Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.Von Verein. u. Untersch. Seel. u. Cörpers. Durch die zwo nöthige Verbindungen, erwecken Die Sinnen beyderseits in uns Begierd' und Schrecken. Die Dinge, so der Geist dem Cörper schädlich hielte, Und die er diensam fand, sind Ursach, daß man Lust, Auch Schmertzen allbereit an unsrer Mutter Brust, Wiewol fast unvermercket, fühlte. Denselben Druck, den man zu Anfangs kaum vermerckt, Sind durch der Geister Lauf verneuret und verstärckt. Das durch dieselbigen erfüllte Hertz Dehnt durch die Luft sich aus, und ziehet sich durch Schmertz Zusammen in sich selbst. Die Seel', als welche sich Mit ihrem Cörper festiglich Vereinet und verbindet, Und durch dies Jnstrument, das, was ihn rührt, empfindet, Hat Recht, in dem, was ihn betrifft, zu wehlen. Sie hat das Regiment, er wird durch sie geführet. Verlangen wird durch sie, sowol als Furcht, formiret, Als die zur Folge so, als auch zur Flucht geneigt. Es haben uns die ersten Sinnlichkeiten Die Leidenschafften all'erzeugt, Die durch Gewohnheit uns bestricken und verleiten. Die Neigung für die Lust, der Abscheu für die Pein, Der Eckel und die Neigungs-Triebe, Jndem dieselbigen vermehret seyn, Und immer uns, mit stärckerm Druck, erfüllen; So werden sie im Geist zu Haß und Liebe. Dies ist die menschliche Beschaffenheit. Diesel- N n 2
Von Verein. u. Unterſch. Seel. u. Coͤrpers. Durch die zwo noͤthige Verbindungen, erwecken Die Sinnen beyderſeits in uns Begierd’ und Schrecken. Die Dinge, ſo der Geiſt dem Coͤrper ſchaͤdlich hielte, Und die er dienſam fand, ſind Urſach, daß man Luſt, Auch Schmertzen allbereit an unſrer Mutter Bruſt, Wiewol faſt unvermercket, fuͤhlte. Denſelben Druck, den man zu Anfangs kaum vermerckt, Sind durch der Geiſter Lauf verneuret und verſtaͤrckt. Das durch dieſelbigen erfuͤllte Hertz Dehnt durch die Luft ſich aus, und ziehet ſich durch Schmertz Zuſammen in ſich ſelbſt. Die Seel’, als welche ſich Mit ihrem Coͤrper feſtiglich Vereinet und verbindet, Und durch dies Jnſtrument, das, was ihn ruͤhrt, empfindet, Hat Recht, in dem, was ihn betrifft, zu wehlen. Sie hat das Regiment, er wird durch ſie gefuͤhret. Verlangen wird durch ſie, ſowol als Furcht, formiret, Als die zur Folge ſo, als auch zur Flucht geneigt. Es haben uns die erſten Sinnlichkeiten Die Leidenſchafften all’erzeugt, Die durch Gewohnheit uns beſtricken und verleiten. Die Neigung fuͤr die Luſt, der Abſcheu fuͤr die Pein, Der Eckel und die Neigungs-Triebe, Jndem dieſelbigen vermehret ſeyn, Und immer uns, mit ſtaͤrckerm Druck, erfuͤllen; So werden ſie im Geiſt zu Haß und Liebe. Dies iſt die menſchliche Beſchaffenheit. Dieſel- N n 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0593" n="563"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von Verein. u. Unterſch. Seel. u. Coͤrpers.</hi> </fw><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">D</hi>urch die zwo noͤthige Verbindungen, erwecken</l><lb/> <l>Die Sinnen beyderſeits in uns Begierd’ und Schrecken.