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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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schönen Träume und vor Allem ihre artigen Vorderpföt¬
chen. -- Sissi, blind für alle diese Vorzüge, sagte: "Vor¬
derpfötchen! es ist mir schier lächerlich! in allen Naturge¬
schichten steht von den Murmelthieren: ihre Vorderfüße ha¬
ben vier Zehen und einen sehr kurzen Daumen, die Hinter¬
füße fünf; aber, daß dieses schön sey, das steht nirgends! --
Wie mag sie sich nur eine Maus nennen? ihrer Größe nach
könnte sie eben so gut Bergbär als Bergmaus heißen; diese
Marquise Marmotte hat einen großen, runden Kopf, Nase und
Lippen wie ein Hase, Haare und Klauen wie ein Dachs, un¬
bedeckte Zähne wie ein Biber, einen Schnurbart wie eine
Katze, Augen wie ein Siebenschläfer, Pfoten wie ein Bär, einen
kurzen Schweif und gestutzte Ohren. Wenn man ihr schön
thut, so knurrt sie wie ein Hündchen. Was ist Schönes
hieran? ihr Tanzen und Purzeln ist ihr von dem Sa¬
voyarden mit Hunger und Schlägen eingequält, und schläft
man, wie sie, vom Oktober bis in den April, so hat man
allerdings Zeit, sich etwas Schönes träumen zu lassen."

Jene, welche ich in der Prozession so viel umherschauen
und untereinander plaudern gesehen, waren die Abgesandten
von mancherlei fremden und ausländischen Mäusegeschlechtern
und Arten, welche sich hier am Hofe befinden, Bündnisse
abzuschließen, Gratulationen abzustatten und sich Erfahrun¬
gen mitzutheilen, wie den Katzen, Eulen, Geiern und an¬
dern Mäusefeinden zu entgehen sey, auch theilten sie sich
Warnungen vor gelegtem Gift und Gegenmittel und Nach¬
richten von neu erfundenen Mausfallen mit. Eine unter
diesen Standespersonen hatte der Prinzeß Sissi ganz beson¬
ders gefallen, er war mit einem Schiffe über See sehr weit
her, von den Autillen gekommen, um zu hohen und allerhöch¬
sten wohlthätigen Zwecken eine Collekte zu machen, er hatte
die Gestalt einer großen Ratte, trug einen schwarzen Frack
und weiße Unterkleider. Er hieß Herr Piloris, und Sissi be¬
hauptete, er habe durch seinen Moschusgeruch die ganze Pro¬

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ſchoͤnen Traͤume und vor Allem ihre artigen Vorderpfoͤt¬
chen. — Siſſi, blind fuͤr alle dieſe Vorzuͤge, ſagte: „Vor¬
derpfoͤtchen! es iſt mir ſchier laͤcherlich! in allen Naturge¬
ſchichten ſteht von den Murmelthieren: ihre Vorderfuͤße ha¬
ben vier Zehen und einen ſehr kurzen Daumen, die Hinter¬
fuͤße fuͤnf; aber, daß dieſes ſchoͤn ſey, das ſteht nirgends! —
Wie mag ſie ſich nur eine Maus nennen? ihrer Groͤße nach
koͤnnte ſie eben ſo gut Bergbaͤr als Bergmaus heißen; dieſe
Marquiſe Marmotte hat einen großen, runden Kopf, Naſe und
Lippen wie ein Haſe, Haare und Klauen wie ein Dachs, un¬
bedeckte Zaͤhne wie ein Biber, einen Schnurbart wie eine
Katze, Augen wie ein Siebenſchlaͤfer, Pfoten wie ein Baͤr, einen
kurzen Schweif und geſtutzte Ohren. Wenn man ihr ſchoͤn
thut, ſo knurrt ſie wie ein Huͤndchen. Was iſt Schoͤnes
hieran? ihr Tanzen und Purzeln iſt ihr von dem Sa¬
voyarden mit Hunger und Schlaͤgen eingequaͤlt, und ſchlaͤft
man, wie ſie, vom Oktober bis in den April, ſo hat man
allerdings Zeit, ſich etwas Schoͤnes traͤumen zu laſſen.“

