Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

derte sich die Entdeckung: daß der junge Mensch die,
als Offizier verkleidete, Schwester Grossingers sey. Der
Herzog ließ den mißhandelten, blutenden, ohnmächtigen
Grossinger in den Wagen legen, die Schwester nahm
keine Rücksicht mehr, sie warf ihren Mantel über ihn;
Jedermann sah sie in weiblicher Kleidung. Der Herzog
war verlegen, aber er sammelte sich, und befahl den
Wagen sogleich umzuwenden, und die Gräfin mit ihrem
Bruder nach ihrer Wohnung zu fahren. Dieses Ereig¬
niß hatte die Wuth der Menge einigermaßen gestillt.
Der Herzog sagte laut zu dem wachthabenden Offizier:
die Gräfin Grossinger hat ihren Bruder an ihrem Hause
vorbei reiten sehen, den Pardon zu bringen und wollte
diesem freudigen Ereigniß beiwohnen; als ich zu demsel¬
ben Zwecke vorüber fuhr, stand sie am Fenster, und bat mich,
sie in meinem Wagen mitzunehmen, ich konnte es dem gut¬
müthigen Kinde nicht abschlagen. Sie nahm einen Man¬
tel und Hut ihres Bruders, um kein Aufsehen zu erre¬
gen, und hat, von dem unglücklichen Zufall überrascht,
die Sache gerade dadurch zu einem abenteuerlichen Skan¬
dal gemacht. Aber wie konnten Sie, Herr Lieutenant,
den unglücklichen Grafen Grossinger nicht vor dem
Pöbel schützen? es ist ein gräßlicher Fall: daß er, mit

derte ſich die Entdeckung: daß der junge Menſch die,
als Offizier verkleidete, Schweſter Groſſingers ſey. Der
Herzog ließ den mißhandelten, blutenden, ohnmächtigen
Groſſinger in den Wagen legen, die Schweſter nahm
keine Rückſicht mehr, ſie warf ihren Mantel über ihn;
Jedermann ſah ſie in weiblicher Kleidung. Der Herzog
war verlegen, aber er ſammelte ſich, und befahl den
Wagen ſogleich umzuwenden, und die Gräfin mit ihrem
Bruder nach ihrer Wohnung zu fahren. Dieſes Ereig¬
niß hatte die Wuth der Menge einigermaßen geſtillt.
Der Herzog ſagte laut zu dem wachthabenden Offizier:
die Gräfin Groſſinger hat ihren Bruder an ihrem Hauſe
vorbei reiten ſehen, den Pardon zu bringen und wollte
dieſem freudigen Ereigniß beiwohnen; als ich zu demſel¬
ben Zwecke vorüber fuhr, ſtand ſie am Fenſter, und bat mich,
ſie in meinem Wagen mitzunehmen, ich konnte es dem gut¬
müthigen Kinde nicht abſchlagen. Sie nahm einen Man¬
tel und Hut ihres Bruders, um kein Aufſehen zu erre¬
gen, und hat, von dem unglücklichen Zufall überraſcht,
die Sache gerade dadurch zu einem abenteuerlichen Skan¬
dal gemacht. Aber wie konnten Sie, Herr Lieutenant,
den unglücklichen Grafen Groſſinger nicht vor dem
Pöbel ſchützen? es iſt ein gräßlicher Fall: daß er, mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0070" n="60"/>
derte &#x017F;ich die Entdeckung: daß der junge Men&#x017F;ch die,<lb/>
als Offizier verkleidete, Schwe&#x017F;ter Gro&#x017F;&#x017F;ingers &#x017F;ey. Der<lb/>
Herzog ließ den mißhandelten, blutenden, ohnmächtigen<lb/>
Gro&#x017F;&#x017F;inger in den Wagen legen, die Schwe&#x017F;ter nahm<lb/>
keine Rück&#x017F;icht mehr, &#x017F;ie warf ihren Mantel über ihn;<lb/>
Jedermann &#x017F;ah &#x017F;ie in weiblicher Kleidung. Der Herzog<lb/>
war verlegen, aber er &#x017F;ammelte &#x017F;ich, und befahl den<lb/>
Wagen &#x017F;ogleich umzuwenden, und die Gräfin mit ihrem<lb/>
Bruder nach ihrer Wohnung zu fahren. Die&#x017F;es Ereig¬<lb/>
niß hatte die Wuth der Menge einigermaßen ge&#x017F;tillt.<lb/>
Der Herzog &#x017F;agte laut zu dem wachthabenden Offizier:<lb/>
die Gräfin Gro&#x017F;&#x017F;inger hat ihren Bruder an ihrem Hau&#x017F;e<lb/>
vorbei reiten &#x017F;ehen, den Pardon zu bringen und wollte<lb/>
die&#x017F;em freudigen Ereigniß beiwohnen; als ich zu dem&#x017F;el¬<lb/>
ben Zwecke vorüber fuhr, &#x017F;tand &#x017F;ie am Fen&#x017F;ter, und bat mich,<lb/>
&#x017F;ie in meinem Wagen mitzunehmen, ich konnte es dem gut¬<lb/>
müthigen Kinde nicht ab&#x017F;chlagen. Sie nahm einen Man¬<lb/>
tel und Hut ihres Bruders, um kein Auf&#x017F;ehen zu erre¬<lb/>
gen, und hat, von dem unglücklichen Zufall überra&#x017F;cht,<lb/>
die Sache gerade dadurch zu einem abenteuerlichen Skan¬<lb/>
dal gemacht. Aber wie konnten Sie, Herr Lieutenant,<lb/>
den unglücklichen Grafen Gro&#x017F;&#x017F;inger nicht vor dem<lb/>
Pöbel &#x017F;chützen? es i&#x017F;t ein gräßlicher Fall: daß er, mit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0070] derte ſich die Entdeckung: daß der junge Menſch die, als Offizier verkleidete, Schweſter Groſſingers ſey. Der Herzog ließ den mißhandelten, blutenden, ohnmächtigen Groſſinger in den Wagen legen, die Schweſter nahm keine Rückſicht mehr, ſie warf ihren Mantel über ihn; Jedermann ſah ſie in weiblicher Kleidung. Der Herzog war verlegen, aber er ſammelte ſich, und befahl den Wagen ſogleich umzuwenden, und die Gräfin mit ihrem Bruder nach ihrer Wohnung zu fahren. Dieſes Ereig¬ niß hatte die Wuth der Menge einigermaßen geſtillt. Der Herzog ſagte laut zu dem wachthabenden Offizier: die Gräfin Groſſinger hat ihren Bruder an ihrem Hauſe vorbei reiten ſehen, den Pardon zu bringen und wollte dieſem freudigen Ereigniß beiwohnen; als ich zu demſel¬ ben Zwecke vorüber fuhr, ſtand ſie am Fenſter, und bat mich, ſie in meinem Wagen mitzunehmen, ich konnte es dem gut¬ müthigen Kinde nicht abſchlagen. Sie nahm einen Man¬ tel und Hut ihres Bruders, um kein Aufſehen zu erre¬ gen, und hat, von dem unglücklichen Zufall überraſcht, die Sache gerade dadurch zu einem abenteuerlichen Skan¬ dal gemacht. Aber wie konnten Sie, Herr Lieutenant, den unglücklichen Grafen Groſſinger nicht vor dem Pöbel ſchützen? es iſt ein gräßlicher Fall: daß er, mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/70
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/70>, abgerufen am 24.11.2024.