streiften über mein Bettchen durch die kleinen Blümchen des geraubten Paradieses zu meinen Augen; ich schaute bang durch die kleinen Blumen gerade vor mich hin, ich wagte nicht links, nicht rechts zu blicken; ich fühlte Etwas schwer auf meinem Herzen, ich war so bang wegen der Hand mit dem Ringe; endlich schob ich meine Hand nach der Stelle, wo mich eine Nadel stach, um diese heraus zu ziehen; -- aber welch ein Schrecken! wirklich faßte eine Hand die mei¬ nige fest und eine Stimme sprach: "halt den Dieb!" -- Mit welcher Angst versteckte ich mich unter die Decke, aber ich war bald losgewickelt und sah zu meinem Troste Verena vor mir. Ein sorglicher Traum hatte sie zu mir geführt. Sie fand mich in fieberhafter Aufregung, sie legte mir die Hand aufs Herz, da begegnete sie meiner Hand und ergriff sie. Sie kannte meine Begierde zu diesem Putze, den ich entwendet, und nahm mir das Paradies wie einen Stein vom Herzen, um es wieder zu verschließen. Ich weinte bit¬ terlich an ihrem Halse um mein Unrecht. -- "Kind," sprach sie, "du hast ein Stückchen Paradies verloren, das mußt du beichten, o sage es selbst der Mutter, sie wird dir gern verzeihen. -- Kind, das fromme Hühnlein weiß Alles;" -- da legte sie mich auf die rechte Seite, ich umarmte sie und flüsterte die gewohnte Frage ihr schluchzend ins Ohr: "was macht das Büblein?" "Es macht sein Sach wieder gut," erwiederte sie, "das thue du auch!" -- da verließ sie mich. -- Erst jetzt, da ich weiß, daß das Büblein für den Ersatz seines Diebstahls büßte, verstehe ich, was Verena damals mit den Worten sagte: "es macht sein Sach wieder gut, das thue du auch!" -- Ich hatte diese Lade seit dem nicht wieder berühret, die liebe Mutter war schon in das wahre Paradies eingegangen, dieses kindische Paradies der Tände¬ lei, dessen Versuchung ich als Kind unterlag, war nun mein Eigenthum, ich hatte es seit dem nicht mehr gesehen. -- Als ich die Lade öffnete, um nach der Decke zu suchen, als ich
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ſtreiften uͤber mein Bettchen durch die kleinen Bluͤmchen des geraubten Paradieſes zu meinen Augen; ich ſchaute bang durch die kleinen Blumen gerade vor mich hin, ich wagte nicht links, nicht rechts zu blicken; ich fuͤhlte Etwas ſchwer auf meinem Herzen, ich war ſo bang wegen der Hand mit dem Ringe; endlich ſchob ich meine Hand nach der Stelle, wo mich eine Nadel ſtach, um dieſe heraus zu ziehen; — aber welch ein Schrecken! wirklich faßte eine Hand die mei¬ nige feſt und eine Stimme ſprach: „halt den Dieb!“ — Mit welcher Angſt verſteckte ich mich unter die Decke, aber ich war bald losgewickelt und ſah zu meinem Troſte Verena vor mir. Ein ſorglicher Traum hatte ſie zu mir gefuͤhrt. Sie fand mich in fieberhafter Aufregung, ſie legte mir die Hand aufs Herz, da begegnete ſie meiner Hand und ergriff ſie. Sie kannte meine Begierde zu dieſem Putze, den ich entwendet, und nahm mir das Paradies wie einen Stein vom Herzen, um es wieder zu verſchließen. Ich weinte bit¬ terlich an ihrem Halſe um mein Unrecht. — „Kind,“ ſprach ſie, „du haſt ein Stuͤckchen Paradies verloren, das mußt du beichten, o ſage es ſelbſt der Mutter, ſie wird dir gern verzeihen. — Kind, das fromme Huͤhnlein weiß Alles;“ — da legte ſie mich auf die rechte Seite, ich umarmte ſie und fluͤſterte die gewohnte Frage ihr ſchluchzend ins Ohr: „was macht das Buͤblein?“ „Es macht ſein Sach wieder gut,“ erwiederte ſie, „das thue du auch!“ — da verließ ſie mich. — Erſt jetzt, da ich weiß, daß das Buͤblein fuͤr den Erſatz ſeines Diebſtahls buͤßte, verſtehe ich, was Verena damals mit den Worten ſagte: „es macht ſein Sach wieder gut, das thue du auch!“ — Ich hatte dieſe Lade ſeit dem nicht wieder beruͤhret, die liebe Mutter war ſchon in das wahre Paradies eingegangen, dieſes kindiſche Paradies der Taͤnde¬ lei, deſſen Verſuchung ich als Kind unterlag, war nun mein Eigenthum, ich hatte es ſeit dem nicht mehr geſehen. — Als ich die Lade oͤffnete, um nach der Decke zu ſuchen, als ich
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ſtreiften uͤber mein Bettchen durch die kleinen Bluͤmchen des
geraubten Paradieſes zu meinen Augen; ich ſchaute bang
durch die kleinen Blumen gerade vor mich hin, ich wagte
nicht links, nicht rechts zu blicken; ich fuͤhlte Etwas ſchwer
auf meinem Herzen, ich war ſo bang wegen der Hand mit
dem Ringe; endlich ſchob ich meine Hand nach der Stelle,
wo mich eine Nadel ſtach, um dieſe heraus zu ziehen; —
aber welch ein Schrecken! wirklich faßte eine Hand die mei¬
nige feſt und eine Stimme ſprach: „halt den Dieb!“ —
Mit welcher Angſt verſteckte ich mich unter die Decke, aber
ich war bald losgewickelt und ſah zu meinem Troſte Verena
vor mir. Ein ſorglicher Traum hatte ſie zu mir gefuͤhrt.
Sie fand mich in fieberhafter Aufregung, ſie legte mir die
Hand aufs Herz, da begegnete ſie meiner Hand und ergriff
ſie. Sie kannte meine Begierde zu dieſem Putze, den ich
entwendet, und nahm mir das Paradies wie einen Stein
vom Herzen, um es wieder zu verſchließen. Ich weinte bit¬
terlich an ihrem Halſe um mein Unrecht. — „Kind,“ ſprach
ſie, „du haſt ein Stuͤckchen Paradies verloren, das mußt
du beichten, o ſage es ſelbſt der Mutter, ſie wird dir gern
verzeihen. — Kind, das fromme Huͤhnlein weiß Alles;“ —
da legte ſie mich auf die rechte Seite, ich umarmte ſie und
fluͤſterte die gewohnte Frage ihr ſchluchzend ins Ohr: „was
macht das Buͤblein?“ „Es macht ſein Sach wieder gut,“
erwiederte ſie, „das thue du auch!“ — da verließ ſie mich. —
Erſt jetzt, da ich weiß, daß das Buͤblein fuͤr den Erſatz
ſeines Diebſtahls buͤßte, verſtehe ich, was Verena damals
mit den Worten ſagte: „es macht ſein Sach wieder gut,
das thue du auch!“ — Ich hatte dieſe Lade ſeit dem nicht
wieder beruͤhret, die liebe Mutter war ſchon in das wahre
Paradies eingegangen, dieſes kindiſche Paradies der Taͤnde¬
lei, deſſen Verſuchung ich als Kind unterlag, war nun mein
Eigenthum, ich hatte es ſeit dem nicht mehr geſehen. — Als
ich die Lade oͤffnete, um nach der Decke zu ſuchen, als ich
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/375>, abgerufen am 21.11.2024.
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