzend mit ausgebrei¬
teten Fluͤgeln und uͤber Huͤhnchen bruͤtend, die hie und da
die Koͤpfchen hervorſtreckten; Alles von Gold und Silber,
auf das natuͤrlichſte kunſtreich ausgearbeitet; die Augen
waren alle von Edelſteinen und die Kaͤmme von Rubinen!
„Ach!“ ſagte Frau Hinkel, „das iſt wohl eine ernſte
Erinnerung, das kann uns wohl demuͤthigen; ſieh Gackeleia,
da iſt das Bild der Gallina, wie ſie leibte und lebte, da
koͤnnen wir an die betruͤbte Geſchichte denken!“— „Ach ja,“
ſagte Gackeleia, und weinte. Gockel aber ſprach: „wol¬
len wir dabei an irgend etwas denken, was uns vor Ueber¬
muth bewahrt, ſo iſt das gut. Hier aber ſteht die goldene
Henne nur als ein altes Familienkleinod, das ich ſelbſt zum
erſtenmal ſehe; dort auf meinem Waſchtiſch wird wohl der
goldene Hahn ſtehen.“ — Da deckte Gockel auf ſeinem Waſch¬
tiſch das Gefaͤß auf, und wirklich ſtand das Bild Alektryos
von Gold in groͤßter Vollkommenheit da. — Sie waren Alle
ganz erſtaunt.
Gockel aber ſprach weiter: „du wirſt dich erinnern, Frau
Hinkel, daß in unſrer Familie ein altes Sprichwort iſt, der
goldne Hahn kraͤht nicht mehr, die goldne Henne legt nicht
mehr, um unſre Verarmung anzudeuten. Das bezieht ſich
auf dieſe beiden unſchaͤtzbaren Kunſtwerke, die lange in dem
Schatze der Kapelle zu Gockelsruh bewahrt wurden. Als
aber die Franzoſen ihre angeblichen Rechte auf alle Hahnen
geltend machten, weil in dem wohl anatomirten Gehirn je¬
des Hahns ihr Wappen, naͤmlich das Bild einer Lilie zu
6 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/117>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.