Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

es nie wieder vergessen. Dieser Schmuck webte sich in mei¬
ner Kindheit Tags und Nachts in meine Gedanken, ich nannte
ihn den Himmelsgarten. Manches Marienkäferchen ließ ich
durch das Schlüsselloch in die Lade laufen und dachte, wie
wunderglücklich es dadrinnen in dem Himmelsgarten herum¬
irren werde, ja ich selbst wünschte nichts sehnlicher, als mit
ihm hineinschlüpfen zu können, und oft wandelte ich im
Traume in diesen Labyrinthen von zierlichen, kleinen Blumen
umher und erlebte dort die artigsten Geschichten. Als ich
mich einmal ungemein nach dem Anblick dieses Paradieses
sehnte, schlich ich um die Lade und berührte den Deckel --
und sieh da, er war offen und ich öffnete. Die Wunderdinge
lagen vor mir, ich unterlag der Versuchung, ich nahm einen
Theil des Blumenwerks, es war das Bruststück. Mein Herz
pochte, meine bebende Hand irrte weiter suchend zwischen
den sich deckenden Lagen des Besatzes umher, und mich faßte
ein großer Schreck, ich fühlte, als begegne mir eine andere
Hand und schiebe mir einen Ring an den Finger; wie der
Blitz zuckte ich mit der Hand zurück, schlug den Deckel zu
und eilte mit dem Bruststück in meine Kammer und versteckte
es in meinem Bette. -- Ich konnte nicht erwarten, bis ich
zu Bette gieng, ich heftete mir den kleinen Himmelsgarten
im Dunkeln mit Nadeln auf mein Nachtjäckchen. -- Ach,
wohl mit Nadeln, sie stochen mich in der Nacht, ich konnte
nicht ruhen, mein Gewissen stach mich, -- ich hatte zum
ersten Male etwas entwendet, und doch hatte ich diese Tän¬
deleien so lieb, so lieb, mein Herz pochte so laut und bang,
daß ich es hörte. Ich wagte diesen Schmuck nicht zu be¬
rühren, ich zitterte immer, jene Hand möge mir entgegen
kommen mit dem Ringe. Ich entschlief unter Thränen und
träumte immer von dem Himmelsgarten, wie ich darin her¬
umirre, und endlich, daß jene Hand wirklich in der meinen
ruhe; da stachen mich wieder die Nadeln und ich erwachte.
Der Tag schimmerte in die Kammer, die ersten Strahlen

es nie wieder vergeſſen. Dieſer Schmuck webte ſich in mei¬
ner Kindheit Tags und Nachts in meine Gedanken, ich nannte
ihn den Himmelsgarten. Manches Marienkaͤferchen ließ ich
durch das Schluͤſſelloch in die Lade laufen und dachte, wie
wundergluͤcklich es dadrinnen in dem Himmelsgarten herum¬
irren werde, ja ich ſelbſt wuͤnſchte nichts ſehnlicher, als mit
ihm hineinſchluͤpfen zu koͤnnen, und oft wandelte ich im
Traume in dieſen Labyrinthen von zierlichen, kleinen Blumen
umher und erlebte dort die artigſten Geſchichten. Als ich
mich einmal ungemein nach dem Anblick dieſes Paradieſes
ſehnte, ſchlich ich um die Lade und beruͤhrte den Deckel —
und ſieh da, er war offen und ich oͤffnete. Die Wunderdinge
lagen vor mir, ich unterlag der Verſuchung, ich nahm einen
Theil des Blumenwerks, es war das Bruſtſtuͤck. Mein Herz
pochte, meine bebende Hand irrte weiter ſuchend zwiſchen
den ſich deckenden Lagen des Beſatzes umher, und mich faßte
ein großer Schreck, ich fuͤhlte, als begegne mir eine andere
Hand und ſchiebe mir einen Ring an den Finger; wie der
Blitz zuckte ich mit der Hand zuruͤck, ſchlug den Deckel zu
und eilte mit dem Bruſtſtuͤck in meine Kammer und verſteckte
es in meinem Bette. — Ich konnte nicht erwarten, bis ich
zu Bette gieng, ich heftete mir den kleinen Himmelsgarten
im Dunkeln mit Nadeln auf mein Nachtjaͤckchen. — Ach,
wohl mit Nadeln, ſie ſtochen mich in der Nacht, ich konnte
nicht ruhen, mein Gewiſſen ſtach mich, — ich hatte zum
erſten Male etwas entwendet, und doch hatte ich dieſe Taͤn¬
deleien ſo lieb, ſo lieb, mein Herz pochte ſo laut und bang,
daß ich es hoͤrte. Ich wagte dieſen Schmuck nicht zu be¬
ruͤhren, ich zitterte immer, jene Hand moͤge mir entgegen
kommen mit dem Ringe. Ich entſchlief unter Thraͤnen und
traͤumte immer von dem Himmelsgarten, wie ich darin her¬
umirre, und endlich, daß jene Hand wirklich in der meinen
ruhe; da ſtachen mich wieder die Nadeln und ich erwachte.