</l><lb/> <l>Die Dinge, ſo der Geiſt dem Coͤrper ſchaͤdlich hielte,</l><lb/> <l>Und die er dienſam fand, ſind Urſach, daß man Luſt,</l><lb/> <l>Auch Schmertzen allbereit an unſrer Mutter Bruſt,</l><lb/> <l>Wiewol faſt unvermercket, fuͤhlte.</l><lb/> <l>Denſelben Druck, den man zu Anfangs kaum vermerckt,</l><lb/> <l>Sind durch der Geiſter Lauf verneuret und verſtaͤrckt.</l><lb/> <l>Das durch dieſelbigen erfuͤllte Hertz</l><lb/> <l>Dehnt durch die Luft ſich aus, und ziehet ſich durch Schmertz</l><lb/> <l>Zuſammen in ſich ſelbſt. Die Seel’, als welche ſich</l><lb/> <l>Mit ihrem Coͤrper feſtiglich</l><lb/> <l>Vereinet und verbindet,</l><lb/> <l>Und durch dies Jnſtrument, das, was ihn ruͤhrt, empfindet,</l><lb/> <l>Hat Recht, in dem, was ihn betrifft, zu wehlen.</l><lb/> <l>Sie hat das Regiment, er wird durch ſie gefuͤhret.</l><lb/> <l>Verlangen wird durch ſie, ſowol als Furcht, formiret,</l><lb/> <l>Als die zur Folge ſo, als auch zur Flucht geneigt.</l><lb/> <l>Es haben uns die erſten Sinnlichkeiten</l><lb/> <l>Die Leidenſchafften all’erzeugt,</l><lb/> <l>Die durch Gewohnheit uns beſtricken und verleiten.</l><lb/> <l>Die Neigung fuͤr die Luſt, der Abſcheu fuͤr die Pein,</l><lb/> <l>Der Eckel und die Neigungs-Triebe,</l><lb/> <l>Jndem dieſelbigen vermehret ſeyn,</l><lb/> <l>Und immer uns, mit ſtaͤrckerm Druck, erfuͤllen;</l><lb/> <l>So werden ſie im Geiſt zu Haß und Liebe.</l><lb/> <l>Dies iſt die menſchliche Beſchaffenheit.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="sig">N n 2</fw> <fw place="bottom" type="catch">Dieſel-</fw><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [563/0593]
Von Verein. u. Unterſch. Seel. u. Coͤrpers.
Durch die zwo noͤthige Verbindungen, erwecken
Die Sinnen beyderſeits in uns Begierd’ und Schrecken.
Die Dinge, ſo der Geiſt dem Coͤrper ſchaͤdlich hielte,
Und die er dienſam fand, ſind Urſach, daß man Luſt,
Auch Schmertzen allbereit an unſrer Mutter Bruſt,
Wiewol faſt unvermercket, fuͤhlte.
Denſelben Druck, den man zu Anfangs kaum vermerckt,
Sind durch der Geiſter Lauf verneuret und verſtaͤrckt.
Das durch dieſelbigen erfuͤllte Hertz
Dehnt durch die Luft ſich aus, und ziehet ſich durch Schmertz
Zuſammen in ſich ſelbſt. Die Seel’, als welche ſich
Mit ihrem Coͤrper feſtiglich
Vereinet und verbindet,
Und durch dies Jnſtrument, das, was ihn ruͤhrt, empfindet,
Hat Recht, in dem, was ihn betrifft, zu wehlen.
Sie hat das Regiment, er wird durch ſie gefuͤhret.
Verlangen wird durch ſie, ſowol als Furcht, formiret,
Als die zur Folge ſo, als auch zur Flucht geneigt.
Es haben uns die erſten Sinnlichkeiten
Die Leidenſchafften all’erzeugt,
Die durch Gewohnheit uns beſtricken und verleiten.
Die Neigung fuͤr die Luſt, der Abſcheu fuͤr die Pein,
Der Eckel und die Neigungs-Triebe,
Jndem dieſelbigen vermehret ſeyn,
Und immer uns, mit ſtaͤrckerm Druck, erfuͤllen;
So werden ſie im Geiſt zu Haß und Liebe.
Dies iſt die menſchliche Beſchaffenheit.
Dieſel-
N n 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |