borgte hundert Gockeld'ors von ihm, worauf das Ganze mit einem grossen Volksfeste beschlossen wurde.
So lebten Gockel und die Seinigen beinah ein Jahr in einer ganz ungemeinen irdischen Glückseligkeit zu Gelnhausen, und der König war so gut Freund mit ihm und seiner vor¬ trefflichen Küche und seinem unerschöpflichen Geldbeutel, und alle Einwohner des Landes hatten ihn seiner grossen Frei¬ gebigkeit wegen so lieb, daß man eigentlich gar nicht mehr unterscheiden konnte, wer der König von Gelnhausen war, Gockel oder Eifrasius. Auch wurde es unter beiden fest be¬ schlossen, daß einstens Gackeleia die Gemahlin des Erbprin¬ zen Kronovus werden und an seiner Seite den Thron von Gelnhausen besteigen sollte. Aber der Mensch denkt und Gott lenkt, und so kamen auch über diese guten Leute noch manche Schicksale, an die sie gar nicht gedacht hatten.
Alles hatte die kleine Gackeleia in vollem Ueberfluß, nur keine Puppe; denn Gockel bestand streng auf dem Ver¬ bot, das er über sie bei dem Tode des Alektryo hatte er¬ gehen lassen, sie sollte zur Strafe niemals eine Puppe haben. Wenn sie nun um Weihnachten oder am St. Niklastage alle Mägdlein in Gelnhausen mit schönen neuen Puppen herum¬ ziehen sah, war sie gar betrübt und weinte oft im Stillen; eine solche Sehnsucht hatte sie nach einer Puppe. Merkte der alte Gockel aber, daß Gackeleia, die er wie seinen Aug¬ apfel liebte, so traurig war, so that er ihr Alles zu lieb, um sie zu trösten, zeigte ihr die schönsten Bilderbücher, er¬ zählte ihr die wunderbarsten Mährchen, ja er gab ihr auch wohl manchmal den köstlichen Ring Salomonis in die Hän¬ de, der mit seinem funkelnden Smaragd und den wunderba¬ ren Zügen, die darauf eingeschnitten waren, alle Augen er¬ quickte, die ihn anschauten.
Einstens gieng nun Gackeleia in ihrem kleinen Gärt¬ chen spazieren, welches am Ende des Schloßgartens, dicht an der Landstraße lag. Da waren die zierlichsten Beete voll
borgte hundert Gockeld'ors von ihm, worauf das Ganze mit einem groſſen Volksfeſte beſchloſſen wurde.
So lebten Gockel und die Seinigen beinah ein Jahr in einer ganz ungemeinen irdiſchen Gluͤckſeligkeit zu Gelnhauſen, und der Koͤnig war ſo gut Freund mit ihm und ſeiner vor¬ trefflichen Kuͤche und ſeinem unerſchoͤpflichen Geldbeutel, und alle Einwohner des Landes hatten ihn ſeiner groſſen Frei¬ gebigkeit wegen ſo lieb, daß man eigentlich gar nicht mehr unterſcheiden konnte, wer der Koͤnig von Gelnhauſen war, Gockel oder Eifraſius. Auch wurde es unter beiden feſt be¬ ſchloſſen, daß einſtens Gackeleia die Gemahlin des Erbprin¬ zen Kronovus werden und an ſeiner Seite den Thron von Gelnhauſen beſteigen ſollte. Aber der Menſch denkt und Gott lenkt, und ſo kamen auch uͤber dieſe guten Leute noch manche Schickſale, an die ſie gar nicht gedacht hatten.