Der Tag ſchimmerte in die Kammer, die erſten Strahlen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0374" n="320"/>
es nie wieder verge&#x017F;&#x017F;en. Die&#x017F;er Schmuck webte &#x017F;ich in mei¬<lb/>
ner Kindheit Tags und Nachts in meine Gedanken, ich nannte<lb/>
ihn den Himmelsgarten. Manches Marienka&#x0364;ferchen ließ ich<lb/>
durch das Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;elloch in die Lade laufen und dachte, wie<lb/>
wunderglu&#x0364;cklich es dadrinnen in dem Himmelsgarten herum¬<lb/>
irren werde, ja ich &#x017F;elb&#x017F;t wu&#x0364;n&#x017F;chte nichts &#x017F;ehnlicher, als mit<lb/>
ihm hinein&#x017F;chlu&#x0364;pfen zu ko&#x0364;nnen, und oft wandelte ich im<lb/>
Traume in die&#x017F;en Labyrinthen von zierlichen, kleinen Blumen<lb/>
umher und erlebte dort die artig&#x017F;ten Ge&#x017F;chichten. Als ich<lb/>
mich einmal ungemein nach dem Anblick die&#x017F;es Paradie&#x017F;es<lb/>
&#x017F;ehnte, &#x017F;chlich ich um die Lade und beru&#x0364;hrte den Deckel &#x2014;<lb/>
und &#x017F;ieh da, er war offen und ich o&#x0364;ffnete. Die Wunderdinge<lb/>
lagen vor mir, ich unterlag der Ver&#x017F;uchung, ich nahm einen<lb/>
Theil des Blumenwerks, es war das Bru&#x017F;t&#x017F;tu&#x0364;ck. Mein Herz<lb/>
pochte, meine bebende Hand irrte weiter &#x017F;uchend zwi&#x017F;chen<lb/>
den &#x017F;ich deckenden Lagen des Be&#x017F;atzes umher, und mich faßte<lb/>
ein großer Schreck, ich fu&#x0364;hlte, als begegne mir eine andere<lb/>
Hand und &#x017F;chiebe mir einen Ring an den Finger; wie der<lb/>
Blitz zuckte ich mit der Hand zuru&#x0364;ck, &#x017F;chlug den Deckel zu<lb/>
und eilte mit dem Bru&#x017F;t&#x017F;tu&#x0364;ck in meine Kammer und ver&#x017F;teckte<lb/>
es in meinem Bette. &#x2014; Ich konnte nicht erwarten, bis ich<lb/>
zu Bette gieng, ich heftete mir den kleinen Himmelsgarten<lb/>
im Dunkeln mit Nadeln auf mein Nachtja&#x0364;ckchen. &#x2014; Ach,<lb/>
wohl mit Nadeln, &#x017F;ie &#x017F;tochen mich in der Nacht, ich konnte<lb/>
nicht ruhen, mein Gewi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;tach mich, &#x2014; ich hatte zum<lb/>
er&#x017F;ten Male etwas entwendet, und doch hatte ich die&#x017F;e Ta&#x0364;<lb/>
deleien &#x017F;o lieb, &#x017F;o lieb, mein Herz pochte &#x017F;o laut und bang,<lb/>
daß ich es ho&#x0364;rte. Ich wagte die&#x017F;en Schmuck nicht zu be¬<lb/>
ru&#x0364;hren, ich zitterte immer, jene Hand mo&#x0364;ge mir entgegen<lb/>
