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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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die Roße voraus, ich geleitete sie eine Strecke in den Wald.
Klareta folgte still in einiger Entfernung, ich redete mit
Jakob von Guise. Als die Stelle da war, wo die Roße
ihrer harrten, und ich bereits allen die Hände geboten hat¬
te, wendete ich mich auf dem Punkte zu scheiden, zu Klareta
und fragte: "wo warst du dann geblieben?" -- Sie sprach:
"ich überdachte Alles, was wir in diesen Tagen erlebt und
was du erfahren und betete in deine Fußstapfen, gedenke
des Traumes!" dann warfen sich die drei Schwestern auf
die Kniee, dankten und reisten von dannen. Ich eilte aber
nach Haus, denn bei den Worten Klaretas: "gedenke des
Traumes," fiel mir ein, daß ich die verflossene Nacht viel
von der amaranthseidenen Decke von Hennegau geträumt
hatte, welche zu dem Brautschatz meiner Mutter gehörte
und auch über ihr Paradebett gebreitet gewesen ist. Was
ich von dieser Decke geträumt, wußte ich nicht mehr, aber
die Mahnung Verenas bei ihrem Abschied, ich solle beson¬
ders auf die Decke achten, und die Stimme des frommen
Hühnleins bei dieser Mahnung fielen mir gar sorglich auf
das Herz. -- Ich war in Sorgen um die Decke, ich erin¬
nerte mich nicht, die Decke gestern Abends bei dem Einräu¬
men des Geräthes an der gewöhnlichen Stelle im Schranke
gesehen zu haben. Ich war gestern so gestört durch die vie¬
len Erfahrungen. Ich eilte schnell nach Haus und war so
voll Sorge um die Decke, daß ich die mich begleitende Kam¬
merfrau nicht zu fragen wagte, ob sie die Decke gesehen. --
Im Schloße durchsuchte ich alle Schränke und Behälter --
die Decke fand sich nicht. -- Das machte mich ungemein
traurig. Diese Decke war mir immer das rührendste unter
all meinem Besitze gewesen; ich hatte die bleiche erhabene
Gestalt meiner Mutter zum letzenmale auf ihr erblickt. Sie
war eine Art Schatz in der Familie, es hingen allerlei
Weissagungen mit ihr zusammen, die mir nie ganz eröffnet
wurden. Die Mutter hat mir sie oft gezeigt, ja sie hat sie

die Roße voraus, ich geleitete ſie eine Strecke in den Wald.
Klareta folgte ſtill in einiger Entfernung, ich redete mit
Jakob von Guiſe. Als die Stelle da war, wo die Roße
ihrer harrten, und ich bereits allen die Haͤnde geboten hat¬
te, wendete ich mich auf dem Punkte zu ſcheiden, zu Klareta
und fragte: „wo warſt du dann geblieben?“ — Sie ſprach:
„ich uͤberdachte Alles, was wir in dieſen Tagen erlebt und
was du erfahren und betete in deine Fußſtapfen, gedenke
des Traumes!“ dann warfen ſich die drei Schweſtern auf
die Kniee, dankten und reiſten von dannen. Ich eilte aber
nach Haus, denn bei den Worten Klaretas: „gedenke des
Traumes,“ fiel mir ein, daß ich die verfloſſene Nacht viel
von der amaranthſeidenen Decke von Hennegau getraͤumt
hatte, welche zu dem Brautſchatz meiner Mutter gehoͤrte
und auch uͤber ihr Paradebett gebreitet geweſen iſt. Was
ich von dieſer Decke getraͤumt, wußte ich nicht mehr, aber
die Mahnung Verenas bei ihrem Abſchied, ich ſolle beſon¬
ders auf die Decke achten, und die Stimme des frommen
Huͤhnleins bei dieſer Mahnung fielen mir gar ſorglich auf
das Herz. — Ich war in Sorgen um die Decke, ich erin¬
nerte mich nicht, die Decke geſtern Abends bei dem Einraͤu¬
men des Geraͤthes an der gewoͤhnlichen Stelle im Schranke
geſehen zu haben. Ich war geſtern ſo geſtoͤrt durch die vie¬
len Erfahrungen. Ich eilte ſchnell nach Haus und war ſo
voll Sorge um die Decke, daß ich die mich begleitende Kam¬
merfrau nicht zu fragen wagte, ob ſie die Decke geſehen. —
Im Schloße durchſuchte ich alle Schraͤnke und Behaͤlter —
die Decke fand ſich nicht. — Das machte mich ungemein
traurig. Dieſe Decke war mir immer das ruͤhrendſte unter
all meinem Beſitze geweſen; ich hatte die bleiche erhabene
Geſtalt meiner Mutter zum letzenmale auf ihr erblickt. Sie
war eine Art Schatz in der Familie, es hingen allerlei
Weiſſagungen mit ihr zuſammen, die mir nie ganz eroͤffnet
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[318/0372] die Roße voraus, ich geleitete ſie eine Strecke in den Wald. Klareta folgte ſtill in einiger Entfernung, ich redete mit Jakob von Guiſe. Als die Stelle da war, wo die Roße ihrer harrten, und ich bereits allen die Haͤnde geboten hat¬ te, wendete ich mich auf dem Punkte zu ſcheiden, zu Klareta und fragte: „wo warſt du dann geblieben?“ — Sie ſprach: „ich uͤberdachte Alles, was wir in dieſen Tagen erlebt und was du erfahren und betete in deine Fußſtapfen, gedenke des Traumes!“ dann warfen ſich die drei Schweſtern auf die Kniee, dankten und reiſten von dannen. Ich eilte aber nach Haus, denn bei den Worten Klaretas: „gedenke des Traumes,“ fiel mir ein, daß ich die verfloſſene Nacht viel von der amaranthſeidenen Decke von Hennegau getraͤumt hatte, welche zu dem Brautſchatz meiner Mutter gehoͤrte und auch uͤber ihr Paradebett gebreitet geweſen iſt. Was ich von dieſer Decke getraͤumt, wußte ich nicht mehr, aber die Mahnung Verenas bei ihrem Abſchied, ich ſolle beſon¬ ders auf die Decke achten, und die Stimme des frommen Huͤhnleins bei dieſer Mahnung fielen mir gar ſorglich auf das Herz. — Ich war in Sorgen um die Decke, ich erin¬ nerte mich nicht, die Decke geſtern Abends bei dem Einraͤu¬ men des Geraͤthes an der gewoͤhnlichen Stelle im Schranke geſehen zu haben. Ich war geſtern ſo geſtoͤrt durch die vie¬ len Erfahrungen. Ich eilte ſchnell nach Haus und war ſo voll Sorge um die Decke, daß ich die mich begleitende Kam¬ merfrau nicht zu fragen wagte, ob ſie die Decke geſehen. — Im Schloße durchſuchte ich alle Schraͤnke und Behaͤlter — die Decke fand ſich nicht. — Das machte mich ungemein traurig. Dieſe Decke war mir immer das ruͤhrendſte unter all meinem Beſitze geweſen; ich hatte die bleiche erhabene Geſtalt meiner Mutter zum letzenmale auf ihr erblickt. Sie war eine Art Schatz in der Familie, es hingen allerlei Weiſſagungen mit ihr zuſammen, die mir nie ganz eroͤffnet wurden. Die Mutter hat mir ſie oft gezeigt, ja ſie hat ſie

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/372>, abgerufen am 22.11.2024.