alle die artigen Blümchen wiedersah, kam mir Alles wieder lebhaft in Erinnerung. Ich nahm das amaranthfarbene Brautkrönchen heraus und setzte es auf, ich nahm das Brust¬ stück und steckte mir es vor, ich schob wieder meine Hand zwischen diese Dinge in die Lade; und war es Wahrheit, war es Täuschung? -- Die Hand mit dem Ring begegnete wie¬ der der meinigen -- ich zuckte zurück, wie damals und schlug die Lade zu. -- Ich kam die Zimmer durchirrend auf die Stelle, wo ich mit der Mutter auf der verlornen Decke knieend gebetet hatte, ich sah umher, als könne sie noch da liegen. -- Die untergehende Sonne stand tief am Himmels¬ rand und blickte durch die Fenster herein; ich sah heftig in sie hinein, als wolle ich die rothe Decke in ihr suchen. Da ich aber meine Augen von dem Sonnenfeuer geblendet weg¬ wendete, schwebte nun ein rother Fleck vor meinen Blicken, wohin immer ich auch schaute. Ich ließ meine Augen, als wolle ich diesen rothen Fleck zwischen Gras und Blumen abstreifen, eine Weile über die thauichte Wiese hin und wieder schweifen, welche vor meinem Fenster in den schrägen Strah¬ len der Abendsonne wie ein Schmaragd schimmerte, und sieh da! -- o Freude! ich sah bald einen tiefrothen Fleck darauf funkeln, welcher der Bewegung meiner Augen nicht folgte, sondern fest ruhte. -- Die Decke, die liebe Decke! rief es in meinem Herzen; -- ich schaute schärfer hinaus, sie war es, gewiß, gewiß, der Wind hatte sie wohl von der Bleiche dahin geweht, o wie war ich froh, schon begann ich zu singen:
"Feuerrothe Röselein, Aus der Erde springt der Schein, Aus der Erde dringt der Wein; Roth schwing ich mein Fähnelein."
Schon wollte ich hinab durch den Garten hinauseilen, als mich die Abendglocke unterbrach, man läutete den Engel des Herrn, ich stand still und betete den englischen Gruß,
alle die artigen Bluͤmchen wiederſah, kam mir Alles wieder lebhaft in Erinnerung. Ich nahm das amaranthfarbene Brautkroͤnchen heraus und ſetzte es auf, ich nahm das Bruſt¬ ſtuͤck und ſteckte mir es vor, ich ſchob wieder meine Hand zwiſchen dieſe Dinge in die Lade; und war es Wahrheit, war es Taͤuſchung? — Die Hand mit dem Ring begegnete wie¬ der der meinigen — ich zuckte zuruͤck, wie damals und ſchlug die Lade zu. — Ich kam die Zimmer durchirrend auf die Stelle, wo ich mit der Mutter auf der verlornen Decke knieend gebetet hatte, ich ſah umher, als koͤnne ſie noch da liegen. — Die untergehende Sonne ſtand tief am Himmels¬ rand und blickte durch die Fenſter herein; ich ſah heftig in ſie hinein, als wolle ich die rothe Decke in ihr ſuchen. Da ich aber meine Augen von dem Sonnenfeuer geblendet weg¬ wendete, ſchwebte nun ein rother Fleck vor meinen Blicken, wohin immer ich auch ſchaute. Ich ließ meine Augen, als wolle ich dieſen rothen Fleck zwiſchen Gras und Blumen abſtreifen, eine Weile uͤber die thauichte Wieſe hin und wieder ſchweifen, welche vor meinem Fenſter in den ſchraͤgen Strah¬ len der Abendſonne wie ein Schmaragd ſchimmerte, und ſieh da! — o Freude! ich ſah bald einen tiefrothen Fleck darauf funkeln, welcher der Bewegung meiner Augen nicht folgte, ſondern feſt ruhte. — Die Decke, die liebe Decke! rief es in meinem Herzen; — ich ſchaute ſchaͤrfer hinaus, ſie war es, gewiß, gewiß, der Wind hatte ſie wohl von der Bleiche dahin geweht, o wie war ich froh, ſchon begann ich zu ſingen:
„Feuerrothe Roͤſelein, Aus der Erde ſpringt der Schein, Aus der Erde dringt der Wein; Roth ſchwing ich mein Faͤhnelein.“
Schon wollte ich hinab durch den Garten hinauseilen, als mich die Abendglocke unterbrach, man laͤutete den Engel des Herrn, ich ſtand ſtill und betete den engliſchen Gruß,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0376"n="322"/>
alle die artigen Bluͤmchen wiederſah, kam mir Alles wieder<lb/>
lebhaft in Erinnerung. Ich nahm das amaranthfarbene<lb/>