Alles hatte die kleine Gackeleia in vollem Ueberfluß, nur keine Puppe; denn Gockel beſtand ſtreng auf dem Ver¬ bot, das er uͤber ſie bei dem Tode des Alektryo hatte er¬ gehen laſſen, ſie ſollte zur Strafe niemals eine Puppe haben. Wenn ſie nun um Weihnachten oder am St. Niklastage alle Maͤgdlein in Gelnhauſen mit ſchoͤnen neuen Puppen herum¬ ziehen ſah, war ſie gar betruͤbt und weinte oft im Stillen; eine ſolche Sehnſucht hatte ſie nach einer Puppe. Merkte der alte Gockel aber, daß Gackeleia, die er wie ſeinen Aug¬ apfel liebte, ſo traurig war, ſo that er ihr Alles zu lieb, um ſie zu troͤſten, zeigte ihr die ſchoͤnſten Bilderbuͤcher, er¬ zaͤhlte ihr die wunderbarſten Maͤhrchen, ja er gab ihr auch wohl manchmal den koͤſtlichen Ring Salomonis in die Haͤn¬ de, der mit ſeinem funkelnden Smaragd und den wunderba¬ ren Zuͤgen, die darauf eingeſchnitten waren, alle Augen er¬ quickte, die ihn anſchauten.
Einſtens gieng nun Gackeleia in ihrem kleinen Gaͤrt¬ chen ſpazieren, welches am Ende des Schloßgartens, dicht an der Landſtraße lag. Da waren die zierlichſten Beete voll
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borgte hundert Gockeld'ors von ihm, worauf das Ganze mit
einem groſſen Volksfeſte beſchloſſen wurde.
So lebten Gockel und die Seinigen beinah ein Jahr in
einer ganz ungemeinen irdiſchen Gluͤckſeligkeit zu Gelnhauſen,
und der Koͤnig war ſo gut Freund mit ihm und ſeiner vor¬
trefflichen Kuͤche und ſeinem unerſchoͤpflichen Geldbeutel, und
alle Einwohner des Landes hatten ihn ſeiner groſſen Frei¬
gebigkeit wegen ſo lieb, daß man eigentlich gar nicht mehr
unterſcheiden konnte, wer der Koͤnig von Gelnhauſen war,
Gockel oder Eifraſius. Auch wurde es unter beiden feſt be¬
ſchloſſen, daß einſtens Gackeleia die Gemahlin des Erbprin¬
zen Kronovus werden und an ſeiner Seite den Thron von
Gelnhauſen beſteigen ſollte. Aber der Menſch denkt und
Gott lenkt, und ſo kamen auch uͤber dieſe guten Leute noch
manche Schickſale, an die ſie gar nicht gedacht hatten.
Alles hatte die kleine Gackeleia in vollem Ueberfluß,
nur keine Puppe; denn Gockel beſtand ſtreng auf dem Ver¬
bot, das er uͤber ſie bei dem Tode des Alektryo hatte er¬
gehen laſſen, ſie ſollte zur Strafe niemals eine Puppe haben.
Wenn ſie nun um Weihnachten oder am St. Niklastage alle
Maͤgdlein in Gelnhauſen mit ſchoͤnen neuen Puppen herum¬
ziehen ſah, war ſie gar betruͤbt und weinte oft im Stillen;
eine ſolche Sehnſucht hatte ſie nach einer Puppe. Merkte
der alte Gockel aber, daß Gackeleia, die er wie ſeinen Aug¬
apfel liebte, ſo traurig war, ſo that er ihr Alles zu lieb,
um ſie zu troͤſten, zeigte ihr die ſchoͤnſten Bilderbuͤcher, er¬
zaͤhlte ihr die wunderbarſten Maͤhrchen, ja er gab ihr auch
wohl manchmal den koͤſtlichen Ring Salomonis in die Haͤn¬
de, der mit ſeinem funkelnden Smaragd und den wunderba¬
ren Zuͤgen, die darauf eingeſchnitten waren, alle Augen er¬
quickte, die ihn anſchauten.
Einſtens gieng nun Gackeleia in ihrem kleinen Gaͤrt¬
chen ſpazieren, welches am Ende des Schloßgartens, dicht
an der Landſtraße lag. Da waren die zierlichſten Beete voll
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/130>, abgerufen am 21.11.2024.
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