Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Betrachtungen der Materie etc.


Der Stoff verheelet sich den allerschärffsten Augen,
Den Klumpen hüllet stets ein Schleyer ein;
Und nur die äuss're Fläch allein,
Kan unser Sinn zu fassen taugen.
Die Kräffte dauren stets, die flüchtige Figur
Verändert sich, verdirbet nur.
Ja könnte sich der Stoff, von allen flücht'gen Decken,
Jn eine nach der anderen verstecken,
So, daß, durch stetiges Verändern und Verkehren,
Der Aend'rung Arten all erschöpffet wären;
So würd' er sich aufs neu zur ersten Art bequemen,
Um die Veränderung noch einmal vorzunehmen.


Man hat auch bey der alten Welt
Jhn unter Proteus Bild uns vorgestellt:
Von welchem die Poeten viel gesungen,
Daß er beständige Gestallten
Nie habe lange Zeit behalten,
Wol aber aus den Banden, die ihn drungen,
Sich selbst befreyt und weggeschwungen.
Bald breitet er sich aus im Fluß, wird eine Fluht;
Bald wird er zur verzehrnden Gluht;
Bald zischt er in| der Lufft, ergrimmten Schlangen gleich;
Bald ist er hart Metall; bald in den Pflanzen weich;
Bis daß er wiederum, erschöpfft von Aenderung,
Jn seiner ersten Form gantz fertig und geneiget
Zu abermahliger Verwandelung,
Sich unsern Augen wieder zeiget.
Man
Betrachtungen der Materie ꝛc.


Der Stoff verheelet ſich den allerſchaͤrffſten Augen,
Den Klumpen huͤllet ſtets ein Schleyer ein;
Und nur die aͤuſſ’re Flaͤch allein,
Kan unſer Sinn zu faſſen taugen.
Die Kraͤffte dauren ſtets, die fluͤchtige Figur
Veraͤndert ſich, verdirbet nur.
Ja koͤnnte ſich der Stoff, von allen fluͤcht’gen Decken,
Jn eine nach der anderen verſtecken,
So, daß, durch ſtetiges Veraͤndern und Verkehren,
Der Aend’rung Arten all erſchoͤpffet waͤren;
So wuͤrd’ er ſich aufs neu zur erſten Art bequemen,
Um die Veraͤnderung noch einmal vorzunehmen.


