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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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Auf der krystallenen Platte des Tisches stand Wasch¬
becken und Kanne von gleichem Stoff, man konnte sie so oft
man wollte bei dem Delphin unter dem Tische füllen; hin¬
ter dem Waschbecken war etwas Hohes mit einem feinsten
weißen Tuche bedeckt. -- "Was ist nur das?" -- sagte
Frau Hinkel und zog das Tuch weg, -- aber Alle wurden
still und ernst, als sie sahen, was es war; denn es war das
Bild einer Gluckhenne auf dem Neste sitzend mit ausgebrei¬
teten Flügeln und über Hühnchen brütend, die hie und da
die Köpfchen hervorstreckten; Alles von Gold und Silber,
auf das natürlichste kunstreich ausgearbeitet; die Augen
waren alle von Edelsteinen und die Kämme von Rubinen!

"Ach!" sagte Frau Hinkel, "das ist wohl eine ernste
Erinnerung, das kann uns wohl demüthigen; sieh Gackeleia,
da ist das Bild der Gallina, wie sie leibte und lebte, da
können wir an die betrübte Geschichte denken!"-- "Ach ja,"
sagte Gackeleia, und weinte. Gockel aber sprach: "wol¬
len wir dabei an irgend etwas denken, was uns vor Ueber¬
muth bewahrt, so ist das gut. Hier aber steht die goldene
Henne nur als ein altes Familienkleinod, das ich selbst zum
erstenmal sehe; dort auf meinem Waschtisch wird wohl der
goldene Hahn stehen." -- Da deckte Gockel auf seinem Wasch¬
tisch das Gefäß auf, und wirklich stand das Bild Alektryos
von Gold in größter Vollkommenheit da. -- Sie waren Alle
ganz erstaunt.

Gockel aber sprach weiter: "du wirst dich erinnern, Frau
Hinkel, daß in unsrer Familie ein altes Sprichwort ist, der
goldne Hahn kräht nicht mehr, die goldne Henne legt nicht
mehr, um unsre Verarmung anzudeuten. Das bezieht sich
auf diese beiden unschätzbaren Kunstwerke, die lange in dem
Schatze der Kapelle zu Gockelsruh bewahrt wurden. Als
aber die Franzosen ihre angeblichen Rechte auf alle Hahnen
geltend machten, weil in dem wohl anatomirten Gehirn je¬
des Hahns ihr Wappen, nämlich das Bild einer Lilie zu

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Auf der kryſtallenen Platte des Tiſches ſtand Waſch¬
becken und Kanne von gleichem Stoff, man konnte ſie ſo oft
man wollte bei dem Delphin unter dem Tiſche fuͤllen; hin¬
ter dem Waſchbecken war etwas Hohes mit einem feinſten
weißen Tuche bedeckt. — „Was iſt nur das?“ — ſagte
Frau Hinkel und zog das Tuch weg, — aber Alle wurden
ſtill und ernſt, als ſie ſahen, was es war; denn es war das
Bild einer Gluckhenne auf dem Neſte ſitzend mit ausgebrei¬
teten Fluͤgeln und uͤber Huͤhnchen bruͤtend, die hie und da
die Koͤpfchen hervorſtreckten; Alles von Gold und Silber,
auf das natuͤrlichſte kunſtreich ausgearbeitet; die Augen
waren alle von Edelſteinen und die Kaͤmme von Rubinen!

„Ach!“ ſagte Frau Hinkel, „das iſt wohl eine ernſte
Erinnerung, das kann uns wohl demuͤthigen; ſieh Gackeleia,
da iſt das Bild der Gallina, wie ſie leibte und lebte, da
koͤnnen wir an die betruͤbte Geſchichte denken!“— „Ach ja,“
ſagte Gackeleia, und weinte. Gockel aber ſprach: „wol¬
len wir dabei an irgend etwas denken, was uns vor Ueber¬
muth bewahrt, ſo iſt das gut. Hier aber ſteht die goldene
Henne nur als ein altes Familienkleinod, das ich ſelbſt zum
erſtenmal ſehe; dort auf meinem Waſchtiſch wird wohl der
goldene Hahn ſtehen.“ — Da deckte Gockel auf ſeinem Waſch¬
tiſch das Gefaͤß auf, und wirklich ſtand das Bild Alektryos
von Gold in groͤßter Vollkommenheit da. — Sie waren Alle
ganz erſtaunt.