kommen mit dem Ringe. Ich ent&#x017F;chlief unter Thra&#x0364;nen und<lb/>
tra&#x0364;umte immer von dem Himmelsgarten, wie ich darin her¬<lb/>
umirre, und endlich, daß jene Hand wirklich in der meinen<lb/>
ruhe; da &#x017F;tachen mich wieder die Nadeln und ich erwachte.<lb/>
Der Tag &#x017F;chimmerte in die Kammer, die er&#x017F;ten Strahlen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[320/0374] es nie wieder vergeſſen. Dieſer Schmuck webte ſich in mei¬ ner Kindheit Tags und Nachts in meine Gedanken, ich nannte ihn den Himmelsgarten. Manches Marienkaͤferchen ließ ich durch das Schluͤſſelloch in die Lade laufen und dachte, wie wundergluͤcklich es dadrinnen in dem Himmelsgarten herum¬ irren werde, ja ich ſelbſt wuͤnſchte nichts ſehnlicher, als mit ihm hineinſchluͤpfen zu koͤnnen, und oft wandelte ich im Traume in dieſen Labyrinthen von zierlichen, kleinen Blumen umher und erlebte dort die artigſten Geſchichten. Als ich mich einmal ungemein nach dem Anblick dieſes Paradieſes ſehnte, ſchlich ich um die Lade und beruͤhrte den Deckel — und ſieh da, er war offen und ich oͤffnete. Die Wunderdinge lagen vor mir, ich unterlag der Verſuchung, ich nahm einen Theil des Blumenwerks, es war das Bruſtſtuͤck. Mein Herz pochte, meine bebende Hand irrte weiter ſuchend zwiſchen den ſich deckenden Lagen des Beſatzes umher, und mich faßte ein großer Schreck, ich fuͤhlte, als begegne mir eine andere Hand und ſchiebe mir einen Ring an den Finger; wie der Blitz zuckte ich mit der Hand zuruͤck, ſchlug den Deckel zu und eilte mit dem Bruſtſtuͤck in meine Kammer und verſteckte es in meinem Bette. — Ich konnte nicht erwarten, bis ich zu Bette gieng, ich heftete mir den kleinen Himmelsgarten im Dunkeln mit Nadeln auf mein Nachtjaͤckchen. — Ach, wohl mit Nadeln, ſie ſtochen mich in der Nacht, ich konnte nicht ruhen, mein Gewiſſen ſtach mich, — ich hatte zum erſten Male etwas entwendet, und doch hatte ich dieſe Taͤn¬ deleien ſo lieb, ſo lieb, mein Herz pochte ſo laut und bang, daß ich es hoͤrte. Ich wagte dieſen Schmuck nicht zu be¬ ruͤhren, ich zitterte immer, jene Hand moͤge mir entgegen kommen mit dem Ringe. Ich entſchlief unter Thraͤnen und traͤumte immer von dem Himmelsgarten, wie ich darin her¬ umirre, und endlich, daß jene Hand wirklich in der meinen ruhe; da ſtachen mich wieder die Nadeln und ich erwachte. Der Tag ſchimmerte in die Kammer, die erſten Strahlen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/374
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/374>, abgerufen am 20.05.2024.