Man hat auch bey der alten Welt
Jhn unter Proteus Bild uns vorgeſtellt:
Von welchem die Poeten viel geſungen,
Daß er beſtaͤndige Geſtallten
Nie habe lange Zeit behalten,
Wol aber aus den Banden, die ihn drungen,
Sich ſelbſt befreyt und weggeſchwungen.
Bald breitet er ſich aus im Fluß, wird eine Fluht;
Bald wird er zur verzehrnden Gluht;
Bald ziſcht er in| der Lufft, ergrimmten Schlangen gleich;
Bald iſt er hart Metall; bald in den Pflanzen weich;
Bis daß er wiederum, erſchoͤpfft von Aenderung,
Jn ſeiner erſten Form gantz fertig und geneiget
Zu abermahliger Verwandelung,
Sich unſern Augen wieder zeiget.
Man
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0105" n="75"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Betrachtungen der Materie &#xA75B;c.</hi> </fw><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">D</hi>er Stoff verheelet &#x017F;ich den aller&#x017F;cha&#x0364;rff&#x017F;ten Augen,</l><lb/>
                <l>Den Klumpen hu&#x0364;llet &#x017F;tets ein Schleyer ein;</l><lb/>
                <l>Und nur die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;&#x2019;re Fla&#x0364;ch allein,</l><lb/>
                <l>Kan un&#x017F;er Sinn zu fa&#x017F;&#x017F;en taugen.</l><lb/>
                <l>Die Kra&#x0364;ffte dauren &#x017F;tets, die flu&#x0364;chtige Figur</l><lb/>
                <l>Vera&#x0364;ndert &#x017F;ich, verdirbet nur.</l><lb/>
                <l>Ja ko&#x0364;nnte &#x017F;ich der Stoff, von allen flu&#x0364;cht&#x2019;gen Decken,</l><lb/>
                <l>Jn eine nach der anderen ver&#x017F;tecken,</l><lb/>
                <l>So, daß, durch &#x017F;tetiges Vera&#x0364;ndern und Verkehren,</l><lb/>
                <l>Der Aend&#x2019;rung Arten all er&#x017F;cho&#x0364;pffet wa&#x0364;ren;</l><lb/>
                <l>So wu&#x0364;rd&#x2019; er &#x017F;ich aufs neu zur er&#x017F;ten Art bequemen,</l><lb/>
                <l>Um die Vera&#x0364;nderung noch einmal vorzunehmen.</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">M</hi>an hat auch bey der alten Welt</l><lb/>
                <l>Jhn unter <hi rendition="#fr">Proteus</hi> Bild uns vorge&#x017F;tellt:</l><lb/>
                <l>Von welchem die Poeten viel ge&#x017F;ungen,</l><lb/>
                <l>Daß er be&#x017F;ta&#x0364;ndige Ge&#x017F;tallten</l><lb/>
                <l>Nie habe lange Zeit behalten,</l><lb/>
                <l>Wol aber aus den Banden, die ihn drungen,</l><lb/>
                <l>Sich &#x017F;elb&#x017F;t befreyt und wegge&#x017F;chwungen.</l><lb/>
                <l>Bald breitet er &#x017F;ich aus im Fluß, wird eine Fluht;</l><lb/>
                <l>Bald wird er zur verzehrnden Gluht;</l><lb/>
                <l>Bald zi&#x017F;cht er in| der Lufft, ergrimmten Schlangen gleich;</l><lb/>
                <l>Bald i&#x017F;t er hart Metall; bald in den Pflanzen weich;</l><lb/>
                <l>Bis daß er wiederum, er&#x017F;cho&#x0364;pfft von Aenderung,</l><lb/>
                <l>Jn &#x017F;einer er&#x017F;ten Form gantz fertig und geneiget</l><lb/>
                <l>Zu abermahliger Verwandelung,</l><lb/>
                <l>Sich un&#x017F;ern Augen wieder zeiget.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Man</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0105] Betrachtungen der Materie ꝛc. Der Stoff verheelet ſich den allerſchaͤrffſten Augen, Den Klumpen huͤllet ſtets ein Schleyer ein; Und nur die aͤuſſ’re Flaͤch allein, Kan unſer Sinn zu faſſen taugen. Die Kraͤffte dauren ſtets, die fluͤchtige Figur Veraͤndert ſich, verdirbet nur. Ja koͤnnte ſich der Stoff, von allen fluͤcht’gen Decken, Jn eine nach der anderen verſtecken, So, daß, durch ſtetiges Veraͤndern und Verkehren, Der Aend’rung Arten all erſchoͤpffet waͤren; So wuͤrd’ er ſich aufs neu zur erſten Art bequemen, Um die Veraͤnderung noch einmal vorzunehmen. Man hat auch bey der alten Welt Jhn unter Proteus Bild uns vorgeſtellt: Von welchem die Poeten viel geſungen, Daß er beſtaͤndige Geſtallten Nie habe lange Zeit behalten, Wol aber aus den Banden, die ihn drungen, Sich ſelbſt befreyt und weggeſchwungen. Bald breitet er ſich aus im Fluß, wird eine Fluht; Bald wird er zur verzehrnden Gluht; Bald ziſcht er in| der Lufft, ergrimmten Schlangen gleich; Bald iſt er hart Metall; bald in den Pflanzen weich; Bis daß er wiederum, erſchoͤpfft von Aenderung, Jn ſeiner erſten Form gantz fertig und geneiget Zu abermahliger Verwandelung, Sich unſern Augen wieder zeiget. Man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/105
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/105>, abgerufen am 11.12.2024.