Gockel aber ſprach weiter: „du wirſt dich erinnern, Frau
Hinkel, daß in unſrer Familie ein altes Sprichwort iſt, der
goldne Hahn kraͤht nicht mehr, die goldne Henne legt nicht
mehr, um unſre Verarmung anzudeuten. Das bezieht ſich
auf dieſe beiden unſchaͤtzbaren Kunſtwerke, die lange in dem
Schatze der Kapelle zu Gockelsruh bewahrt wurden. Als
aber die Franzoſen ihre angeblichen Rechte auf alle Hahnen
geltend machten, weil in dem wohl anatomirten Gehirn je¬
des Hahns ihr Wappen, naͤmlich das Bild einer Lilie zu

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[83/0117] Auf der kryſtallenen Platte des Tiſches ſtand Waſch¬ becken und Kanne von gleichem Stoff, man konnte ſie ſo oft man wollte bei dem Delphin unter dem Tiſche fuͤllen; hin¬ ter dem Waſchbecken war etwas Hohes mit einem feinſten weißen Tuche bedeckt. — „Was iſt nur das?“ — ſagte Frau Hinkel und zog das Tuch weg, — aber Alle wurden ſtill und ernſt, als ſie ſahen, was es war; denn es war das Bild einer Gluckhenne auf dem Neſte ſitzend mit ausgebrei¬ teten Fluͤgeln und uͤber Huͤhnchen bruͤtend, die hie und da die Koͤpfchen hervorſtreckten; Alles von Gold und Silber, auf das natuͤrlichſte kunſtreich ausgearbeitet; die Augen waren alle von Edelſteinen und die Kaͤmme von Rubinen! „Ach!“ ſagte Frau Hinkel, „das iſt wohl eine ernſte Erinnerung, das kann uns wohl demuͤthigen; ſieh Gackeleia, da iſt das Bild der Gallina, wie ſie leibte und lebte, da koͤnnen wir an die betruͤbte Geſchichte denken!“— „Ach ja,“ ſagte Gackeleia, und weinte. Gockel aber ſprach: „wol¬ len wir dabei an irgend etwas denken, was uns vor Ueber¬ muth bewahrt, ſo iſt das gut. Hier aber ſteht die goldene Henne nur als ein altes Familienkleinod, das ich ſelbſt zum erſtenmal ſehe; dort auf meinem Waſchtiſch wird wohl der goldene Hahn ſtehen.“ — Da deckte Gockel auf ſeinem Waſch¬ tiſch das Gefaͤß auf, und wirklich ſtand das Bild Alektryos von Gold in groͤßter Vollkommenheit da. — Sie waren Alle ganz erſtaunt. Gockel aber ſprach weiter: „du wirſt dich erinnern, Frau Hinkel, daß in unſrer Familie ein altes Sprichwort iſt, der goldne Hahn kraͤht nicht mehr, die goldne Henne legt nicht mehr, um unſre Verarmung anzudeuten. Das bezieht ſich auf dieſe beiden unſchaͤtzbaren Kunſtwerke, die lange in dem Schatze der Kapelle zu Gockelsruh bewahrt wurden. Als aber die Franzoſen ihre angeblichen Rechte auf alle Hahnen geltend machten, weil in dem wohl anatomirten Gehirn je¬ des Hahns ihr Wappen, naͤmlich das Bild einer Lilie zu 6 *

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/117>, abgerufen am 24.11.2024.