Jene, welche ich in der Prozeſſion ſo viel umherſchauen
und untereinander plaudern geſehen, waren die Abgeſandten
von mancherlei fremden und auslaͤndiſchen Maͤuſegeſchlechtern
und Arten, welche ſich hier am Hofe befinden, Buͤndniſſe
abzuſchließen, Gratulationen abzuſtatten und ſich Erfahrun¬
gen mitzutheilen, wie den Katzen, Eulen, Geiern und an¬
dern Maͤuſefeinden zu entgehen ſey, auch theilten ſie ſich
Warnungen vor gelegtem Gift und Gegenmittel und Nach¬
richten von neu erfundenen Mausfallen mit. Eine unter
dieſen Standesperſonen hatte der Prinzeß Siſſi ganz beſon¬
ders gefallen, er war mit einem Schiffe uͤber See ſehr weit
her, von den Autillen gekommen, um zu hohen und allerhoͤch¬
ſten wohlthaͤtigen Zwecken eine Collekte zu machen, er hatte
die Geſtalt einer großen Ratte, trug einen ſchwarzen Frack
und weiße Unterkleider. Er hieß Herr Piloris, und Siſſi be¬
hauptete, er habe durch ſeinen Moſchusgeruch die ganze Pro¬

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[163/0211] ſchoͤnen Traͤume und vor Allem ihre artigen Vorderpfoͤt¬ chen. — Siſſi, blind fuͤr alle dieſe Vorzuͤge, ſagte: „Vor¬ derpfoͤtchen! es iſt mir ſchier laͤcherlich! in allen Naturge¬ ſchichten ſteht von den Murmelthieren: ihre Vorderfuͤße ha¬ ben vier Zehen und einen ſehr kurzen Daumen, die Hinter¬ fuͤße fuͤnf; aber, daß dieſes ſchoͤn ſey, das ſteht nirgends! — Wie mag ſie ſich nur eine Maus nennen? ihrer Groͤße nach koͤnnte ſie eben ſo gut Bergbaͤr als Bergmaus heißen; dieſe Marquiſe Marmotte hat einen großen, runden Kopf, Naſe und Lippen wie ein Haſe, Haare und Klauen wie ein Dachs, un¬ bedeckte Zaͤhne wie ein Biber, einen Schnurbart wie eine Katze, Augen wie ein Siebenſchlaͤfer, Pfoten wie ein Baͤr, einen kurzen Schweif und geſtutzte Ohren. Wenn man ihr ſchoͤn thut, ſo knurrt ſie wie ein Huͤndchen. Was iſt Schoͤnes hieran? ihr Tanzen und Purzeln iſt ihr von dem Sa¬ voyarden mit Hunger und Schlaͤgen eingequaͤlt, und ſchlaͤft man, wie ſie, vom Oktober bis in den April, ſo hat man allerdings Zeit, ſich etwas Schoͤnes traͤumen zu laſſen.“ Jene, welche ich in der Prozeſſion ſo viel umherſchauen und untereinander plaudern geſehen, waren die Abgeſandten von mancherlei fremden und auslaͤndiſchen Maͤuſegeſchlechtern und Arten, welche ſich hier am Hofe befinden, Buͤndniſſe abzuſchließen, Gratulationen abzuſtatten und ſich Erfahrun¬ gen mitzutheilen, wie den Katzen, Eulen, Geiern und an¬ dern Maͤuſefeinden zu entgehen ſey, auch theilten ſie ſich Warnungen vor gelegtem Gift und Gegenmittel und Nach¬ richten von neu erfundenen Mausfallen mit. Eine unter dieſen Standesperſonen hatte der Prinzeß Siſſi ganz beſon¬ ders gefallen, er war mit einem Schiffe uͤber See ſehr weit her, von den Autillen gekommen, um zu hohen und allerhoͤch¬ ſten wohlthaͤtigen Zwecken eine Collekte zu machen, er hatte die Geſtalt einer großen Ratte, trug einen ſchwarzen Frack und weiße Unterkleider. Er hieß Herr Piloris, und Siſſi be¬ hauptete, er habe durch ſeinen Moſchusgeruch die ganze Pro¬ 11 *

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/211>, abgerufen am 21.11.2024.