Brautkroͤnchen heraus und ſetzte es auf, ich nahm das Bruſt¬<lb/>ſtuͤck und ſteckte mir es vor, ich ſchob wieder meine Hand<lb/>
zwiſchen dieſe Dinge in die Lade; und war es Wahrheit, war<lb/>
es Taͤuſchung? — Die Hand mit dem Ring begegnete wie¬<lb/>
der der meinigen — ich zuckte zuruͤck, wie damals und ſchlug<lb/>
die Lade zu. — Ich kam die Zimmer durchirrend auf die<lb/>
Stelle, wo ich mit der Mutter auf der verlornen Decke<lb/>
knieend gebetet hatte, ich ſah umher, als koͤnne ſie noch da<lb/>
liegen. — Die untergehende Sonne ſtand tief am Himmels¬<lb/>
rand und blickte durch die Fenſter herein; ich ſah heftig in<lb/>ſie hinein, als wolle ich die rothe Decke in ihr ſuchen. Da<lb/>
ich aber meine Augen von dem Sonnenfeuer geblendet weg¬<lb/>
wendete, ſchwebte nun ein rother Fleck vor meinen Blicken,<lb/>
wohin immer ich auch ſchaute. Ich ließ meine Augen, als<lb/>
wolle ich dieſen rothen Fleck zwiſchen Gras und Blumen<lb/>
abſtreifen, eine Weile uͤber die thauichte Wieſe hin und wieder<lb/>ſchweifen, welche vor meinem Fenſter in den ſchraͤgen Strah¬<lb/>
len der Abendſonne wie ein Schmaragd ſchimmerte, und ſieh<lb/>
da! — o Freude! ich ſah bald einen tiefrothen Fleck darauf<lb/>
funkeln, welcher der Bewegung meiner Augen nicht folgte,<lb/>ſondern feſt ruhte. — Die Decke, die liebe Decke! rief es<lb/>
in meinem Herzen; — ich ſchaute ſchaͤrfer hinaus, ſie war<lb/>
es, gewiß, gewiß, der Wind hatte ſie wohl von der Bleiche<lb/>
dahin geweht, o wie war ich froh, ſchon begann ich zu<lb/>ſingen:</p><lb/><lgtype="poem"><l>„Feuerrothe Roͤſelein,</l><lb/><l>Aus der Erde ſpringt der Schein,</l><lb/><l>Aus der Erde dringt der Wein;</l><lb/><l>Roth ſchwing ich mein Faͤhnelein.“</l><lb/></lg><p>Schon wollte ich hinab durch den Garten hinauseilen,<lb/>
als mich die Abendglocke unterbrach, man laͤutete den Engel<lb/>
des Herrn, ich ſtand ſtill und betete den engliſchen Gruß,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[322/0376]
alle die artigen Bluͤmchen wiederſah, kam mir Alles wieder
lebhaft in Erinnerung. Ich nahm das amaranthfarbene
Brautkroͤnchen heraus und ſetzte es auf, ich nahm das Bruſt¬
ſtuͤck und ſteckte mir es vor, ich ſchob wieder meine Hand
zwiſchen dieſe Dinge in die Lade; und war es Wahrheit, war
es Taͤuſchung? — Die Hand mit dem Ring begegnete wie¬
der der meinigen — ich zuckte zuruͤck, wie damals und ſchlug
die Lade zu. — Ich kam die Zimmer durchirrend auf die
Stelle, wo ich mit der Mutter auf der verlornen Decke
knieend gebetet hatte, ich ſah umher, als koͤnne ſie noch da
liegen. — Die untergehende Sonne ſtand tief am Himmels¬
rand und blickte durch die Fenſter herein; ich ſah heftig in
ſie hinein, als wolle ich die rothe Decke in ihr ſuchen. Da
ich aber meine Augen von dem Sonnenfeuer geblendet weg¬
wendete, ſchwebte nun ein rother Fleck vor meinen Blicken,
wohin immer ich auch ſchaute. Ich ließ meine Augen, als
wolle ich dieſen rothen Fleck zwiſchen Gras und Blumen
abſtreifen, eine Weile uͤber die thauichte Wieſe hin und wieder
ſchweifen, welche vor meinem Fenſter in den ſchraͤgen Strah¬
len der Abendſonne wie ein Schmaragd ſchimmerte, und ſieh
da! — o Freude! ich ſah bald einen tiefrothen Fleck darauf
funkeln, welcher der Bewegung meiner Augen nicht folgte,
ſondern feſt ruhte. — Die Decke, die liebe Decke! rief es
in meinem Herzen; — ich ſchaute ſchaͤrfer hinaus, ſie war
es, gewiß, gewiß, der Wind hatte ſie wohl von der Bleiche
dahin geweht, o wie war ich froh, ſchon begann ich zu
ſingen:
„Feuerrothe Roͤſelein,
Aus der Erde ſpringt der Schein,
Aus der Erde dringt der Wein;
Roth ſchwing ich mein Faͤhnelein.“
Schon wollte ich hinab durch den Garten hinauseilen,
als mich die Abendglocke unterbrach, man laͤutete den Engel
des Herrn, ich ſtand ſtill und betete den engliſchen Gruß,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/376>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.